33 Jahre lang war Kriminalhauptkommissar Gerhard Starke bei der Mordkommission Koblenz tätig. Da erlebt man was, selbst im eher beschaulichen Rheinland-Pfalz, wo der Rhein so ruhig fließt und die Weinberge zum Spazieren einladen. Naja. Hin und wieder trifft man halt auf eine Leiche. Die schöne Landschaft ändert nichts daran, dass ein gewisser Prozentsatz der Mitmenschen in höchstem Grade gefährlich ist für Leib und Leben aller.
Spektakulär erlebt 1999, als die ganze Bundesrepublik mitfieberte, weil ein eiskalter Mörder namens Dieter Zurwehme wie ein Phantom durchs ganze Land floh, mal in Mecklenburg gesichtet wurde, mal in Thüringen. Der Vierfach-Mord, aufgrund dessen er floh, hatte sich im Zuständigkeitsbereich von Gerhard Starke zugetragen, der nun auch diese Geschichte gemeinsam mit dem Thüringer Journalisten Christoph Kloft aufbereitet hat im zweiten Band seiner Erinnerungen an die authentischen Kriminalfälle aus seiner Zeit.
Mordfälle sind immer die Spitze des Eisberges, auch in der Ermittlungsarbeit der Polizei. Sie sorgen für besondere mediale Aufmerksamkeit. Und Täter wie Dieter Zurwehme werden binnen Stunden zu den Monstern der Gegenwart, wenn der Fahndungsaufruf in den Zeitungen erscheint. Was die Öffentlichkeit eher selten mitbekommt, ist das private Umfeld und das Persönlichkeitsbild der Täter. Doch anders als bei den Profi-Killern der diversen Mafia-Organisationen ist der normale Mörder keine abgebrühte Mordmaschine. Auch dann nicht, wenn eine Tat dermaßen ausufert wie Zurwehmes Vierfachmord von Remagen am 21. März 1999.Sieben Fälle haben Starke und Kloft für dieses Buch aufbereitet, sieben Fälle, in denen die “Helden” sich alle ähneln in ihrer Unfähigkeit, Konflikte auf selbstverantwortliche und friedliche Weise zu lösen. Einige der Männer, die hier ins Bild kommen, haben schon eine lange Vorgeschichte hinter sich, die ihre “Karriere” in dicken Polizei- und Gerichtsakten nachzeichnet. Was nicht bedeutet, dass den Ermittlern schnell der Zugriff gelingt, denn auch Verbrecher lernen dazu – ihre Polizei- und Gerichtserfahrung macht sie oft genug auch zu Profis im Vertuschen. Denn eines wollen sie alle nicht: erwischt werden.
Deswegen ist die akribische Fundortarbeit und die Leichenuntersuchung in der Gerichtsmedizin so wichtig. Manchmal sind es nur winzigste Spuren, die einen potentiellen Täter mit den Toten in Verbindung bringen. Und oft scheint nicht einmal das zu gelingen – etwa wenn Leichen erst nach Monaten gefunden werden. Dann hat es die Mordkommission besonders schwer, den einen so wichtigen Hinweis zu finden, der sie auf die Spur des Täters bringt. Bei Zurwehme ist es ein Fingerabdruck, der die Fahnungsmaschine schon kurz nach der Tat in Bewegung setzte. In “Das verräterische Gebiss” scheint die Bissspur des Täters anfangs gar nichts zu nützen – bis wichtige Hinweise von Lkw-Fahrern die Polizei zum richtigen Täterauto führen.
Zwölf Mordfälle aus der Arbeit eines Kriminalhauptkommissars: Mehr werdet ihr nicht finden
Dies ist eine kleine nachgereichte …
Claudia Puhlfürst erzählt neue Fälle aus der Rechtsmedizin: Er hätte weiter gemordet
Claudia Puhlfürst gehört zu den Krimi-Königinnen …
Eine Krimi-Autorin schreibt über vier authentische Kriminalfälle: Dem Leben entrissen
Das nennt man Berufserfahrung …
Manchmal hilft auch keine Zeugenaussage, weil es keine Zeugen gibt – wie in “Vier Täter aus Berlin”, die ihren Raubüberfall auf einer Autobahnraststätte kaltblütig durchgezogen haben, ohne dass es einen Bezug zum Toten und zum Tatort gibt. Da ist es dann zuweilen ein Anruf von Kriminalbeamten aus einem anderen Bundesland, der die Tat erhellt. In “Sonst kommen wir ihn holen” sind es Faserspuren, die einen Kleinganoven als Täter überführen und in “Die zwei Leben des Dirk Stahl” ist es ein Jahre später angewandter DNA-Test, der einen Mann mit einer Tat in Verbindung bringt.
Selten geht es im richtigen Arbeitsalltag der Polizei so flott zu wie in den TV-Serien. Oft vergehen Tage, Wochen, Monate in zermürbender kleinteiliger Arbeit, fehlt lange die eine, wichtige Spur. Und wenn gar Kinder und junge Menschen die Opfer sind, sind die Kriminalisten auch mittendrin im Leid der Verwandten. Und nicht immer können sie sich dabei auf eine sachliche Ebene flüchten. Deswegen, so betont Starke, ist der Beruf des Kriminalpolizisten auch nicht für Jeden etwas. Auch nicht für jedes Familienleben. Denn wenn ein Mord geschieht, werden die Ermittler auch an Wochenenden und Feiertagen zum Tatort gerufen. Und danach herrscht Tage lang Hochbetrieb, denn in den ersten Stunden und Tagen nach der Tat ist die Chance, die Täter zu finden, am größten.
Noch können Zeugen sich erinnern, sind die Fundorte aussagekräftig, konnten die Kriminellen nicht alle Spuren verwischen.Und auch wenn die Täter darin fast wie Profis agieren, entpuppen sie sich, wenn endlich der Zugriff gelingt, als erstaunlich hilflose Menschen. Wie dieser so sehr von einer fiktiven Familienehre besessene Mann aus “Eine Frage der Ehre”, der auch seine Frau so lange tyrannisiert, bis sie ihm ihren ersten Liebhaber zuführt, damit er ihn ermorden kann. Eine Geschichte übrigens aus dem Jahr 1979. So lange hat es die Polizei immer wieder mit dem Thema “Ehrenmord” zu tun und mit all diesen Vorstellungen einer verklemmten Moral, die über Leichen geht für einen archaischen und provinziellen Ehre-Begriff.
Mitten in unserer Gesellschaft existieren diese Inseln der Vorurteile. Und dadurch, dass Kloft und Starke diese Geschichte neben die anderen gestellt haben, die von ebenso zur Empathie unfähigen Männern erzählen, wird die Ähnlichkeit der Muster deutlich. Selbst im Verhör erzählen diese Männer fast emotionslos von dem, was sie getan haben. Sie versuchen, ihre Version der Geschichte zu schönen, oder blockieren ganz.
Und immer wieder taucht dieses seltsame Motiv auf, das die Taten erst so blutig werden ließ: Oft ist es die Angst der Täter, für weniger grausame Übergriffe – oft sexueller Art – bestraft zu werden, die sie dazu bringt, ihre Opfer auch noch zu töten und zu entsorgen wie einen lästigen Gegenstand. Und am Ende sitzen sie genau da, wo sie nicht sitzen wollten: im Verhörraum.
Ich musste sie töten
Gerhard Starke; Christoph Kloft, Militzke Verlag 2014, 16,90 Euro
Da kann auch ein Ermittler schon mal Emotionen zeigen. Und in gewisser Weise schreibt sich ja Starke all diese seelischen Belastungen aus seinem Berufsleben auch herunter, wenn er sie jetzt zusammen mit Christoph Kloft aufarbeitet. Zuweilen recht drastisch, um auch den emotionalen Druck spürbar zu machen, unter dem Ermittler stehen. Was das Buch natürlich zu keiner leichten Lektüre macht. Denn die Frage bleibt ja: Wie kann man das alles ändern? Oder gehören diese ganzen seelisch verschlossenen Typen zwangsläufig zu unserer Gesellschaft? Sind sie nicht eher ihr Produkt?
Beides völlig offene Fragen. Die noch viel offener werden, wenn sich die Täter dann auch noch mit ihrer Freundin einen schönen Abend machen mit “Das Schweigen der Lämmer”. Es sind auch ein gut Teil diverse Medien, die Gewalt als Teil unserer Gesellschaft akzeptabel machen und Kriminelle zu Helden. Auch darüber denkt man dann nach, wenn man das Buch zuklappt. Heldenhaft sind die Mörder in diesem Buch alle nicht. Was die Arbeit der Ermittler nicht wirklich einfacher macht.
Keine Kommentare bisher