Mancher kennt den Schauspieler August Schmölzer aus Filmen wie "Schindlers Liste" oder Fernsehspielen wie "Der Chinese". Aber der Mann aus der Steiermark ist auch Autor. Im Merlin Verlag hat er jetzt seinen ersten Roman veröffentlicht. Keinen Krimi, auch wenn der Titel genau danach klingt: "Der Totengräber im Buchsbaum". Da und dort ist die Geschichte nahe dran, ins Krimi-Genre hinüberzukippen.
Immerhin geht es um den Tod eines Jungen, zweier Jungen … eine eigentlich erschreckende Serie beginnt den kleinen Ort zu beschäftigen, in den Josef nach Jahren der Wanderung durch die Welt zurückgekehrt ist. Man ist gern geneigt, den Ort irgendwo in der Steiermark zu verorten, so ein richtiges kleines Provinznest, in dem die Honoratioren im Hinterzimmer der Dorfkneipe tagen und die Welt bitteschön ordentlich zu sein hat. Leute, die anders sind und sich nicht einfügen, mag man nicht, Zugereiste schon gar nicht.
Es könnte also auch ein Kaff in Bayern sein, in Niedersachsen oder Sachsen. Dass es einmal mehr eine allegorische Geschichte ist, merkt man spätestens, als die Dinge sich wirklich seltsam zu entwickeln beginnen. Aus dem gemütlichen Nest mit seinen verbiesterten Bewohnern wird immer mehr ein kleiner Kosmos, der den nicht fassbaren Geschehnissen mit einer zunehmenden Verwandlung in einen Ort voller (Hilfs-)Polizisten begegnet. Irgendwie also ein vages Symbol für die Provinzialität heutiger Sicherheitspolitik.
Und mittendrin dieser Joseph, der behauptet, er hätte die Jahrzehnte draußen in der Welt als Fotograf herumgebracht, der sich aber auf nichts anderes bewirbt als den gerade frei gewordenen Job des Totengräbers. August Schmölzer arbeitet mit immer neuen Schnitten und Blenden, inszeniert seinen Roman wie einen im Schneckentempo sich entrollenden Heimatfilm. Die längeren Szenen, Totalen und Rückblenden bekommt natürlich Joseph, der ja in diesem Nest aufgewachsen ist. Stück für Stück wird seine Kindheit deutlicher. Die irgendwie verblüffend den Kindheiten der anderen Dorfprotagonisten ähnelt – mit maulfaulen und herrischen Vätern, die dazu neigen, ihre Erziehung mit dem Prügel durchzuexerzieren. Und obwohl diese tot sind, scheinen diese Kindheitswunden in all diesen Männern weiterzugären, die da nun Bürgermeister, Polizist, Arzt und Totengräber spielen. Sie scheinen Dialoge zu führen, die einem Muster genügen, diesem selbstgewissen Das-war-schon-immer-so-Ton, nur von sich selbst reden sie nie.Und Josef, der Zurückgekommene, scheint da bestens hineinzupassen. Für den Leser schleppt er seine Alpträume ganz offen mit sich herum. Immer wieder gleitet er ab in Zwiegespräche mit einem Jungen namens Michael, der ihn wie ein schlechtes Gewissen seit dem Krieg begleitet, in den Josef vor Jahren als Bildberichterstatter zog. Die Gräuel des Krieges haben ihn im Griff. Umso erstaunlicher, dass er in dieses Nest zurückgekommen ist, wo sich augenscheinlich nichts geändert hat, außer dass die Väter gestorben sind und die Söhne jetzt die alten Rollen spielen und vom Krieg reden, als wäre er die Lösung aller Probleme. Der Bürgermeisterwahlkampf wird zu einer Kampagne gegen die Zugezogenen. Und noch immer scheint die Polizei keinen Schritt weiter gekommen zu sein auf der Suche nach dem Mörder der Jungen.
Einziger Lichtblick: Josefs Jugendliebe Ragusa, die nun Witwe ist und mit Josef ein neues Leben beginnen möchte.
Schmölzer kniet sich tief hinein in die Welt dieses beispielhaften Kaffs, das so typisch ist, so verhakt in seine immergleichen Gespräche, Vorurteile, Verklemmtheiten. Man fühlt sich an die ganzen trostlosen Nester in den Geschichten von Selma Lagerlöf erinnert, an all die so verzweifelt von Liebe und Erfüllung träumenden Randgestalten, die immer wieder an der Borniertheit ihrer winzigen Welt scheitern, deren Horizont der nächste Berg ist, das nächste Kaff, in dem es genauso zugeht oder die Ignoranz des örtlichen Gutsherren. Strindberg war es, der diese beklemmenden Szenerien in Dramen wie “Totentanz”, “Traumspiel” und “Gespenstersonate” durchgespielt hat. Samt all seinen komplizierten Beziehungen zu den Frauen, an denen er litt. Erst recht dann, wenn sie ihn in die ganzen quälenden Gedankenkreise zu ziehen drohten, in denen er zu ersticken glaubte. Was vielleicht auch wirklich so war.Die Welt, die Strindberg beschrieb, ist ja nicht verschwunden. Sie hat sich nur verwandelt, kostümiert. Sie ist eine Vielzahl fast identischer Welten, in Österreich genauso zu finden wie in der deutschen Provinz. Sie lebt von der Abgrenzung, von diesem krachledernen “Mia san mia”, das seine Verkünder nicht einmal als provinziell begreifen, weil sie glauben, ihre Welt sei der Maßstab für alles. Schnell sind sie dabei, die benachbarte Stadt am Meer zu verdammen und vom Krieg zu träumen, der die ganze verfahrene Situation auflösen soll. Wie es auch der letzte und der vorletzte Krieg nicht geschafft haben.
Es ist eine Welt, die ihre Protagonisten zum Rollenspiel zwingt. Und bei Schmölzer wissen es die Akteure zumindest. Der Bürgermeister genauso wie der sprachgestörte Polizist, die beide eher hilflos versuchen, mit Joseph ins Gespräch zu kommen, mit dem Außenstehenden, der vielleicht versteht, was sie selbst nicht aussprechen können.
Da Schmölzer quasi ein allegorisches Kaff gestaltet hat, fehlt da und dort der lustvolle Sprung in die greifbare Wirklichkeit eines echten Kaffs. Was schade ist. Dazu bevorzugen leider inzwischen viel zu viele deutschsprachige Autoren die Allegorie. Was diesen Roman dann eher in den Bereich der Novelle rückt. Fast wünschte man sich einen Gottfried Keller als Lektor, der die ganzen Michael-Gespräche und Kriegsrückblenden hinausschmisse, dieses ganze Gegrübel, das die Geschichte nur aufhält und zäh macht, wo eigentlich nur zu zeigen ist, wie das Rollenspiel passiert. Eigentlich müsste Schmölzer es ja wissen, er steht ja auch auf Theaterbühnen und weiß, dass es nur auf die flotten Szenenwechsel und den Sog des Dramas ankommt, das das Publikum in den Sitzen hält. Aber irgendwie sind deutschsprachige Autoren wie besessen von diesem seltsamen “Beiseite” aus dem klassischen deutschen Drama, in dem die Klassiker ihre Kommentare zum Geschehen untergebracht haben, weil sie der eigenen Handlung misstrauten.
Der Totengräber im BuchsbaumAugust Schmölzer, Merlin Verlag 2014, 19,95 Euro
Und das hat dann irgendwann Eingang gefunden in den deutschen Seelenroman. Da wirkt es dann wie ein Bindemittel, das verhindert, dass eine Geschichte sich entscheidet – wird’s nun eine echte Kriminalerzählung, eine Romeo-und-Julia-Liebesgeschichte, die Geschichte einer Flucht, eine Tragödie …? Grübeln befördert das Unentschiedensein. Und das ist freilich wieder sehr deutsch und sehr österreichisch. Und an manchen Tagen nicht wirklich zu ertragen.
Sein Buch “Der Totengräber im Buchsbaum” stellt August Schmölzer am Samstag, 15. März, um 20.30 Uhr in der Plattenküche im Tapetenwerk (Haus A, Lützner Straße 91) vor.
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