Der Umschlagtext macht neugierig. Da wird von Friedrich dem Gebissenen erzählt, der "am 16. November 1323 in Folge der Darstellung eines geistigen Schauspiels von klugen und unklugen Jungfrauen" starb. Friedrich der Gebissene, den Wikipedia lieber als Friedrich der Freidige präsentiert, war nicht nur der letzte Staufer-Spross, er war auch noch Landgraf zu Thüringen und Pfalzgraf zu Sachsen und einer der Markgrafen von Meißen. Deshalb starb er in Eisenach. Aber in diesem opulenten Band geht es nicht um Kaiser, sondern um Theater.

Es ist in mehrfacher Hinsicht eine Felderkundung. Nicht nur, was das Amateurtheater betrifft. Diesen Blickwinkel hat der Band nur, weil sich der Landesverband Amateurtheater Sachsen e.V. aufgerafft hat, einmal die Geschichte des Laientheaters in jenem Raum zu erkunden, der irgendwie historisch Sachsen darstellt. Was schon einmal eine willkürliche Grenzziehung ist. Aber wohl notwendig, sonst wäre den Autoren das Material unter den Händen zu einem Riesenberg aufgequollen. Das hätte keiner mehr bewerkstelligt.

Sie haben mit dem Jahr 1500 auch eine Grenze gesetzt. Schon so war der Zugriff auf archivalische Quellen schwierig bis unmöglich. Denn für all die Varianten des Laienspiels galt bis in die Gegenwart eine fast schon verblüffende Geringschätzung. Und das, obwohl so Manches aus dem Laienspiel es sogar bis in den Lehrstoff der Schulen schaffte – man denke nur an die Singspiele des Nürnbergers Hans Sachs. Die auch deshalb Erfolg hatten, weil sie sich mit dem Geist der Lutherischen Reformation verbanden. Sie zeigten aber auch, mit welchem Fleiß das Bürgertum sich auch ins Kultur-Machen schickte, auch wenn einen heute die moralische Strenge gepaart mit einer sehr handwerklichen Sinnenfreude zuweilen sehr fremd anmuten. Aber da ist man schon mittendrin in einer der wichtigsten Strömungen des Laienspiels, das immer auch eine Befreiung war aus dem gestrengen Rollenspiel des Alltags.Denn in Nürnberg wie in Sachsen fand ein großer Teil dieses bürgerlichen Bühnenspiels in der Fastenzeit statt, wurde manchmal von der Obrigkeit regelrecht in diese Zeit hineingedrängt, die bis in die Neuzeit auch als eine Auszeit galt im ansonsten gestrengen Kirchenjahr. Und ob nun Bergleute, Handwerker, Kaufleute – sie nutzten diese Aus-Zeit weidlich, um auch gegen die gestrenge Moral und Sitte der Kirche zu scherzen und zu schabernacken, den Teufel auf die Bühne zu zitieren und wider den Stachel zu löcken. Deswegen beschränken sich die Autoren des Bandes auch nicht nur auf Schultheater, Weihnachtsspiele oder das Freiberger Weltgericht auf dem Marktplatz. Sie gehen auch auf die anderen Strömungen des Maskenspiels ein, die bis weit ins 18. Jahrhundert in Sachsen lebendig waren – Gregoriusfeste, Christlarven, Engelsscharen, Weynachts-Fratzen.

Manchmal überlebte in solchen Bräuchen altes, heidnisches Brauchtum, manchmal waren diese Umzüge in Verkleidung auch direkte Reaktionen auf die Christianisierung. Der Knecht Ruprecht etwa als Begleiter des lieben Bischofs Nikolaus mit seinen Gaben. Der Hinweis auf den Tod Friedrich des Gebissenen zeigt aber auch, dass die Tradition der christlichen Laienspiele viel älter ist als nur 500 Jahre. Gestorben ist der sowieso schon seit 1321 durch einen Schlaganfall Gelähmte wohl durch die “große Aufregung darüber, dass den törichten Jungfrauen auch die Anrufung der Heiligen nicht half”. Was mit der tiefen Gläubigkeit Friedrichs zu tun hatte. Aber wie man sieht: Selbst ein christliches Erbauungsstück, das sich eng an die Bibel hält, kann seine Zuschauer zu Tode erschüttern.

Diese christlichen Erbauungsstücke wusste dann auch Luther zu schätzen. Aber mit der Reformation begann auch die Vertreibung der alten, burlesken Theaterbräuche und Maskenspiele. Meist waren es die zuständigen Bischöfe, die nicht nur die Kanzeln nutzen ließen, gegen die Teufeleien zu wettern. Sie riefen auch die irdischen Gerichte an. Und manchem Laiendarsteller blieb am Ende nur die Flucht über die Landesgrenze, um der Strafe zu entkommen. Das Theater verschwand natürlich nicht. Und das burleske Volkstheater auch nicht – sonst hätten sich Gottsched und die Neuberin im 18. Jahrhundert ja nicht die Mühe machen müssen, den Harlekin von der Bühne zu vertreiben. An vielen Stellen sind die Grenzen zwischen Amateurtheater und der Arbeit professioneller Schauspieler fließend.

Gerade im bürgerlichen Zeitalter entwickelten sich beide Welten fast parallel. Neben den offiziellen Bühnen mit bezahlten Schauspielern entstanden vor allem in den größeren Städten immer wieder auch Laienspielgruppen. Liebhabertheater nannte man das. Aber selbst an den Höfen des Adels blieb die Liebe zur Maskerade lebendig. Ulrich Rosseaux erzählt von den regelrechten Inszenierungen am Hofe August des Starken, der sich auch selbst gern verkleidete.

Spätestens ab dem 18. Jahrhundert beschäftigten sich Laientruppen auch verstärkt mit den großen Dramen der Gegenwart, inszenierten mit emsigem Fleiß Goethe und Lessing. Und manche Theaterkritik aus dem 19. Jahrhundert lässt ahnen, dass einige Laienbühnen in der Qualität spielend das Niveau der professionellen Bühnen erreichten. Die Lust der Bürger am Maskenspiel ist im Grunde nie abgerissen. Sie nahm nur immer neue Formen an. Bis hin zu unübersehbar politischen Formen, wie sie das Arbeitertheater der 1920er Jahre zeigte.Ist es eine Überraschung, dass ausgerechnet die DDR-Zeit fast die Hälfte des Buches füllt? Eher nicht. Sie ist deutlich besser dokumentiert als die Jahrhunderte davor. Sie ist auch in ihrer engen Wechselwirkung mit der Kulturpolitik im Land erforscht – man denke nur an die Rolle der “Bitterfelder Konferenz” auch für die “Arbeiterbühnen” im Land. Und es ist auch recht gut dokumentiert, wie sich die Amateurtheaterszene in den 1980er Jahren wandelte und zu einem jener Schau-Plätze wurde, auf denen die gesellschaftskritische Diskussion stattfand und inszeniert wurde. Ein Weg, den unter den professionellen Bühnen nur wenige gingen. Möglich, dass die Nomenklatura das Spiel der Amateurtruppen ganz ähnlich wie das der Kabaretts als ein Ventil betrachtete. Das wird in diesem Band nicht näher ausgeleuchtet. Aber die große Blüte all dieser zum Teil grandiosen Theaterexperimente in den 1980er deutet darauf hin, dass hier ein Freiraum entstanden war, den kluge Theatermacher auch mit Witz und Spiellust zu füllen wussten.

Diese Blüte wurde so Manchem erst in den frühen 1990er Jahren bewusst, als die alten staatlichen Förderbedingungen wegfielen – viele der freien Theatergruppen waren an Kulturhäuser, Hochschulen, Schulen und Betriebe angebunden. Trotzdem wagten etliche dieser Gruppen den Weg in die neue Freiheit, suchten sich neue Räume und Geldgeber. Das Lofft in Lindenau und das Theater Fact sind aus diesem großen Umbruch hervorgegangen.

Aber die Autoren in diesem Band beschäftigen sich auch mit den ebenso nie wirklich verschwundenen Spielarten des Mundarttheaters, das vor allem im Erzgebirge und in der Lausitz lebendig blieb.

Zwar bedauern die Herausgeber am Ende des Buches, dass sie viele Themen nur anreißen konnten. Aber das ist im Grunde der wichtigste Verdienst dieses Bandes: Er erhellt erstmals ein Spiel-Feld, das so auch und gerade von der Theater-Geschichtsschreibung meist ausgeblendet wird. Und damit eine kulturelle Tradition, in der sich die unmittelbare Spiel-Lust der Bürger selbst zum Ausdruck brachte.

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Auf der Scene
Sax-Verlag 2013, 24,80 Euro

Da ging es immer um all die Dinge, die das menschliche Leben definiert – das alltägliche Rollenspiel, die gelebte Moral, die Selbstdarstellung einer erstarkenden Gesellschaftsschicht. Und natürlich die Freude an Verwandlung, am Aus-der-eigenen-Haut-Schlüpfen. Und – spätestens im 20. Jahrhundert – an der Debatte über eine Gesellschaft, in der man sich nicht mehr zuhause fühlte.

Und es kam immer auch hinzu – bei Fastnachtsspielen genauso wie beim von einer ganzen Gemeinde einstudierten Lustspiel -, dass die Grenze aufgehoben war zwischen Zuschauer und Schauspieler. Wer wollte, konnte selbst da oben stehen und seine Rolle spielen. So gesehen, war das Amateurtheater, das im Lauf der Zeit auch immer wieder seinen Namen änderte, auch immer ein Spiegel der Gesellschaft. Und oft ein weit besserer als etwa das professionelle Theater, das sich von den Amateuren auch immer wieder bedroht sah. Eine Diskussion, die bis in die Gegenwart immer wieder aufflammt.

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