Es klingt wie ein Filmtitel, ist aber keiner. Eher ist es ein Lebensgefรผhl, das auch ein paar der รlteren unter uns kennen. Denen oft gar nicht bewusst ist, dass die Jรผngeren mit diesem Gefรผhl aufwachsen. Es gehรถrt zu ihrem Alltag. Nicht erst seit 2008, als die internationale Finanzkrise begann und aller Welt vor Augen fรผhrte, dass die Welt tatsรคchlich in den Hรคnden einiger von Panik gesteuerten Alphamรคnnchen liegt, die schon lรคngst nicht mehr wissen, was sie tun.
Milliarden-Rettungspakete wurden aufgelegt, um das Bankensystem der westlichen Welt vor dem Zusammenbruch zu retten. Dafรผr rutschten die rettenden Staatshaushalte reihenweise entweder in gigantische Schulden โ wie in Deutschland โ oder gleich in die Zahlungsunfรคhigkeit โ wie in Spanien, Portugal, Island, Griechenland usw. โ Und fรผnf Jahre drauf war noch gar nichts ausgestanden. Die Staaten Sรผdeuropas stecken noch immer tief in der Krise. Und in der noch reichen Mitte wird gespart und gekรผrzt. Bei den Jungen zuallererst. Es sind ihre Jobs, die der Sparwut zum Opfer gebracht werden. Und nicht nur die Finanzkrise lodert am Horizont wie ein Vulkan, der nicht so recht weiร, ob er jetzt bersten soll. Andere Krisen sind genauso bedrohlich: Klimawandel, Lebensmittelkrise, Energiekrise โฆ es sind Worte, mit denen die heute 20-, 30-Jรคhrigen aufgewachsen sind. Ihr Leben lang sehen sie das Lodern in den Nachrichten, sehen sie, wie die Artenvielfalt weltweit zerstรถrt wird und wie ganze Lรคnder geplรผndert werden, um den Europรคern einen billigen Konsum zu ermรถglichen.
Auch wenn der klare Verstand das immer wieder von sich wegschiebt โ das Unterbewusstsein kann das nicht. Das Gefรผhl ist immer da: Das kann nicht mehr lange gutgehen. Staaten und Kommunen spielen lรคngst die Szenarien eines Blackout (totaler Stromausfall) durch, regelmรครig werden Epidemie-Szenarien durchgespielt. Ist unsere Gesellschaft รผberhaupt gewappnet fรผr das, was da droht?
Die Leipziger Journalistin Greta Taubert, die fรผr โZeitโ, โCiceroโ, โtazโ und โFASโ schreibt, hat es vor einem Jahr nicht mehr ausgehalten. Zu beklemmend war ihr dieses Gefรผhl, dass die Apokalypse jeden Moment zuschlagen kann โ und dann? Ist unsere Gesellschaft nicht lรคngst zu komplex, dass wir dann noch รผberleben kรถnnten? Kann man vorsorgen? Aussteigen? Was kann man tun fรผr den Tag, an dem die Systeme versagen? Oder: Was muss man tun?
Sie tat etwas, was auch Journalisten eher selten tun โ sie wagte den Selbsttest. Sie recherchierte alle mรถglichen Szenarien und probierte es selbst aus. Sie war in diesem einen Jahr, das sie sich vorgenommen hatte, mehrfach รผberrascht. Und eine รberraschung fรผr sie war, wie viele Suchende und Experimentierende es schon lรคngst gibt. Und dass es auch in Deutschland immer mehr werden: Menschen, die ahnen oder wissen, dass die Wachstumsspirale ein Ende hat. Die Ressourcen unseres Planeten sind endlich. Aber die Philosophie des kapitalistischen Systems braucht (scheinbar) das Immermehr, das permanente Wachstum von Verbrauch und Wohlstand und Profit. Sonst bricht es zusammen. Die Finanzkrise war ja kein Zufall, keine Erkrankung von ein paar Zockern, die zu lange mit ihren Computern allein waren.
Sie war sogar so logisch, dass sie ein deutscher Finanzminister zehn Jahre vorher ankรผndigen konnte. Denn Kapital ist verzweifelt. So verzweifelt, dass es sich immerfort vermehren muss. Und dabei jagt es wie wild nach immer hรถheren Renditen. Und wenn diese bei Aktien nicht mehr zu finden sind, werden sie bei Rohstoffen gesucht oder bei Immobilien. Und wenn sie รผberall zu niedrig sind, sucht man sie in Derivaten, in Wetten auf Kurse โฆ
Das Ergebnis ist bekannt. Gelรถst ist es nicht. Es wird lรคngst wieder gewettet. Das Spiel ist gnadenlos. Und frisst dabei seine eigenen Grundlagen. Wer auch nur drei Minuten drรผber nachdenkt, weiร, dass es krachen wird. Die Frage ist nur: Wann? Vielleicht noch: Wie? โ Und: Welche Ausstiegsszenarien gibt es?
Was feststeht, ist, dass es dann ums ganz Elementare geht: ums Essen, Heizen, Trinken, ums pure รberleben. Auch um die Frage: Kann man dann in einem Land wie Deutschland noch รผberleben? Und wie?
Die 285 Seiten in diesem Buch haben es in sich. Denn man kann sie auch als echtes Handbuch fรผr รberlebenskรผnstler lesen. In allen Schattierungen. Angefangen bei jenen Menschen, die sich fรผr den Totalausfall aller Systeme vorbereiten und dafรผr Vorrรคte bunkern โ Nahrungsmittel, Wasser, Gaskocher. Preppers nennen sie sich, von โto prepareโ, vorbereiten auf die Katastrophe. Es gibt sie auch in Deutschland, man kann sich die Notfallpakete sogar bestellen. Und zum ersten Mal begegnet Greta Taubert hier einem Phรคnomen, das im Verlauf ihrer Forschungen immer wichtiger wird: Es sind keine Einzelgรคnger, denen sie begegnet, sondern Menschen, die auf ihre Art wieder Netzwerke bilden und รผber ihr Thema intensiv kommunizieren.
Und man lernt was dabei โ etwa darรผber, dass man Notfallpakete nicht unbedingt so zusammenstellt, wie sich ein Bundesamt das vorstellt. Das schmeckt nรคmlich nicht. Aber wirklich autark wird man auch mit dem Notvorrat im Keller nicht. Also nimmt die Forscherin auch Kontakt zu Krรคutersammlern auf, die mitten in der urbanen Landschaft der Stadt Dinge finden, die man ernten kann. Selbst das Experiment Ur-Kost wagt sie โ und lernt dabei, wie viel Wissen die moderne Menschheit verloren hat in den letzten 60 Jahren. Das Haus der Groรeltern ist โ verglichen mit der Wohnung in der Groรstadt โ eine รberlebensarche. Und in solchen Kategorien denken auch viele Menschen, die in der groรen Stadt Pilze anbauen, Gemeinschaftsgรคrten grรผnden, sogar jagen. Auch dass will Greta Taubert mutig ausprobieren: Wenn es hart auf hart kommt, dann muss man doch in der Lage sein, das Tier selbst zu erjagen und zu zerlegen.
Der gekrรคnkte Mensch: Eine Buchbesprechung zum zweiten Teil in zwei Teilen (2)
Schon in Band 1 von โDer gekrรคnkte Menschโ โฆ
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Wer will, kann gleich zum Ende des Buches schauen, wo Greta Taubert eine Bilanz zieht. Eine ist natรผrlich die zunehmend kritischere Sicht auf unsere moderne Nahrungsindustrie. Und damit eine fast logische Folge: Man wird ziemlich freiwillig zum Vegetarier.
Ob man zum gesellschaftlichen Aussteiger wird, ist dann eher eine Frage des Mutes und der Ernsthaftigkeit, wie man sein Leben รคndern will. Aber auch das Vรถlkchen der modernen Nomaden, die Gemeinschaft wieder auf einer ganz einfachen Ebene leben, wรคchst. Man teilt (wieder): Nahrung, Besitz, Wohnung. Und die nรคchste รberraschung lauert: Es geht auch ohne Geld. Spanien wird fรผr die neugierige Journalistin zu einer echten Fundgrube, ein von der Krise tief gezeichnetes Land, in dem junge Menschen ganz systematisch neue Gemeinschaften und Lebensentwรผrfe proben. Das gibt es โ in rudimentรคrer Form โ auch in Deutschland. Wo die Geldflรผsse versiegen, weil das wild jagende Kapital schon lรคngst nicht mehr in lebendige Strukturen investiert, da werden solidarische Formen des Lebens und Wirtschaftens wieder tragfรคhig.
So tragfรคhig, dass sie sogar wieder zum Profitmodell fรผr groรe Konzerne werden โ wie das Autoteilen. โModedroge Sharing heiรt ein Kapitel und beschรคftigt sich auch mit dem รberdruss vieler Menschen am viel zu Vielen, am Besitz, den man so eigentlich nicht mit durchs Leben schleppen will. Im Internet wuchern die Tausch- und Teilbรถrsen, in die alles eingestellt wird, auf was die Besitzer verzichten wollen oder das sie teilen wollen mit anderen. Aber auch die Welten wachsen, in denen Menschen gemeinsam den Ausstieg organisieren โ in neu besiedelten Dรถrfern oder in Bauwagenburgen.
Man merkt schon beim Lesen, wie sich die Sicht der jungen Forscherin รคndert mit jedem Experiment, das sie wagt. Am Ende resรผmiert sie dann selbst: Die Angst vor der Apokalypse schwindet, je mehr Menschen sie kennenlernt, die sich mit eigenen Lebens- und Weltentwรผrfen unabhรคngiger machen. Und รผberall trifft sie auf das, was man so flapsig communities nennt. Netzwerke, die auch dann noch funktionieren, wenn man ohne Geld unterwegs ist. Es entstehen neue solidarische Gemeinschaften unterschiedlichster Couleur. Und es entsteht ein neuer Tauschwert unabhรคngig vom Geld: die gegenseitige Unterstรผtzung.
Und es passiert noch etwas: Das Leben bekommt einen neuen Sinn, wenn man wieder lernt, sich wesentliche Dinge selbst anzueignen โ von der selbst geernteten Gurke bis zum selbst geschneiderten Kleidungsstรผck. Die Konsumsucht hรถrt auf, das Pflaster fรผr das tรคgliche Elend zu sein. Dafรผr lernt man eine Menge Leute mit verrรผckten Ideen, Trรคumen und Projekten kennen. Dafรผr reist Greta Taubert auch in die entlegensten Winkel des Landes โ manchmal auch nur um fรผr sich festzustellen: Das ist nun wirklich zu asketisch.
Und das Seltsame ist: Je weiter sie in ihrem Selbst-Erkunden geht, umso berรผhrender werden diese Erlebnisse mit Menschen, die bereit sind zum Teilen, Helfen, Mitmachen. Das hat viel mit der Distanz zu tun, die Geld als โAllheilmittelโ herstellt โ Distanz zu den eigenen Wรผnschen und Emotionen. Emotionen, die wieder frei werden, wenn das Geld als Stรถrfaktor wegfรคllt. Es ist auch ein Buch zum Selbstausprobieren. In den Texten verstreut sind Dutzende Adressen im Web, wo sich die diversen Lebensforscher zusammengefunden haben und oft heftigst diskutieren รผber die Werte unseres Lebens.
Natรผrlich bleibt da die Apokalypse auf der Strecke. Denn wer (wieder) fรคhig ist, das Leben selbst zu gestalten und Alternativen zu entwickeln, der hรคngt nicht mehr so panisch an den Untergangsmeldungen der selbst von Panik besessenen Medien. Was dann einen weiteren Aspekt erรถffnet, der natรผrlich in diesem Buch nicht auch noch beleuchtet werden konnte: Woher kommt die Panikstimmung eigentlich, die unsere Gesellschaft mittlerweile durchtrรคnkt? Und wer profitiert davon? Eine richtig spannende Frage.
Aber fรผr alle, die die Panik spรผren, ist diese Buch der beste Beginn fรผr ein etwas anderes, selbstbestimmteres Leben.
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