Eigentlich hat nicht der Maler Paul Gauguin in diesem Jahr sein großes Jubiläum, sondern sein Vater, der Journalist Clovis Gauguin, der vor 200 Jahren geboren wurde. Und der dafür sorgte, dass das Exotische schon frühzeitig im Leben seines Sohnes Paul präsent war, denn über seine Mutter Aline Marie Chazal hatte Paul auch ein bisschen peruanisches Blut in den Adern.
Dass er anfangs eigentlich ein erfolgreicher Börsenmakler war, der wohl ohne den Börsenkrach von 1882 gar nicht so leicht auf den Gedanken verfallen wäre, sich eine Existenz als Künstler aufzubauen, ist heute fast vergessen. Was einem sofort einfällt, wenn der Name Gauguin ins Gespräch kommt, sind seine leuchtenden Bilder aus der Südsee. Aber auch diese wären nie entstanden, wenn er sich nicht zuvor schon als erfolgreicher Maler etabliert hätte. Aus einer Versteigerung seiner Bilder finanzierte er die Reise nach Tahiti.
Und der Betrachter kann heute rätseln: Hat er wirklich dort erst die Pracht der leuchtenden Farben entdeckt? Oder steckt das alles auch schon in seinen Bildern, die er zuvor in der Bretagne und dann in Arles gemalt hatte? Oder gar auf Martinique, wo er schon vorher war?
Der E. A. Seemann Verlag stellt dieser Tage eine große Biografie über “Gauguin und seine Zeit” vor, verfasst vom Kunsthistoriker Eckhard Hollmann, der in Leipzig studiert hat und in München lebt. Sie zeigt den exzessiv lebenden Künstler. Das Ohr, das sich van Gogh in Arles abschnitt, hat ja mit Gauguin zu tun, dessen Bilder immer wieder auch die expressive Nähe zu van Gogh zeigen.
Paul Gauguin. Memo
Seemann-Verlag 2014, 9,90 Euro
Zu mehren anderen Künstlern hat E. A. Seemann auch schon ein Memo-Spiel vorgelegt – in standardisiertem Kistchen, 36 Motive, 72 Kärtchen, die man zum gemeinsamen Spiel verwenden kann – oder auch zum Lernen. Denn die Bildausschnitte werden auf einem Beizettel ordentlich erklärt mit Bildtitel, Entstehungsjahr, Format und Ausstellungsort. Wer einen dieser Gauguins sehen möchte, muss schon ein wenig herumreisen in der Welt. Die Nr. 1, “Bonjour, Monsieur Gauguin”, hängt in der Narodni Galerie in Prag, die Nummer 2, “Vahine no te Vi” in Baltimore im Museum of Art, die Nummer 3, “Madame Roulin” im Saint Louis Art Museum. Und so weiter. Die Bilder sind genauso weit gereist wie der Künstler, der 1903 starb und den der Verlag mit den Worten im Katalog zitiert: “Alle Zweifel sind geschwunden. Ich bin und bleibe ein Wilder.”
Was von den Zeitgenossen durchaus nicht nur als künstlerisches Pathos verstanden wurde, sondern auch als Kontrapunkt zu einer bürgerlichen Welt, die sich ihrer Wildheit immer mehr entäußerte. Die Entdeckung der Wildnis ging einher mit der beginnenden Zerstörung der Paradiese. Da und dort hat Gauguin den Beginn dieses Prozesses ja auch eingefangen. Das dargestellte Idyll am Strand ist schon die voyeuristische Sicht des westlichen Reisenden. Das weiß Gauguin, auch wenn seine Bilder wie ein exotischer Wind in die französische Kunstwelt seiner Zeit hineinblasen. Zeitgleich wurden auch noch andere exotische Moden gefeiert – die der asiatischen Kunst wird in einigen Bildern Gauguins sogar aufgegriffen, mal als Hintergrundzitat, mal als eine stilistische Anverwandlung bei einem Küstenbild. Durchaus auch ein Blick auf die nahe liegende Wildnis. Und die gemalte Einsicht in die schlichte Tatsache, der der Käufer der Bilder sich zwar vom Dargestellten faszinieren lässt, das Exotische aber gerade deshalb goutiert, weil es fremd bleibt. Und damit wild. So, wie sich der Künstler selbst gefühlt hat im Widerspruch zwischen gemalter Expressivität und den Erwartungen eines gezähmten Kunstmarktes.
So wirken seine Bilder noch heute. Die von den polynesischen Frauen am Strand genauso wie die von den bretonischen Bäuerinnen in ihren traditionellen Kostümen. Aber auch jene mit leuchtenden Farben hingeworfenen Stillleben, die von der Leinwand zu drängen scheinen. Impulsiv hingeschmettert, wie es van Gogh vorgemacht hat. Wer also abends beim Zweisamsein am Küchentisch ein bisschen Farbe und gauguinsche Wehmut ausbreiten will, kann das mit diesen 72 Kärtchen tun, sich seine Gedanken machen darüber, warum das 1901 gemalte Bild “Die Furt” auch “Die Flucht” heißt oder warum Gauguin ein Jahr vor seinem Tod ein Stillleben mit toten Papageien gemalt hat. Jedes Bild wirkt dabei irgendwie vertraut und doch fremd. Und das wohl auch, weil wir heute unsre Sehnsucht nach der Wildnis längst gezähmt haben und auch gar nicht mehr nach Tahiti fahren, weil wir den schmerbäuchigen Schiffsladungen von Touristen nicht begegnen wollen, die die ganze Welt zu einem Trampelpfad der Beliebigkeiten gemacht haben. Dann lieber ein echter Gauguin im Wohnzimmer. Oder eine echte Polynesierin.
“Paul Gauguin. Memo”, E. A. Seemann Verlag, Leipzig 2014, 9,90 Euro.
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