Eigentlich wäre Tino Hemmann ein Autor, der auch in größeren Verlagen, die sich auf Thriller und action-geladene Bücher spezialisiert haben, sein Plätzchen finden könnte. Aber konsequent veröffentlicht er seine Romane im eigenen - dem Engelsdorfer - Verlag. Krimis, Science Fiction, Jugendbücher. Und nun auch schon den dritten Band in der Reihe "Auf Wiedersehen, Bastard!".

Was man eigentlich auf Russisch sagen müsste: “Proshchay, ublyudok!” In den ersten beiden Bänden ging es dabei noch um die Abrechnung mit ein paar finsteren Gestalten aus dem Leben Anatolji Sorokin, dem durchtrainierten und cleveren Vater von Fedor, der mit seinem Sohn die Heimat Magnitogorsk vor Jahren verlassen hat, um über den Verlust seiner Frau hinwegzukommen und – fernab der kriminellen Machenschaften einiger dubioser Geschäftsleute und Politiker – in Leipzig eine neue Existenz aufzubauen.

Das hat er mit den Talenten getan, die er mitgebracht hat: Er ist augenscheinlich einer der gefragtesten Mitarbeiter des Sondereinsatzkommandos der sächsischen Polizei. So gefragt, dass ihn sogar ein paar seltsame Herren unverhofft in den Sächsischen Landtag einladen, um ihm einen heiklen Auftrag in Kroatien anzuvertrauen. Es geht um einen geplanten Anschlag in Leipzig, die möglichen Täter sind in einem idyllischen Städtchen namens Zadar an der Mittelmeerküste zu finden. Es könnte eigentlich ein netter Familienurlaub werden.Aber wenn Anatolji Sorokin einen Auftrag bekommt, wird das nie ein netter Familienausflug, auch wenn er auch diesmal mit seiner Familie unterwegs ist. Natürlich muss Fedor mit. Er ist ja irgendwie der eigentliche Held der Geschichte. Ein typischer Hemmann-Held, der immer wieder Jungen in den Mittelpunkt seiner Geschichten stellt. Jungen, die deutlich anders sind als die üblichen Filmklischee-Jungen: sensibel, verletzlich, auch zur Empathie fähig. Was dem blinden Fedor in jedem Buch auch neue Freunde verschafft, denn er begegnet seiner Mitwelt stets offen und neugierig. Das kann auch schief gehen wie in diesem Fall, denn diesmal gerät er just an einen der beiden Kriminellen, deretwegen sein Vater nach Zadar beordert wurde. Und damit steht nicht nur Anatolji auf einmal mitten im Schussfeld, sondern auch seine ganze Familie.

Und sie bekommen schnell mit, dass die Leute, mit denen sie es zu tun haben, über Leichen gehen. Aber Hemmanns Kriminelle sind auch nicht die üblichen Ganoven an sich, die einfach kriminell sind, weil sie so sind. Seine Finsterlinge haben eine Vorgeschichte. Und die reicht in diesem Fall bis hinein in den Jugoslawienkrieg, der nicht nur das Land zerrissen hat, sondern auch die einstigen Nachbarschaften und Familien. Mancher, der in den blutigen Gemetzeln seinen Rausch austobte, war schon vorher ein Krimineller. Es ist schon erstaunlich, wie schnell sich in solchen Umbrüchen dubiose Gestalten finden, die sich auf einmal an der Spitze von uniformierten Truppen zum “Oppositionsführer” und “Rebellensprecher” mausern.

Die Parallelen zur heutigen Ukraine sind verblüffend. Und zumindest aus dem Jugoslawienkrieg wissen wir, wie dieser Krieg neue Gespenster schuf und Menschen für ihr Leben verletzte, verformte oder gar zu neuen Bestien machte, wie es einer der Burschen ist, den Hemmann in seinem Buch sehr einfühlsam beschreibt. Unüberlesbar die Botschaft: Wer nicht weiß, wie aus Kindern Bestien werden, wird nie verstehen, wie der Krieg ist. Und auch nicht, wie lange der Krieg fortwirkt und welche bizarren Folgen er zeitigt. Erst recht dann, wenn man nicht weiß, welche Interessengruppen hinter den Kriegen stecken und wie diese vernetzt sind.

Glück für Anatolji und Fedor, dass es ihnen in Zadar gelingt, Freunde und Helfer zu finden. Denn während sie selbst noch im Dunkeln tappen, weiß der eigentlich Gesuchte längst, mit wem er es zu tun hat. Und da er keine Skrupel kennt, schaukelt das Ganze sehr schnell hoch, bekommt die Handlung mehr als nur Spannung. Hemmann beherrscht die Klaviatur des Spannungsaufbaus und sein Leser ist schnell mittendrin in der durchaus beängstigenden Situation eines Urlaubs, der völlig aus dem Ruder zu laufen droht. Erst recht, als auch noch Kinder verschwinden und die ersten Polizisten sterben, während die gesuchten Verbrecher unerkannt durch die Maschen schlüpfen.Eine Parallelhandlung wie in den Vorgängerromanen gibt es auch, auch diesmal in Leipzig, wo der Tod eines 49-jährigen Serben die Polizei beschäftigt und schnell die Frage aufkommt: Hat das was mit Sorokins Auftrag in Kroatien zu tun? Eine nicht ganz unwichtige Nebenhandlung, denn man vergisst ja auch gern, dass Kriege nicht nur auf die Länder beschränkt bleiben, in denen sie stattfinden. Sie haben auch immer mit uns zu tun. Auch mit uns als Kriegspartei, denn die NATO-Truppen und Bombenflugzeuge waren ja in unserem Namen im Einsatz. Und auch die Folgen eines in Jahren vom Krieg verletzten Landes bekommen wir zu spüren. Und nicht immer ist das politische Spiel der europäischen Regierungen durchdacht oder klug. Manchmal schreiben auch sie nur uralte Denkmuster fort – und manchmal sind es schlicht die falschen.

Anatolji und Fedor bekommen es – zu ihrem Glück – nicht nur mit vom Krieg zutiefst gezeichneten Verbrechern zu tun. Sie finden auch Helfer, deren Bestreben es ist, die alten Netzwerke zu zerstören und die Täter dingfest zu machen. Am Ende geht es trotzdem wieder nur um Haaresbreite gut. Und über die Situationen, in die Anatolji und Fedor geraten, werden die beiden bestimmt noch in vielen schlaflosen Nächten nachdenken. Ein paar Verantwortliche in Dresden wohl auch. Wobei einen da so ein vages Gefühl beschleicht, dass Tino Hemmann all den staatlichen Instanzen mehr Überblick und Professionalität zuschreibt, als sie in der Realität wahrscheinlich haben. Die NSA spielt auch eine Rolle. Bei Hemmann mit einer neuen, bestechenden These unterlegt: die Totalüberwachung des Internets als weltumspannendes Spionagesystem der NATO. Das klingt so plausibel, dass man fast dran glauben könnte.

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Auf Wiedersehen, Bastard!
Tino Hemmann, Engelsdorfer Verlag 2014, 12,00 Euro

Aber andererseits: Leuten, die mit solchen Informationen Politik machen, würde man nicht über den Weg trauen dürfen. Und entsprechend sauer reagiert dann Anatolji auch an einer Stelle. Sozusagen ersatzweise. Denn Einiges bleibt unklar an der Rolle jener, die ihn in dieses anfangs völlig undurchschaubare Abenteuer geschickt haben. Wer spielt eigentlich welche Rolle in diesem Fall? Und wer hat welche Absichten? Und warum soll ausgerechnet ein muskulöser SEK-Mann aus Leipzig die Sache bereinigen? – Aber so konfus stellt sich ja deutsche Sicherheitspolitik oft genug dar. Und nur der Zeitungsleser wundert sich, warum so Vieles nicht zusammen passt in der täglichen berichteten Welt-Politik. Da möchte man gar kein SEK-Mann sein.

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