Auch in der Welt der Krimis ist ein solcher Sicherheitshinweis eher selten: "Wir bitten Abstand zu nehmen, die Anleitungen nachzumachen oder zu testen." - "Sollten Sie dennoch auf den Geschmack gekommen sein ..." - So recht weiß auch der fhl Verlag nicht, was besser wäre. Immerhin spielt auch dieser neueste Kurzgeschichtenband mit der Lust der Leser und Autoren mit dem Makabren in uns.

Und das gleich 15 Mal und mit beinah wissenschaftlicher Konsequenz. Es kann also wirklich schief gehen. “Nachahmer werden also nachdrücklich gewarnt!” Denn wie das so ist im Leben: Es geht gern auch mal schief. Besonders, wenn die aus dem fhl Verlag bekannte Autorenrunde sich abspricht und systematisch an die Sache heran geht. Krimi-Erfahrung haben sie ja alle. Und ein gut Teil dieser 14 Autorinnen und Autoren hat auch schon Bücher und Geschichten vorgelegt, in denen sie konsequent die Seite gewechselt haben – nicht der ermittelnde Kommissar (wahlweise auch ein übermotivierter Journalist, Privatdetektiv oder Pfarrer) erkundet das Verbrechen, sondern der Täter selbst wird quasi mit Kameradrohne begleitet.

Oder der Erzähler schlüpft gleich ganz und gar in die Haut des Mörders oder dessen, der durch allerlei psychologische Gründe zu Taten getrieben wird, die mit dem Strafgesetzbuch nicht vereinbar sind. Manchmal gelingt auch das, kommt eine diabolische Gestalt dabei heraus, die den Willen zur Rache mit bekannten oder nicht so bekannten menschlichen Motiven verbindet. Denn Mord und Totschlag entstehen ja nicht ohne Ursache – es gibt immer tiefe, zuweilen sehr diffuse Schichten, aus denen die Motive sprudeln, aus denen heraus Menschen handeln.Oft genug scheinbar irrational. Auch wenn sich das Tatmotiv dann doch meist aufs schnöde Geld, auf Sex, Macht und Angst vorm Erwischtwerden reduzieren.

Die Sache mit dem Gift ist auch nicht neu. Mit Giften räumten auch schon die alten Griechen und Römer unter den Leuten auf, die ihren Interessen im Wege standen. Aber so systematisch hat es bislang zumindest in hiesigen Gefilden noch keine Autorenrunde angepackt. Sie gingen nicht in die Apotheke, um sich da die klassischen Giftportiönchen zu besorgen, sondern nahmen sich das vor, was in der freien Natur allerwege wächst und gedeiht. Fürsorgliche Eltern weisen ihren Nachwuchs darauf hin: Fass das nicht an, steck es nicht in den Mund, denn es ist giftig. Das betrifft nicht nur diverse Pilze, sondern auch Pflanzen.

Das Buchprojekt hat einen gewissen Vorlauf, denn Kerstin und Andreas Müller haben die 15 verwendeten Pflanzen zuvor in freier Natur noch fotografiert. Diese Fotos zieren jede einzelne Geschichte. Der Rest war dann eine Frage der Phantasie: Wie bekommen es die beteiligten Autorinnen und Autoren hin, das Gift der benannten Pflanze dann auch zu mörderischer Anwendung zu bringen?

Was für sich ja schon eine Heidenarbeit ist, denn in der Regel muss es ja nicht nur an der richtigen Stelle gefunden (oder gezüchtet) werden, es muss auch in irgendetwas verarbeitet werden, was das auserkorene Opfer dann freiwillig zu sich nimmt. Sind ja nicht alle wie Sokrates, der seinen Schierlingsbecher überliefertermaßen mit Gelassenheit leer trank. Was ihm dann die heftigen Leiden beim Wirken des Schierlings nicht ersparte, wie seine Schüler zu berichten wussten.

Nicht alle Autoren kaprizierten sich dabei auf die klassische englische Story aus dem makabren Genre, bei der ziemlich schnell klar ist, wie die Sache läuft und warum der Bösewicht nun aus der Welt muss – möglichst so, dass der Täter – oder noch häufiger die Täterin – ungeschoren und unentdeckt davonkommen. Manche drehten gleich noch ein Stück weiter und ließen die Sache dann sehr zum späten Entsetzen ihrer Giftmischerinnen und Giftmischer grässlich schief gehen. Was nicht immer auch bedeutet, dass ein naives Schaf, das von Alledem nichts geahnt hat, mit dem Leben davon kommt. Manchmal langt das Schicksal auch fürchterlich daneben und die positiven Helden, die man eben noch so gut verstanden hat in ihrer Not, müssen dran glauben.Und es gibt auch ein paar beinah märchenhafte Geschichten dabei, in denen das uralte Motiv der zwei ungleichen Schwestern zum Beispiel gleichnishaft wiederbelebt wird. Es müssen ungetreue Ehemänner, verbiesterte Nachbarn, aber auch die Giftmischer selbst dran glauben. Denn manches Gift wirkt nicht ganz so perfekt, wie es sich die Täter gewünscht haben, da kann auch schon mal ein halluzinierendes Opfer selbst der Sache eine dramatische Wendung geben.

So manche Leserin und mancher Leser wird nach dem Lesen ganz bestimmt in auffälligen Kurven durch die Natur laufen – Eiben, Hortensien und Goldregen ausweichen und bei der Entdeckung von Bilsenkraut, Engelstrompete oder Herbstzeitlosen in Nachbars Garten sehr misstrauisch werden. Aber wann ist dann der Zeitpunkt gekommen, die Polizei zu verständigen? Wenn die Nachbarn den Strauch abernten und kleinhächseln? Oder wenn die Nachbarin ein paar Tage nicht gesehen wurde? – Und ist jetzt jeder bitter schmeckende Tee eine Lebensgefahr? Und wie ist das nun mit Safran auf dem Reis? Sollte man da nicht besser die Brille aus dem Bad holen und vorsichtshalber das Telefon neben den Teller legen, um schnell den Notruf auslösen zu können? Und wie ist das eigentlich, wenn ältere Leute einem einen selbstgemachten Kräuterlikör zu Weihnachten schenken? Wem spendiert man den am Besten, wenn man nichts riskieren will?

Fragen über Fragen. Die manchmal auch nicht beantwortet werden. Mancher Unglücksrabe nimmt sein Wissen mit ins Grab. Andere bekommen ihre untreuen Ehemänner in einem Zustand zurück, in dem sie nie wieder untreu werden können.

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Giftmorde
Andreas M. Sturm, fhl Verlag Leipzig 2013, 12,00 Euro

Man lernt zumindest, dass Giftmischer auch nur Menschen sind mit all ihren durchaus suspekten Trieben und Leidenschaften. Andere Leute würden einfach ihre Koffer packen und die kleine selbstgeschaffene Lebenshölle verlassen, um anderswo was Neues zu probieren. Aber wenn man dabei in der Begleitung eines ach so geliebten Wesens ist, das nur Schlimmes ausbaldowert, was dann?

Ein Grundkurs in Pflanzenkunde kann also wirklich nicht schaden. Dann ist man zumindest dann und wann ein bisschen vorgewarnt, wenn seltsame Pflanzen in der näheren Umgebung auftauchen, die da für gewöhnlich nicht hingehören – Fingerhut etwa oder ganze Alraunenbeete. Dann ist es wirklich an der Zeit, die Kleingärtnergemeinschaft zu alarmieren und mal ein ernsthaftes Wörtchen über den Gartenzaun zu wechseln.

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