Ist es ein Märchen? Eine Operette? - E kommt ein wenig märchenhaft daher, wenn Julius H. Schoeps, Historiker und Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien, sein Buch so betitelt, das sich mit einer völlig verunglückten Expedition im Jahr 1892 auf die arabische Halbinsel beschäftigt, ausgerüstet von einem Mann namens Paul Friedmann.

Mit 22 angeworbenen Juden aus Russland wollte der Mann, der über genug eigenes Kapital verfügte, im Lande Midian, einem Landstrich am Roten Meer, eine Kolonie gründen, Keimzelle für einen möglichen jüdischen Staat. Womit er – scheinbar – in eine Reihe mit Leuten wie Hirsch und Herzl gehört, die in dieser Zeit, als insbesondere in Russland die Judenvertreibung neue Dimensionen annahm, an der “Lösung der Judenfrage” (Herzl) und der Gründung eines eigenen jüdischen Staates arbeiteten. In Argentinien vielleicht, vielleicht im Heiligen Land.

Aber gehört Friedmann wirklich in die Reihe? – Schoeps hat, was aktuell an Quellen zu seiner Expedition in den Archiven noch zu finden ist, neu ausgewertet. Und Quellen gibt es einige. Friedmanns Expedition erzeugte schon mediale Wellen, als er daran ging, Teilnehmer für seine Expedition unter den aus Russland vertriebenen jüdischen Familien zu werben. Der Vertrag, mit dem er die Leute an sich band, geriet genauso in die Kritik wie das Abenteuerliche seiner Reise.
In welches Konfliktgebiet er da geriet, merkte Friedmann an dem Tag, als in der Nähe seines so forsch gegründeten Lagers auf einmal türkische Soldaten auftauchten. Ein ganzes Kapitel in seinem Buch hat Schoeps ganz den Depeschen all der Mächte gewidmet, für die die Friedmannsche Expedition auf einmal zu einem politischen Problem wurde – englische, österreichische und deutsche Quellen vor allem. Es gebe wohl auch Hinweise auf Dokumente in der Türkai und Ägypten, aber derer konnte auch Schoeps nicht habhaft werden.

Und beide Länder spielten dabei am Roten Meer eine wichtige Rolle. Der türkische Sultan wollte seine Einflusssphäre unbedingt Richtung Suez-Kanal ausweiten, die Engländer – mit Ägypten verbündet – wollten das auf jeden Fall verhindern. Friedmann brachte mit seiner Expedition 50 Jahre lang friedlich schlummernde Grenzstreitigkeiten wieder auf die Tagesordnung und die beteiligten Mächte hatten hinter den Kulissen alle Hände voll zu tun, einen ernsteren Konflikt zu vermeiden.

Dass Friedmann dabei eine derart blauäugige Rolle spielte, bringt Schoeps in Verbindung zum gängigen Orientbild der Deutschen, dem im Buch auch ein eigenes Kapitel gewidmet ist. Ihr Bild war von zahlreichen Künstlern geprägt, die von ihren Orientreisen vor allem Bilder des Exotischen und Märchenhaften mitbrachten und damit auch eine Erwartung bedienten, die beim deutschen Bildungsbürger von “1.001 einer Nacht” und Wilhelm Hauff geprägt war. Und die sich dann auch in den Romanen Karl Mays wiederfand. Und nicht nur bei ihm. Das Bild vom romantischen Orient und seinen edlen Bewohnern überlebte ja bis in die jüngere Zeit auch in den Werbeprospekten der Reiseunternehmen.

Es brauchte schon etliche Kriege, Bürgerkriege und Terroranschläge, um dieser verklärenden Vorstellung den Garaus zu machen. Umso stärker waren diese Vorstellungen natürlich zu Friedmanns Zeit, der augenscheinlich auch nach Scheitern seines Ansiedlungsversuchs nicht wirklich ahnte, welche politischen Nervositäten er da ausgelöst hatte. Aber es ist nicht nur die Haltung dem Orient und den Bewohnern des Gebietes gegenüber, in dem Friedmann seine Kolonie gründen wollte, die verstört. Noch verstörender ist seine Haltung zu den 22 jüdischen Männern, die er mitgenommen hat und die er wie Söldner behandelt, die parieren müssen.

Ein spätes Dokument aus dem Jahr 1911 zeigt, wie sehr Friedman sich mit dem Wilhelminischen Kaiserreich und seinem Auftreten in der Welt identifizierte. Er ist zwar zeitlebens auf Reisen, genießt das Leben im Jetset der Zeit. Aber dieser Jetset wird in seinem Denken nicht so anders gewesen sein als das maßgebliche Bürgertum in den führenden Nationen Europas – geprägt von starkem Nationalismus und einer gewissen Überheblichkeit der Kolonialmächte, die sie ja alle waren. Deswegen verkaufte sich das Buch, aus dem Schoeps die Illustrationen für dieses Buch genommen hat, auch in Frankreich. Die Sicht auf die Welt ähnelte sich und es brauche bekanntlich mehr als nur den 1. Weltkrieg, um auch dieser Haltung ein Ende zu bereiten.

Friedmanns Versuch, auf eigene Faust einen Judenstaat zu gründen, wird damit nicht verständlicher. Er selbst hatte zwar jüdische Wurzeln, war aber getaufter Christ. Und viele seiner Handlungen zeigen, wie fremd ihm die jüdische Religion schon war. Zeitzeugen bescheinigen ihm zwar den guten Willen. Aber eigentlich müsste er die komplexen Diskussionen um die Gründung eine eigenen jüdischen Staates und all ihre Probleme gekannt haben.

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Der König von Midian
Julius H. Schoeps, Koehler & Amelang 2014, 29,95 Euro

Anerkannt war er vor allem als Historiker – er hatte eine für Aufmerksamkeit sorgende Anna-Boleyn-Bigrafie geschrieben.

Was ihn nicht davor bewahrte, auf die mentalen Prägungen seiner Zeit hereinzufallen und zu glauben, man brauche nur ein Schiff auszurüsten und könne mit 100 alten österreichischen Gewehren und einer kleinen Kanone auf der arabischen Halbinsel einfach mal einen Staat gründen. Es ist auch diese verklärende Haltung zur Welt (und die eigene Glorifizierung als “überlegene Nation”), die die Nationen Europas in all die Kriege des 19. und 20. Jahrhunderts stürzte.

Da Friedmann zeitlebens auf Reisen war, scheint auch sein Nachlass irgendwo verschollen zu sein, so dass dem eigentlichen Akteur in dieser Geschichte nur in wenigen Briefen und Schriften auf die Spur zu kommen ist. Der Rest verliert sich im Dunkeln, so wie auch Friedmanns Todesjahr und Todesort.

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