Vielleicht sollte Leipzig ganz einfach dazu รผbergehen, seine groรen Komponisten in einem Jahresreigen zu feiern. Auf Bach folgt Mendelssohn, auf Mendelssohn Wagner, auf Wagner Schumann, auf Schumann Schumann. Ist jetzt kein Verschreiber: 2019 ist das groรe Jubilรคum fรผr Clara Schumann dran. Aber dieses Buch hier widmet sich ihrem Ehemann, dem Robert.
Ein nicht ganz unwichtiges Kapitel in seinem Musikerleben ist mit Leipzig verknรผpft. Hier hat er studiert. Hier hat er Clara kennen gelernt. Hier hat er seine ersten groรen Kompositionen geschaffen und seine ersten Erfolge gefeiert. Hier hat er die โNeue Zeitschrift fรผr Musikโ redigiert. Hier hat er seinen Kampf mit Vater Wieck ausgetragen. Die Stadt ist auch voller Erinnerungen an ihn und Clara und ihre groรe Liebe. Und wenn man sich die Herren Bach, Mendelssohn und Wagner wegdenken wรผrde, wรผrden allein schon die Jahre 1828 bis 1844 ausreichen, um Leipzig zur Schumann-Stadt zu machen. 1828 kam er zum Studium her โ auch wenn Jura nun wirklich das falsche Studienfach war. 1844 ging er mit Clara nach Dresden.
Und anders etwa als bei Wagner und Bach gibt es das Wohnhaus von Clara und Robert noch zu besichtigen. Oder wieder. Die Inselstraรe 18, wo das frisch getraute Musiker-Ehepaar ab 1840 lebte in der Friedrichsvorstadt, aus der spรคter das Grafische Viertel wurde. Dort beginnt Hans Joachim Kรถhler seinen Rundgang, auf dem er zeigt, welche Orte in Leipzig heute noch an Robert Schumann erinnern. Sie fรผllen ein ganzes Buch, auch wenn es nicht immer so offensichtlich ist wie bei den Erinnerungstafeln am Neumarkt und in der Reichsstraรe, dass man es hier mit Schumann-Orten zu tun hat, die sich sehr sinnfรคllig ergรคnzen mit dem Schumann-Denkmal hinter der Moritzbastei und dem Tisch der Davidsbรผndler im Coffebaum.
Natรผrlich bezieht Kรถhler auch die anderen Berรผhmten mit ein, mit denen Schumann ja zu tun hatte โ Wagner, Mendelssohn und โ als klassischer Bezug: Bach. Nicht nur Mendelssohn Bartholdy holte den alten Bach wieder als leuchtendes Vorbild aus der Versenkung. Auch Schumann tat es โ noch viel bewusster, denn er war so nebenbei und durch seine Arbeit als Musikkritiker auch einer von denen, die just in diesem frรผhen 19. Jahrhundert den Kanon der deutschen klassischen Musik erst schufen. Vorher gab es das gar nicht. Und heute lernen selbst die Schulkinder, wie der Kanon aussieht. Dass es ein klassisch-romantischer Kanon ist, den Schumann und seine Zeitgenossen erst so definiert haben, lernen sie nicht.Kรถhler erzรคhlt es auch nicht extra. Er ist mit Herumspazieren beschรคftigt. Das nimmt ihn ganz in Bann. Das Buch muss man quer halten, als wรคre es ein Tischkalender. Vielleicht kein besonders kluger Einfall, denn gute Spazier-Fรผhrer liest man ja auch daheim wie ein Buch, wenn einem danach ist. Wenn man sich etwa bei Schnee und Eis auf den nรคchsten Frรผhjahrsspaziergang freut. Von der Inselstraรe zum Brockhausdenkmal und von dort zum Schwanenteich etwa, den Robert Schumann schon kannte. Von seiner Wohnung im Roten Kolleg konnte er auf den Park und den Schneckenberg hinunterschauen. Kรถhler nimmt seine Begleiter mit in die Phantasie. Immer wieder bittet er sie darum, sich vorzustellen, wie Leipzig aussah 1828.
Das ist manchmal schwer. Auch was scheinbar alt ist, ist eigentlich neu. Die Stadt hat sich seither gewaltig verรคndert. Noch zu Schumanns Zeit wurde die Stadt wieder einmal vรถllig umgebaut. Albert Geutebrรผck hieร der Mann, der damals die neuen klassizistischen Gebรคude aus dem Boden stampfte โ den Groรen Blumenberg, die neue Universitรคt. Und nรถrdlich der Stadt wurde ein Bahnhof gebaut. Schumann erlebte mit, wie in Leipzig das Eisenbahnzeitalter begann und die ersten Dampfmaschinen eingesetzt wurden. Unter anderem im Hause Brockhaus, zu dem Schumann innigste Beziehungen hatte โ genauso wie zur Bankiersfamilie Frege, wo er seine Wertpapiere deponierte. Auch diesen Ort kann man besuchen: das Fregehaus in der Katharinenstraรe.
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Orte und Marschrouten รผberschneiden sich. Immer wieder streut Kรถhler Hinweise auf die โLeipziger Notenspurโ ein, die die Musikstadt erlebbar macht. Und Schumann begegnete ja seinen groรen Zeitgenossen. Zwangslรคufig. Mal als Kollege, mal als Kritiker. Seine Spuren kreuzen sich mit denen Mendelssohns, Chopins und Liszts. Wagner wurde schon genannt, auch wenn die beiden sich erst in Dresden nรคher kennen lernten. Die Musikverleger Leipzigs kannte er sowieso. Und dann sind da noch seine diversen Wohnungen โ samt dem Versuch, drauรen vor der Stadt nahe der Nonnenmรผhle ein bisschen Ruhe zu finden. Die er nicht fand. Denn den Lรคrm hatte er in Kopf und Herz โ die Liebe zu Clara und der รrger mit Wieck. Zwangslรคufig kommen auch die Wohnungen und Auftrittsorte von Clara mit vor. Denn eigentlich hatte ja Vater Wieck fรผr das Wunderkind eine Karriere als Klaviervirtuosin vorgesehen. Die auch begann, bevor Robert um Claras Hand bitten konnte. Als beide 1840 heiraten, war Robert ein ordentlicher Dr. und Clara eine ordentlicher k.u.k.-Hofmusikerin.
Sie waren das berรผhmteste Liebespaar ihrer Zeit.
Zusรคtzlich zu der groรen Schleife, die Kรถhler durch die Innenstadt dreht, die damals, zu Roberts Zeiten, das ganze Leipzig war, gibt es auch noch Spaziergรคnge zu den Orten, die auch Robert sich gern erwanderte โ nach Lรผtzschena, nach Stรถtteritz, nach Dรถlitz, Gohlis und Oetzsch. Und natรผrlich nach Schรถnefeld, wo geheiratet wurde, als das Gericht fรผr Robert entschied. Da und dort steht ja noch einiges herum, was auch Robert damals sah. Manchmal sehr versteckt, weil die groรe Stadt ringsum alles zugebaut hat.Es ist ein Versuch, noch einmal in diese Zeit einzutauchen, die man gern mit Biedermeier beschreibt. Und die doch schon heillos auf dem Weg ins Industriezeitalter war. Und ganz so nicht-revolutionรคr, wie es im Vorwort heiรt, war Leipzig auch nicht. Im Gegenteil: Hier wurde 1830 ordentlich Remmidemmi gemacht und ein gewisser Wagner entdeckte sein Herz fรผrs Rebellieren. Es ist wie heute auch: Die offiziรถsen Zeitberichte malen ein anderes Bild von der Wirklichkeit als die Gerichtsakten. Und wer weiร, worรผber sich die Davidsbรผndler im Coffebaum tatsรคchlich unterhielten?
Indem wir heute so gern nur die groรe Musikstadt sehen, vergessen wir wie so oft den unmusikalischen Rest. Den Aufeinanderprall der Zeitalter. Und warum ist es um einen wie Schumann da so ruhig? โ Er stand auf der Seite der Bessersituierten. Der Bankier Frege organisierte die Bรผrgerwehr, die die Tumulte in der Stadt niederhalten sollte. Sie sicherte auch Freges Rittergut in Abtnaundorf. Und auch wenn die Revolte niedergeschlagen wurde, bekam Leipzig doch 1830 seine erste Stadtverordnetenversammlung. Das lรคsst Kรถhler aber leider weg.
Was schade ist. Das gibt auch fรผr die Musik und Schumanns Rolle darin ein falsches Bild. Aber vielleicht setzt sich jetzt ein anderer hin und schreibt mal den Stadtfรผhrer zum rebellischen Leipzig. Und einen zum Leipziger Bรผrgertum, das zwar immer sehr geschรคftstรผchtig war, aber vorzugsweise immer sehr konservativ. Und musikliebend. Eine Station auf Kรถhlers Spaziergang ist ja auch das Stรคdtische Gewandhaus mit der Erinnerungstafel an den alten, den ersten Gewandhaussaal, den Schumann noch kannte. Damals war das Gewandhausorchester noch ein Privatunternehmen und die honorigen Bรผrger, die sich den Eintritt leisten konnten, schauten nicht zum Orchester, sondern schauten einander an. Es war ja erst Mendelssohn Bartholdy, der den Dirigenten im Orchester zum Star machte.
Blickkontakte mit Robert Schumann
Hans Joachim Kรถhler, Eudora-Verlag Verlag 2014, 15,90 Euro
Wer genau hinschaut, sieht in diesem โBiedermeierโ-Leipzig die moderne Gegenwart in all ihren Facetten schon angelegt. Im selben Widerstreit zwischen altem Kostรผmzwang und moderner Umwรคlzungslust. Ruhig und beschaulich sind nur die niedlichen Bildchen, die damals in Massenproduktion gefertigt wurden und heute so ein falsches Zeitbild geben. Man darf sich durchaus auch eine Schippe Ruร, Geschrei, Geklapper, Gedrรคnge und Geeile vorstellen, wenn man auf Schumanns Spuren mit Hans Joachim Kรถhler durch die Stadt spaziert. Und da und dort kann man sich ein paar von den 165 Liedern anhรถren, die Schumann in seinem Leipziger Liederjahr komponiert hat. Da ist ein Stรผck weit auch schon die Nervositรคt zu hรถren, die den etwas jรผngeren Richard Wagner alsbald ganz und gar zum Zickzack-Revolutionรคr machen wรผrde.
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