Am Anfang stand ein friedensstiftendes Projekt: die Übersetzung eines Janusz-Korczak-Lesebuches aus dem Polnischen ins Bosnische. Die Schweizerische Janusz-Korczak-Gesellschaft wollte so mit den Geschichten eines großen polnischen Menschenfreundes etwas zur Wiederherstellung eines friedlichen Menschenbildes im 1992 bis 1995 vom Bürgerkrieg zerrütteten Bosnien tun. Marina Trumic konnte als Übersetzerin für dieses Projekt gewonnen werden.
Ein Glücksfall, denn Marina Trumic, geboren 1939 in Belgrad, war nicht nur studierte Slawistin, Journalistin und Radiodramaturgin, sie war auch selbst Dichterin. Sie arbeitete am Institut für slawische Sprachen in Warschau, war also auch in beiden Sprachen zu Haus – Polnisch und Bosnisch. Und dennoch war sie verblüfft, als sie mit der Übersetzung der ausgewählten Texte für das Lesebuch begann, wie komplex diese Übersetzung war. Denn der Warschauer Arzt, Kinderbuchautor und Pädagoge Janusz Korczak beschäftigte sich in seinen Schriften ausgiebig auch mit der Sprache der Kinder. Die Straßensprache der Kinder ging auch in seine Geschichten ein. 1999, als das fertige Lesebuch “Guter Geist der Menschheit” vorgestellt wurde, erzählte Marina Trumic von den Schwierigkeiten der Übersetzung – und der Faszination, die sich auftat, als sie endlich im Stoff stand.
Die Schweizerische Janusz-Korczak-Gesellschaft war so glücklich über die Zusammenarbeit, dass sie nun auch Marina Trumic übersetzen lassen wollte – vom Bosnischen ins Deutsche. Letzter Auslöser war der Tod der Dichterin im Jahr 2011.
Jetzt war es Cornelia Marks, freiberufliche Übersetzerin und mehrfache Teilnehmerin des Poesiefestivals in Sarajevo, die sich einer filigranen Übersetzung widmete. Die Gedichte dieses Bandes erschienen 1999 in Sarajevo und sind in der Mitte der 1990er Jahre entstanden, in jener Zeit, als Marina Trunic an der Universität Warschau lehrte. Es sind Gedichte, die in immer neuen Schattierungen das Thema Fremd-Sein und Fremde erkunden, Heimat und Exil, Nähe und Ferne. Die Dichterin tut es sehr sensibel, spürt den eigenen Empfindungen nach. Denn über das Exil schreiben kann ja jeder – aber wieviel davon ist tatsächlich Exil? Und wieviel ist vertraut? Denn freiwillig ist sie ja nicht gegangen. Auch das, was Bosnien und Herzegowina da nach 1991 zerriss, war eben nicht nur eine Kategorie für die Geschichtsbücher – Bürgerkrieg, Zerfall Jugoslawiens …Mehrere Autoren aus dem ehemaligen Jugoslawien haben über diese bedrückende Veränderung eines Landes geschrieben, in dem auf einmal nationalistische und seperatistische Töne erklingen und eine gesichtslose Maschinerie in Bewegung gesetzt wird, die alle Beziehungen unter den Menschen verändert – so dass auch das Land, in dem sie alle aufgewachsen sind, sich binnen weniger Jahre in etwas Fremdes verwandelt hat. Heimatlosigkeit schon als Existenzzustand, noch bevor die Koffer gepackt werden und ein neuer Ort zum Leben in der Fremde gesucht und gefunden wird.
Bislang haben augenscheinlich wirklich nur die Dichter über diese Psychopathologie einer Gesellschaft geschrieben, in der zerstörerische Elemente und Charaktere eben nicht nur die politische Macht an sich reißen, sondern auch das Klima und die Atmosphäre eines Landes.
Mile Stojics Gedichte über den Krieg, das Exil und die verwundete Heimat: Cherubs Schwert
Seit dem Barock hat sich in der europäischen …
Einen Dichter aus Bosnien entdecken: Land, das es nicht gibt
Wie wäre das eigentlich, wenn alle Menschen …
Der Fluss, die Rosen und die Liebe: Zilhad Kljucanins “Wasserhochzeit”
Eine Einordnung hat sich der 1960 …
Kein Wunder, dass eine Dichterin wie Trumic sich da seltsam fremd fühlte schon im Vertrauten – und in der Fremde nicht vertrauter. Der Zustand des Fremdseins ähnelt sich sogar – und gefühlsmäßig schrumpfen für die Dichterin die Entfernungen zwischen den Städten Europas. Warschau, Dubrovnik, London, Sarajevo – es ist ihr, als lägen die Städte am gleichen Fluss, der eigene Lebenszustand wird zu einem fremdbestimmten: “Wessen Werk sind wir, mein Freund …” Sie begegnet auf ihren Reisen ebenso Versprengten, Menschen, die ihr nahe sind, weil sie ebenso heimatlos sind.
Als wäre Europa ein einziger Bahnhof, auf dem sich Menschen begegnen, die ihre Heimat verloren haben. Und gerade in diesem Ausgeworfensein findet die Dichterin Nähe und Liebe: “Er möge uns erlauben / nur das erlauben / was wir können – / zu lieben.”
Es klingt nicht dramatisch, ist es aber doch. Denn wer so zum Verbanntsein verdammt ist, weil in der Heimat die Furien des Hasses wüten, der hat ein Problem. Denn woran bindet man sich dann? Woran hängt man sein Herz? In ihren Träumen erlebt die Dichterin “ein gezähmtes Chaos / die Bestie / der Welt” (“Traum”) . Still ist es nicht wirklich in diesem Europa der Versprengten. Doch der Lärm macht die Suche nach einer neuen Heimat, einem Ort des Geborgenseins nicht leichter. Dabei geht Trumic gar nicht erst auf die politischen Lärmereien ein, die wir ja auch in Deutschland nur zu gut kennen. Den heimatlos Gewordenen begegnen wir oft genug mit einem Lärm und einer Voreingenommenheit, die uns beschämen würden, könnten wir uns im Spiegel sehen.Dabei müssen die Flüchtlinge nicht einmal aus Syrien oder dem geschundenen Afrika kommen. Die Dichterinnen und Dichter aus dem zersprengten Jugoslawien könnten uns alles erzählen, was man erlebt auf diesen ungewollten Fluchten. Irgendwohin. An einen friedlichen Ort. Den Trumic in Warschau gefunden hat, was ihr aber nicht wirklich hilft, denn das Gefühl des Verbanntseins wird sie auch dort nicht los. “Das Haus des Verbannten” ist ihr “in der Wüste von Geräuschen (…) eine Oase der Stille”.
Sie umkreist das Thema, versucht immer wieder, sich neu zu verorten. “Warum Warschau meine Stadt ist”, versucht sie zu erklären – und findet sich immer öfter wieder “in einem Krankenhaus, / auf einem Friedhof”. Immer wieder dieser Widerstreit von Lärm und Stille, Bewegung und Ruhe. “Deine Lebenden sind ruhelos, / übermütig / unbeständig/ sie zerstreuen sich, wie die / Winde / und Kriege / sie zerstreuen.” Nur die Verstorbenen bleiben und sind. Und die Lebende sieht sich selbst zu “als ob: / Das jemand anderem geschähe”. Das Heimatlossein macht vor den Ländern und Städten nicht halt, sondern macht die Heimatlosen auch sich selbst fremd.
Es sind sehr genaue, feintönige Gedichte über ein Thema, das dies alte, aus den Fugen gehende Europa so sehr beschäftigen sollte wie kein zweites. Nicht nur in endlosen und falschen Debatten über Asylrechte und Flüchtlingskontingente. Das ist das alte, kalte Verwalterdenken. Denn Vertreibungen kommen ja nicht aus dem Nichts. Wer sind die Vertreiber? Und welches Handeln führt zu all den Vertreibungen und Entfremdungen?
Zwischen Warschau und Sarajevo
Marina Trumic, Leipziger Literaturverlag 2013, 16,95 Euro
Das fragt Marina Trumic so nicht. Sie erzählt in immer neuen Bildern nur von sich selbst und ihrer Sehnsucht nach Geborgenheit und Liebe. Stets aufs Neue verwundert darüber, wie sehr das Heimatlossein ihre Gefühle bestimmt. Dieses Fremdsein teilt sie mit einer wachsenden Zahl von “Menschen aus Nebel / und Mondschein”, mit denen sie diese Welt betrachtet, die sich in den Nachrichten so simpel und einfach darstellt, aber wenn man genauer hinschaut und aufmerksam ist, dann wird auch das ein Befremdetsein über diese Welt, “die ich immer weniger verstehe”.
Da tut sich natürlich die Frage auf: Sind es nur die Verstoßenen, die das so empfinden? “Meine Freunde kehren jetzt irgendwelche fremden Straßen / von der Heimkehr träumend …” – Oder wird Heimatlosigkeit zunehmend zu einem Grundgefühl auch jener Europäer, die sich jetzt noch als Gastgeber betrachten?
Gedichte voller Stille und Nachdenken über eine Zeit der Unbehaustheit.
Janusz Korczak auf Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Janusz_Korczak
Keine Kommentare bisher