Ihr Debüt 2011 war ein Kracher. "Irgendwann werden wir uns alles erzählen" wurde ein Bestseller. In 15 Sprachen wurde dieser Roman einer Obsession bislang übersetzt. Ein Roman, der auch dadurch bestach, dass er atmosphärisch genau die Stimmung in der ostdeutschen Provinz einfing. Das ist mutig in Zeiten der großen Unverbindlichkeit. Und auch ihr neues Buch ist ein großes "Ja!" zur Wirklichkeit ihrer Heimat.
Die heißt seit 1999 Leipzig. Und auch Muldental. „Muldental“ heißt die erste Geschichte, in der Daniela Krien eine Geschichte erzählt, wie sie beinah ganz ähnlich in einem Künstlerhaus an der Mulde auch hat passieren können. Auch bei den anderen Geschichten nutzt sie – ganz ähnlich wie Clemens Meyer in seinen Leipzig-Romanen – den Stoff, der in ihrer Wahlheimat das Leben bestimmt. Sie kennt die Menschen hier. Und gar so sehr unterscheidet sich das Leben in Leipzig ja nicht von dem in Mecklenburg-Vorpommern und im Vogtland, wo die talentierte Erzählerin aufgewachsen ist. Chemnitz kommt noch als Lebens-Studier-Station hinzu, bevor sie in Leipzig Existenz und Familie gründete.
Überall gilt für die Normalsterblichen: Die Distanz zur elementaren Wirklichkeit ist gering, die Haut, die das individuelle Leben vor den rauen Stürmen der Existenz schützen soll, ist dünn. Oft genug auch löcherig. Und ein kleiner Unfall im Leben kann dafür sorgen, dass alles auf einmal ins Rutschen kommt – die Finanzen, die Familie, die Gesundheit und das letzte bisschen Hoffnung, den Tag unbeschadet zu überstehen.
Daniela Krien hat es nicht nötig, ihren Stoff zu überhöhen, ins Esoterische zu sublimieren, um elitäre Jurys aus verstaubten Zeitungsreaktionen zu beeindrucken.
Ihr neues Buch ist ein Erzählungsband. Er ist auch ein kleines Aha-Erlebnis, das nach Jahren der wirklichkeitsfreien deutschen Kurzprosa wieder etwas zeigt, von dem man einfach nicht mehr geglaubt hätte, dass es Autoren interessieren könnte: das Leben hienieden, mit all seinen Sorgen, Kümmernissen – und seiner ganz realen Verortung im ostdeutschen Hier und im ostdeutschen Jetzt.
Dem auch ein paar Geschichten aus dem ostdeutschen Soeben beigesellt sind. Denn wie schon in ihrem Roman zeigt sich die Autorin auch hier dessen bewusst, dass Geschichten von Geschehen kommen. Erzählenswert ist, was passiert ist. Und sie beeindruckt hat. Auch weil darin dieser ewige Stachel sichtbar wird, der betroffen macht. Nichts ist berechenbar. Und auch ein schwer erkämpftes Gleichgewicht im Leben ist labil.
In „Mimikry“ schildert sie das Schicksal einer jungen Ostdeutschen, die im tiefen Westen einen Ausbildungsplatz als Zahnarzthelferin bekommen hat – und die in dieser speziellen westdeutschen Provinz erlebt, wie heftig die Aversionen der Einheimischen gegen die Ostdeutschen sind. Dabei hat sie den Weg in den Westen nur angetreten, weil daheim die komplette Wirtschaft abgeräumt wurde und Arbeits- und Ausbildungsplätze verschwunden sind.
Die 1990er Jahre wetterleuchten hier – als genau jene große schwarze Wolke, die damals tatsächlich ein ganzes Land in Beklemmung hielt. Die andere Seite wird in „Plan B“ sichtbar, einer Geschichte, in der zwei Freundinnen nach langer, ergebnisloser Suche nach einem bezahlten Job beschließen, es doch einmal mit Prostitution zu versuchen …
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Es sind keine exemplarischen Geschichten. Das vermeidet Daniela Krien. Ihre Personen haben eine reiche, zuweilen frustrierende Vorgeschichte, oft genug in einem jener Nester da draußen, wo das ganze Leben sich um die einzige Bushaltestelle im Dorf abspielt und die Freundesclique am Ende nur noch überlegt, wer nun mit wem …
Wer die falschen Wege eingeschlagen hat oder nicht rabiat genug war beim Sich-Durchsetzen, der findet sich – wie Juliane – auf einmal als Putzmädchen im Haushalt ihrer erfolgreicheren Studienkollegin wieder und wird dieses bohrende Gefühl der Ungerechtigkeit nicht los. Einige Geschichten – wie diese mit dem Titel „Versuchung“ – beginnen ganz unverhofft, auf ein heftiges und böses Ende zuzudriften.
Gerade weil Daniela Krien zu erzählen weiß, in welchen Schleifen ihre Heldinnen und Helden feststecken ohne die Hoffnung auf einen Strohhalm. So wie bei Otto in „Sommertag“, dessen Leben zerbrach, als er nach Jahren feststellte, dass seine Frau mit ihren Träumen vom reichen Leben ihnen einen unabzahlbaren Berg von Schulden eingebracht hat, den er nie wird abtragen können. Ihm geht es so ähnlich wie dem „Zigarettensammler“, der aufgegeben hat, als seine Frau mit einem Mann im großen teuren Auto davonfuhr.
Natürlich kreisen all diese Geschichten um die stille Frage: Wozu lebe ich? Wo ist der Sinn von dem allen? Und was bleibt, wenn die Erwartungen sich nicht erfüllen und das Wichtigste verloren geht?
Die Partnerschaft, der Beruf oder gleich die ganze Existenz ins Rutschen geraten, wie es Nina passiert in „Aussicht“, die sich nach einer gescheiterten Partnerschaft wieder aufgerappelt hat und als Tagesmutter wieder eine Tätigkeit gefunden hat, aus der sie Bestätigung zieht. Doch diesmal ist es ihre pubertierende Tochter, die mit den widersprüchlichen Gefühlen zu ihrer Mutter nicht zurechtkommt und mit einer Anzeige die ganze gefühllose Maschinerie der Behörden gegen Nina in Bewegung setzt.
Muldental
Daniela Krien, Graf Verlag 2014, 18,00 Euro
Manche der Geschichten kommen einem beim Lesen tief vertraut vor. So ähnlich hat man sie in den vergangenen Jahren schon da und dort gehört. Geschichten aus dem Leben all jener Menschen, die immerfort versuchen, in einem tief von Unsicherheit geprägten Leben wieder Fuß zu fassen, sich ein bisschen Selbstachtung und eine irgendwie einträgliche Existenz aufzubauen – und die doch eine einzige Unaufmerksamkeit, eine falsche Entscheidung, ein nicht erwarteter Verlust tief in Ängste und Verzweiflung stürzen kann.
Man hätte ja beinah nicht mehr geglaubt, dass eine Stadt wie Leipzig, ein Fleckchen Erde im Osten so viel Stoff bieten könnte für richtige Geschichten. Aber Daniela Krien zeigt hier, dass es kein geschichtenloses Land gibt, dass solche Dinge, die ans Eingemachte gehen, immerfort auch hier passieren. Man muss sie nur sehen und ernst nehmen wollen. An Stoff wird es ihr so nie mangeln.
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