Die Ausstellung "Der junge Richard Wagner" eröffnete im Untergeschoss der Alten Nikolaischule vor einem Jahr - rechtzeitig zum Wagner-Jubiläum. Denn ein Ort, den Wagner-Pilger in der Stadt anlaufen könnten, hat Leipzig ja bislang noch nicht. Mal ganz zu schweigen davon, dass die meisten Wagner-Verehrer vom jungen Wagner nie etwas gehört haben. Wie er aussah, weiß man ja nun.
Das Porträt, das seit Mai 2013 in die interaktive Ausstellung lockt, ziert auch das Cover des Ausstellungskatalogs, den Ausstellungsgestalter Heinz-Jürgen Böhme auch selbst gestaltet hat. Das Bild ist eine jener (Wieder-)Entdeckungen des Jahres 2013, die das Wagner-Bild ein Stück weit korrigierten. Denn das Jubiläum steht auch für einen Zeitenbruch. Ein Jahrhundert lange hatte der von Wagner und seinen Getreuen geschaffene Wagner-Kult die Person, das Leben und Werk des 1813 in Leipzig Geborenen überstrahlt und damit auch deformiert. Es ist eine der zähesten deutschen Legenden. Nicht die einzige und schon gar nicht die einzige im Zusammenhang mit der nationalen Identitätsfindung im 19. Jahrhundert.
Aber dieser Wagner kam eben nicht wie Lohengrin auf dem Schwan einfach so aus der Kulisse gefahren. Er ist in Leipzig geboren, wurde hier und in einigen wichtigen sächsischen Lebensstationen geprägt, wurde angeregt zu seiner Musikerlaufbahn und es waren Menschen aus Fleisch und Blut, die ihn formten, prägten, beeinflussten. Eine ganze Menge hat der Bursche auch selbst beigetragen zur Mystifizierung seines Werdegangs. Und seine Kindheit und Jugend rückten damit zeitweise völlig aus dem Blick der Forscher. Als wäre er fertig gebacken von seiner Kapellmeisterstelle in Dresden in den künftigen Ruhm geflohen.
Wie viel aber schon in seiner Leipziger Zeit angelegt wurde und wer da alles mitwirkte, das zeigt seit 2013 die Ausstellung mit vielen interaktiven Angeboten. Es ist keine museale Ausstellung. Dazu gibt es in Leipzig einfach zu wenige Wagner-Sammelgüter, die dauerhaft gezeigt werden könnten. Nicht nur sein Geburtshaus wurde 1886 abgebrochen, auch das Alte Theater, in dem er erstmals Kontakt zur Bühnenwelt bekam, und der alte Gewandhaussaal (in dem auch Mendelssohn-Bartholdy dirigierte) sind verschwunden. Das Leipzig, wie es Wagner von 1813 bis 1834 erlebte, gibt es nur noch in Rudimenten.
Eines davon ist die Nikolaischule, die von der Kulturstiftung Anfang der 1990er Jahre vor dem Totalverlust gerettet wurde. Zumindest die 1827 erneuerte Aula konnte in ihrer alten Anmutung wieder hergestellt werden – der einzige Ort, der dem jungen Wagner authentisch zugewiesen werden kann, auch wenn er seine Zeit an der Nikolaischule mit Frust erlebte und alsbaldigst auswich in seine selbst gewählte Karriere als Komponist. Die er sich quasi im Alleingang organisierte – mit Lehrzeiten bei professionellen Gewandhausmusikern und später bei Thomaskantor Weinlig.
In der Ausstellung lernt man all die Menschen kennen, die den teils nicht ganz einfachen Jungen begleiteten in dieser Zeit, in die auch seine ersten Kompositionen und Erfolge fielen. Und natürlich auch seine “Feen”, deren Wiederaufführung im Leipziger Wagner-Jahr 2013 wohl der Höhepunkt war. Eine Wiederentdeckung, die deutlich machte, wieviel der später so Berühmte sich in Leipzig schon erarbeitet hatte. Das Bild auf dem Cover des Katalogs zeigt Richard Wagner im Jahr 1833, also in der “Feen”-Zeit. Entstanden ist es wohl in Würzburg während seines dortigen einjährigen Aufenthaltes auf Einladung von Bruder Albert.
So schmal der Katalog zur Ausstellung mit seinen 80 Seiten scheint, so erstaunlich wirkt das Ensemble von Personen, die allesamt bemüht waren, den begabten Sohn eines Leipziger Polizeiaktuarius zu fördern und zu unterstützen. Oder die ihn anregten – wie Carl Maria von Weber oder Wilhelmine Schröder-Devrient.
Etwas schwerer fällt es, die damaligen Leipziger Lokalitäten wieder sichtbar zu machen. Von den diversen Wohnungen bis hin zu den Wirkungsstätten. Wobei sich Heinz-Jürgen Böhme in der Ausstellung an ein ganz erstaunliches Projekt gewagt hat: die computergestützte Rekonstruktion des alten Gewandhaussaales, wie er um 1830 aussah und wie ihn der junge Wagner noch erlebt haben muss.
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Die wichtigsten Bildmotive aus der Ausstellung präsentiert der Katalog schön groß. Vorn gibt es für Liebhaber dieses verschwundenen Leipzigs auch eine Stadtkarte von 1832, in die alle wichtigen Wagner-Stationen eingemalt sind. Man kann daraus also auch einen echten Wagner-Spaziergang machen, auch wenn man vor Ort dann seufzend feststellen muss: Es ist ja gar nicht mehr da. – Was ja auf Kintschys Gartenlokal (Nr. 13) genauso zutrifft wie auf den Gasthof “Zur Grünen Linde”, wo auch schon Wagners Vater sein Bierchen trank, die alte Thomasschule (Nr. 6), die Richard fleißig schwänzte, und natürlich die Nr. 1, sein Geburtshaus.
Mit Katalog und Ausstellung hat der Betrachter natürlich die ersten 20 Jahre dieses Richard Wagner in kompakter Form in der Hand. So kompakt, wie die ersten 20 Jahre im Leben der meisten Menschen sonst nicht sind. Hier ist (fast) alles angelegt – auch die frühe Begeisterung für Beethoven und für die Nibelungen, aber auch das Extrovertierte und Maßlose, ohne das der spätere Wagner nicht zu denken ist. Samt der frühen Begeisterung fürs Revoltieren, das auch schon in dieser Leipziger Zeit unübersehbar theatralische Züge annimmt.
Und am Ende ist noch ein bisschen deutlicher, dass ohne dieses Übermaß an Anregungen und Herausforderungen, die dieses Leipzig bot, aus dem kleinen Richard nie der große Wagner geworden wäre, der dann seine Erfolge feierte und so heftige Kontroversen auslöste. Und damit auch englischsprachige Wagner-Besucher etwas davon haben, bietet sich auch der Katalog zweisprachig dar.
Heinz-Jürgen Böhme “Der junge Richard Wagner”, Passage-Verlag, Leipzig 2013, 9 Euro
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