Es gibt alberne Menschen. Und es gibt alberne Menschen. Am albernsten sind die, die glauben, sie seien es nicht. Am glücklichsten sind die, die es sich eingestehen und danach leben. Naja, und dann gibt es die vielen dazwischen, die es sich manchmal eingestehen, es öffentlich aber mit aller Vehemenz abstreiten würden. Oder so tun, als würden sie eifrig daran arbeiten, den "Fehler" abzustellen.

Carl-Christian Elze wird man auf dieser Skala natürlich irgendwo abseits der Mitte finden, mit kleinem traurigen oder ironischen Lächeln. Je nach Stimmung. Es lebt sich ja gar nicht so leicht als alberner Mensch, Lyriker und bekennender Ironiker. Man weiß ja um die ganzen Unzulänglichkeiten, aus denen das Leben, die Liebe, die Freundschaften und die Geschichten bestehen, die unser Alltag sind. Und man weiß um die dünne Schicht, die unsere Alltäglichkeit von den Gefühlen trennt, die uns verletzlich machen.

Dass er zu den Verletzlichen gehört, hat Elze ja schon mehrfach thematisiert. Jetzt packt er dieses Grundgefühl in einen Reigen von Geschichten. Kleinen Berichten aus dem Leben eines Grüblers und Träumers. Eher das Erste, auch wenn solch sinnenden, auch durch eigenes Nachdenken oft zögerlichen Menschen gern vorgeworfen wird, sie seien Träumer und würden sich nicht den Problemen der Wirklichkeit stellen. So wie all die Blitzmerker, Schnelldenker und Macher, jawollo, Macher. In Lobhudeleien auf die Hauruck-Gestalten der Gegenwart wird ja das Wort Macher gern verwendet. Auch wenn sie nicht die Bohne mehr auf die Reihe bekommen als die Nachdenklichen. Aber sie rammeln nach vorn, reißen die Aufmerksamkeit an sich, spielen Zampano – und wenn sie die Sache gegen den Baum gefuhrwerkt haben, dann sind sie natürlich nie dran schuld, dann waren es die “Umstände” oder irgendetwas anderes, woran sie bei all ihrem Drauflosmachen keinen Gedanken verschwendet haben.

Es fällt erst auf, wenn man die Berge von Geschichten liest, in denen sich die Nachdenklichen unter unseren Zeitgenossen – und Lyriker sind es in der Regel – mit diesem gelebten Widerspruch auseinandersetzen. Fröhliche Geschichten w erden das selten. Denn wenn man erst einmal ins Nachdenken kommt über das, was Menschen so tun und anrichten, dann kann einem schon weh und bange werden. Und hilflos fühlt man sich dann erst recht, weil die Zampanos ja keine Skrupel kennen. Nicht einmal Freundschaften sind ihnen heilig. Jeder Strukturvertrieb weiß das: Hier werden Gefühle und Vertrauen missbraucht, um Schmott zu machen. Ganz, ganz viel Schmott. Geld macht Menschen skrupellos und Freundschaften zur Ware.
Wie schnell sich Derartiges in eine alte, scheinbar wohl vertraute Beziehung schleicht, schildert Elze in einer Geschichte, die er ganz trocken mit “Geld” betitelt hat. Es ist nicht die einzige, in der er auf scheinbar unspektakuläre Weise die Verkrümmungen schildert, die sich Menschen antun, um in einer Welt zu bestehen, in der alles, aber auch wirklich alles, zum Produkt gemacht und nicht nur verscherbelt wird. Das wäre ja nur die halbe Wahrheit. Der Mensch wird auf perfide Weise zum Verkäufer seiner selbst gemacht. So geht’s auch gleich in der ersten Geschichte zu, “Kassette” benannt. Doch die Botschaft der Kassette, die der Autor auf seinem Nachtschrank findet, führt ihn nicht in eine geheimnisvolle Welt jenseits der diesigen – sondern im Gegenteil: In die seltsame Welt des Diesseits.

Und dass Elze damit nicht nur den fröhlich angemalten Konsum der westlichen Neuzeit meint, zeigt seine Geschichte “Lagerleben”, eine Geschichte in lauter Postkartengrüßen, die die Einsamkeit des ach so fröhlichen Franz in den Ferienlagern seiner Kindheit zeigt. Natürlich auch das eine “alberne” Sicht auf die Welt. Waren denn nicht alle anderen froh und glücklich mit dem durchorganisierten und reglementierten Lagerleben? Warum reagiert nur Franz derart hypochondrisch auf die Lagerwelt? Grübelt er zu viel?

Da möchte man fast einen Lieblingsspruch verzweifelter Eltern zitieren: Hör auf zu grübeln! Das bringt nichts!

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Achja, fragt Elze. Und grübelt weiter. Er weiß ja, dass er da so ein Ding im Kopf hat, das sowieso macht, was es will. Ist das gut? Oder ist das eher schlecht, wie die ach so fröhliche Mitwelt immer zu suggerieren versucht? Lebt man denn gedankenlos viel, viel besser? Zumindest leichter? Auch weil man sich keine Gedanken übers Denken macht? Oder gar über die Frage, was passiert, wenn das Denkmaschinchen auf einmal nicht mehr so will, wie es soll? Oder wenn darin gar seltsame Dinge geschehen? – Nicht unbedingt gleich Alzheimer oder Demenz. Aber schon ein T, das da nicht hingehört? Hat das Folgen? – Das Denk-Ergebnis ist nachzulesen in “Gehirn”.

Man kann die Geschichte auch als Überleitung lesen zur nächsten, in der Elze ein Ur-Thema der verzweifelten Autoren anspricht: die Qual am Schreiben und Nicht-Schreiben-Können. Denn wenn man sich erst einmal auf diesen Beruf einlässt, steckt man – wie jeder Selbst-Unternehmer – unter wirtschaftlichen Zwängen. Verleger warten auf druckreife Manuskripte, die Wohnung will bezahlt sein, der Kühlschrank gefüllt. Und dann geht einfach nichts. Auch weil gleich gegenüber einer sitzt, der dick und breit tagein tagaus auf seiner Tastatur hämmert und auch noch höhnisch herüber zu winken scheint: Na, läuft’s mit dem Schreiben? – Bei ihm läuft es. Unübersehbar. Selbst Steine ins Fenster und Drohbriefe bremsen ihn nicht. Er schreibt und schreibt. Und während der Ich-Erzähler noch hadert mit dieser täglich Frustration hat der andere längst einen dicken Bestseller veröffentlicht. Eine Geschichte über Kollegen-Neid? Oder über ein mit sich haderndes Ich?

Ein Ich, das sich auch im erwachsenen Alter fremd fühlt mit sich. Andere scheinen längst diese Kluft überwunden zu haben, sich an- und eingepasst zu haben in die Rolle, die sie im Leben spielen. Vielleicht denken sie auch deshalb nicht mehr drüber nach und sind nur bass erstaunt, wenn sie Typen wie Elze oder seinem Erzähler-Ich begegnen, die auch noch nach Jahren wissen, wie sich das Nicht-Eins-Sein anfühlt.

Nachlesbar auch in “Vater”, einer Geschichte, die das Befremdetsein gleich doppelt thematisiert – in den Intershop-Besuchen mit Vater im einstigen Hotel “Merkur”, die den grauen Leipzigern die satte, bunte Welt des Westens sichtbar und erlebbar machten, und im Erlebnis des toten Vaters, das der verwirrte Junge nicht fassen kann. Der aufgebahrte Körper ist nicht der Vater, den er kennt. Aber wo ist Vater?

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Aufzeichnungen eines albernen Menschen
Carl-Christian Elze, Verlagshaus J. Frank 2014, 13,90 Euro

Und wie verwirrend kann das Leben als Autor werden, wenn man sich von Geldrollen und edelsteinbesetzten Klobürsten blenden lässt? – Das klärt Elze in einer Geschichte, die ihren kritischen Kommentar schon im Titel trägt: “Bankrott”. Und auch in den kleinen Geschichten, mit denen Elze den Band ausklingen lässt, geht es um diese ewigen Unsicherheiten, die Menschen verwirren und völlig unverhofft aus den gewohnten Bahnen schmeißen können. Und Elze fragt sich durchaus auch stellvertretend: Kann es sein, dass das Misstrauen in die ach so selbstsicheren Mitmenschen nur zu berechtigt ist? – “Balkon” ist so eine Geschichte, die dieses Misstrauen thematisiert.

Am Ende gibt es eigentlich nur eine Kreatur, der man so als grübelnder, alberner Mensch vollstes Vertrauen schenken kann. Gerade weil sie so simpel und unverstellt ist in ihrer Treue und Bettelei: es ist der beste Freund des Menschen. Und irgendwie tröstet das am Ende dieser 16 kleinen Geschichten tatsächlich. Er gibt auch diesem vom Grübeln so ermüdeten Erzähler ein mehr als nur tröstliches Gefühl: “Er macht uns besser! Wir sind nicht von Grund auf schlecht …”

www.belletristik-berlin.de

Die Illustrationen im Buch stammen von Anne Baier:
www. ByeByeSea.com

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