In diesem Jahr lohnt sich eine Fahrt nach Brandenburg. Gar nicht weit, praktisch gleich hinter der Landesgrenze auf Schloss Doberlug in Doberlug-Kirchhain findet in diesem Jahr die Brandenburgische Landesausstellung statt unter dem bemerkenswerten Titel "Preußen und Sachsen - Szenen einer Nachbarschaft". In diesem Jahr haben es die Brandenburger mit den Sachsen. Das "Kulturland Brandenburg" präsentiert sich gleichzeitig unter dem Jahresmotto "Preußen - Sachsen - Brandenburg. Nachbarschaften im Wandel".

Dobrilugk alias Doberlug ist typisch für diese recht eigenwillige Nachbarschaft. Mitsamt der anderen Beute, die sich Preußen nach dem Wiener Kongress einstreichen konnte, kam auch die Niederlausitz nebst anderen Teilen des nördlichen Sachsens an Preußen. Dobrilugk, das zuvor Jahrhunderte sächsisch war, kam in den Besitz der Hohenzollern. Wobei die größte Peinlichkeit noch vor dem kleinen Städtchen lag: Die Umbenennung 1937 von Dobrilugk in Doberlug. Ein schöner slawische Ortsname wurde gegen einen deutschtümelnden ausgetauscht.

Aber darum geht es in diesem Buch mal nicht, das die Brandenburgische Gesellschaft für Kultur und Geschichte herausgegeben hat, um ihr Themenjahr 2014 zu begleiten. Es gibt auch einen kleinen Beitrag zur Landesausstellung im Buch. Und es gibt einige Beiträge, die sich mit der brandenburgisch-sächsischen Nachbarschaft beschäftigen. Die ja eher eine Einvernahme war. Der Historiker Vinzenz Czech beschäftigt sich in seinem Beitrag mit dem “Wiener Kongress 1815 und den Folgen”. Denn ausbaden müssen ja die Beschlüsse der großen Kongresse immer die kleinen Leute. Die Verwaltungsbezirke werden neu zugeschnitten, neues Recht gilt. Die Ämter müssen sich völlig umstellen. Und man lernt, wie ernst man die schönen Worte der neuen Herren nehmen darf – nämlich gar nicht. Die jungen Männer mussten jetzt in der preußischen Armee dienen. Und die braven Bürger mussten mit ihren Steuern die preußischen Kriegsschulden abtragen.

Aber so ganz vergessen haben die Bewohner des brandenburgischen Südens ihre sächsische Herkunft nicht. Jeder Ort, der auf sich hält, hat in den letzten Jahren die alten Postmeilensäulen (oder entsprechende Duplikate) aus den Zeiten Augusts des Starken wieder aufgestellt. Der Reisende erfährt also in Senftenberg wieder, wie weit es bis Meißen, Annaberg und Freiberg ist.

Aber das Buch ist natürlich keine Abrechnung. Kann es nicht sein. Denn 200 Jahre Geschichte verändern auch so eine Landschaft. Prägend im letzten Jahrhundert war der Bergbau. Cottbus bekommt ein eigenes Kapitel. Einst Bezirksstadt, heute bemüht, sich ein neues Lebensgefühl zu verschaffen. Oft war es nur ein einziger Industriezweig, der eine Stadt in dieser Region zum Blühen brachte. In Wittenberge war es der Bau von Nähmaschinen. Doch das alte Veritas-Werk wurde genauso flott abgewickelt wie all das andere, was sonst noch so in der Landschaft stand.

Auch Brandenburg ist in weiten Teilen eine Transformations-Landschaft. Zu besichtigen hüben und drüben im Lausitzer Seenland, wo sich – wie im Leipziger Südraum – alte Tagebauregionen in eine große Seenplatte verwandeln. Unter deutlich schwierigeren Bedingungen als in Westsachsen. Die Großstadt, die die Seen gleich zum Baden nutzt, fehlt hier. Hier merkt der Leser spätestens, wie sehr dieser Sammelband von den großformatigen Fotos von Jürgen Hohmuth lebt. Jedes Foto ist eine farbkräftige Inszenierung. Und viele beeindruckende Aufnahmen der Städte, Kirchen und Burgen in diesem Buch hat Hohmuth aus der Perspektive seines Foto-Luftschiffs aufgenommen, mit dem er seit 1997 arbeitet. Da wird oft erst deutlich, wie sich die Städte in die zumeist flache Landschaft fügen, wie Seen den Horizont bestimmen und die Spree mitten in Städten wie Lübben ihre Inseln umfließt.

Walter Ederer besucht in der Niederlausitz ein ganz spezielles Kloster – das Kloster Neuzelle. “Ein Streitfall”. Und ein Stück streitbarer Barock in einstmals sächsischer Landschaft. Aber die Klosterbrüder lagen mit dem sächsischen Kurfürsten im Zwist und eindrucksvolle Bilder im Haus zeigen die selbstgewählten Schutzpatrone – die Habsburger.

Matthias Hoffeins erzählt am Beispiel dreier winziger Dörfer kurz vor Potsdam, dass das Laben an der preußisch-sächsischen Grenze auch schon weit vor 1815 gar nicht so einfach war.

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Preußen – Sachsen – Brandenburg
Koehler & Amelang Verlag 2014, 16,95 Euro

Und Robert Lorenz geht in Görlitz einer ganz besonderen Identität nach, die die Görlitzer seit 1990 wieder hochhalten in den Farben Gelb und Orange: die niederschlesische.

Das 190 Seiten dicke Buch ist trotzdem keine wissenschaftliche Aufarbeitung dieses speziellen Landstrichs. Eher ein Lesebuch, das verschiedene Aspekte diese Nachbarschaft antippt. Auch einen, der seit einigen Jahren Ministerpräsidenten zum Tanzen bringt: Junge ostdeutsche Abwanderer kehren wieder in ihre Heimat zurück, wenn sich die Chance für eine Existenzgründung bietet. Ein paar davon sind im Buch porträtiert.

In etlichen Fotos macht Hohmuth auch noch unkommentierte Ausflüge ins benachbarte Polen. Ausflüge, die mit einem Beitrag zu Vertriebenen korrespondieren, die ab 1945 zu Hunderttausenden nach Sachsen und Brandenburg kamen und oft genug auch hier eine neue Heimat fanden. Identitäten vermischen sich, überlagern sich. Manchmal sucht man sich eine tief in der Geschichte, manchmal auch im Grenzüberschreiten, wie es Stefanie Kaygusuz aus Jena machte, die unbedingt, wenn sie schon einen Sorben heiratet, auch eine echte sorbische Hochzeit haben wollte.

Hat man wirklich die Wahl? – Natürlich. Es sind immer nur die Mächtigen, die Grenzen ziehen und bestimmen, wer nun ihr Untertan ist. Heute sind es eher wirtschaftliche Gründe, die bestimmen, wo man sich niederlässt. Da und dort gewiss auch Liebe zu Land und Leuten oder bestimmten Bauwerken, die das Interesse erwecken. Wie die Burg Eisenhardt in Belzig. Auch so eine alte sächsische Anlage – aus- und umgebaut von Arnold von Westfalen, dem (Burgen-)Baumeister der sächsische Fürsten. Sein Hauptwerk war die Burg in Meißen.

Von Belzig fliegt der Band ins Elbe-Elster-Land, die Heimat der reisenden Marionettenspieler. Und ganz zum Schluss schreibt Antje Ravic Strubel noch über die sprachlichen Grenzwanderungen. Das Sächsische lässt sie auch im Brandenburgischen nicht los. Und so bleibt tatsächlich das Gefühl: Hier ist alles noch in Bewegung, “im Wandel”, wie das heute so gern genannt wird, was ja reineweg positiv klingt, auch wenn Handlungszwänge dahinter stecken. Auch die kleinen und mittleren Städte im Süden Brandenburg haben ihre Industrie eingebüßt und in der Folge einen Großteil ihrer Bewohner. Dafür wurden Stadtkerne, Landschaften, Schlösser und Kirchen saniert. Die Geschichte strahlt in neuer Schönheit. Auf jeden Fall lohnt sich ab dem 7. Juni die Reise nach Doberlug-Kirchhain.

Kulturland Brandenburg:
www.kulturland-brandenburg.de/themenjahr-2014

Brandenburgische Landesausstellung:
http://brandenburgische-landesausstellung.de

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