Man kommt nicht unbedingt auf den Gedanken, dass Dresden etwas mit der Reformation zu tun haben könnte, die vor 500 Jahren die Welt umkrempelte. Da denkt man eher an Wittenberg, Eisenach, Augsburg. Aber die großformatige Reihe, die die Evangelische Verlagsanstalt 2011 mit dem Band "Nürnberg" begonnen hat, erschließt dem Leser eine Landschaft, die weit über den Wittenberger Kreis hinaus reicht.

Der Band zu Dresden ist schon der 11. in der Reihe, die folgenden sind Augsburg, Emden und Coburg. Am Ende wird die Reihe Orte in ganz Deutschland zeigen und damit auch sichtbar machen, wie Martin Luthers Thesen und sein mutiges “Hier stehe ich” das damalige Heilige Römische Reich deutscher Nation in Aufregung versetzten. Was nur möglich war, weil Luther ja keine neue Religion gründen wollte. Er forderte schlicht die Reform der bestehenden Kirche und ihre Befreiung von all dem Ballast, der mit der ursprünglichen Religionsstiftung nichts zu tun hatte. Und der Theologieprofessor aus Wittenberg war ja nicht der Einzige, der das so sah. Und es war kein geringerer als Herzog Georg von Sachsen, der 1519 anwesend war, als Luther in der Hofstube des Kurfürstlichen Schlosses zu Leipzig mit Johannes Eck disputierte.

Für Luthers Sache war diese Disputation ein echter Marketingerfolg. Herzog Georg aber fühlte sich bestärkt, die Reformation in seinem Land auf jeden Fall zu verhindern. Deswegen kam es sowohl in Leipzig als auch in Dresden erst nach Georgs Tod zur Einführung der Reformation im Jahr 1539. Und während sich die Leipziger Erinnerung auf Luthers Predigt in der Thomaskirche beziehen kann, erlebten die Dresdner eine fürstliche Einführung der Reformation mit Herzog Heinrich dem Frommen und Kurfürst Johann Friedrich aus dem benachbarten Kurfürstentum in der Kreuzkirche.Die Kreuzkirche ist dann auch Station Nr. 1 des Rundgangs, der den Betrachter vor allem mitnimmt in den fürstlich-staatlichen Teil der Reformation. Denn auch 1539 galt in deutschen Landen noch: Der Fürst bestimmte, welchen Glauben seine Landeskinder zu haben hatten. Die Fürsten hatten auch allerlei zu gewinnen mit der Reformation, denn in der Regel zogen sie die alten Klostergüter, die ihre Vorfahren 300 Jahre zuvor spendiert hatten, wieder ein. Deswegen findet man in sächsischen Städten so gut wie keine Klosterreste mehr. Dafür findet man in Dresden in baulicher Pracht den schönen Eiertanz, den die sächsischen Fürsten ab August dem Starken führten, als sie wieder zum katholischen Glauben wechselten, aber nach all den Kämpfen um ein reines Luthertum in Sachsen keine Chance mehr sahen, die Sachsen wieder mit einem Landesreligionswechsel zu beglücken.

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So bauten sich die Wettiner im Dresdner Schloss erst einmal eine Hofkapelle, bevor sie vor dem Schloss die Hofkirche errichteten. Ein Bauvorhaben, das die Dresdner selbst mit dem Bau der gigantischen Frauenkirche konterkarierten, in der ganz bewusst auch der Petersdom in Rom architektonisch zitiert wird. In den sonst so braven Residenzstädtern loderte dann und wann doch ein rebellischer Geist. 1885 stellten sie dann auch noch ein Lutherdenkmal davor, damit jeder Vorüberkommende gleich sah: Sachsen ist Lutherland. Und Dresden ist’s auch.

Der wieder reich bebilderte Band nimmt den Spaziergänger natürlich auch mit in jene Bauwerke und Institutionen, die sich für Dresden um das Thema Reformation gruppieren. Dazu gehört das kurfürstliche Schloss, das in der Renaissancezeit seinen wichtigsten Umbau erlebte und das in DDR-Zeiten durch ein gnädiges Wort von Erich Honecker persönlich vorm endgültigen Abriss gerettet wurde. Wirklich saniert wurde es erst nach 1990 – die Bauarbeiten halten bis heute an.Mit Luther begann auch in Dresden der Buchdruck – wenn auch völlig anders als in Leipzig, wo Luther zumindest bis 1519 seine Streitschriften drucken lassen konnte. In Dresden wurde dafür die Druckpresse der Luther-Gegner heimisch. Die Lutherischen “Lesezirkel” gingen in den Untergrund. Auch wenn es längst gärte in der Residenzstadt. 1522 gingen sogar die Frauen auf die Straße und protestierten gegen den Klerus. Die Saat war längst gelegt, als 1539 dann die Reformation tatsächlich offiziell eingeführt wurde. Und wie das so ist mit späten Parteigängern – sie werden umso strenger. Die nächsten zwei Jahrhunderte waren in Sachsen praktisch ein immerwährender Kampf um ein strenges und reines Luthertum. Da gerieten auch all jene unter die Räder, die noch ein bisschen mehr reformieren wollten – die so genannten Krypto-Calvinisten oder dann zum Ende des 16. Jahrhunderts die Reformierten um Kanzler Nikolaus Krell, der nach langjähriger Haft 1601 auf dem Jüdenhof in Dresden hingerichtet wurde. Ein Stein erinnert heute an diesen Ort.

Die farbige Seite der Reformation zeigt heute unter anderem die Dresdner Gemäldegalerie, die über zahlreiche Bilder aus der Cranach-Werkstatt verfügt, wo die Zeitgenossen der Reformation in Öl gemalt wurden und reformatorischer Geist in hunderte religiöse Bilder einfloss. Und auch im Grünen Gewölbe findet man diverse Erinnerungsstücke an die Reformation. Die Wettiner waren damals eifrigste Sammler des Schönen und Bewahrenswerten. Allein mit allem, was rund ums Schloss zu sehen ist, kann man mehr als ein Dresden-Wochenende füllen. Im Heft schließt sich noch ein Rundgang durch die innerstädtischen Dresdner Kirchen an. Der Dresdner Kreuzchor gehört natürlich dazu.

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Orte der Reformation: Dresden
Hans-Peter Hasse; Christoph Seele, Evangelische Verlagsanstalt 2014, 9,90 Euro

Wer in Dresden Reformation erleben will, kommt also ganz auf seine Kosten. Das Ensemble des Erlebbaren sieht natürlich völlig anders aus als etwa in Wittenberg. In großen Teilen ist es vom Barock überformt und präsentiert sich, wie sich eine kurfürstliche Residenz eben repräsentiert. Was dem Besucher natürlich auch etwas nahe bringt, was man sonst nicht so sieht: die wichtige Rolle der Landesherrschaft im Prozess der Reformation und damit natürlich auch die über Jahrhunderte dominierende Rolle der Religion in der Politik.

Wo sie eigentlich nicht hingehört, wie auch Luther befand. Höchstens als moralischer Maßstab. Wie sehr Luthers Haltung auch schon vor seinem Thesenanschlag von 1517 Teil des gesellschaftlichen Diskurses war, zeigt in Dresden ein eindrucksvolles Bild von Lucas Cranach d. Ä. um 1510: “Vertreibung der Wechsler aus dem Tempel”. Für Bernhard Maaz eine gemalte Kritik am päpstlichen Ablasshandel. Aber man kann das Bild bis heute lesen als aktuelle Kritik an all jenen, die den Tempel entweihen und alles zum Markt machen, was nicht bei drei auf den Bäumen ist.

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