Manchmal sind Dichter und Dichterinnen so in ihre Texte versponnen, dass ihnen kein treffender Titel für den Gedichtband einfällt. Ist ja auch nicht leicht. Die Zeiten, dass man auf ein Gedichtbuch einfach "Gedichte" schrieb, sind lange her. Aber einen Titel wie "Wir müssen nur noch die Tiere erschlagen", den vermutet man eher bei einem kleinen Punk-Verlag. Dabei verrät er gar nicht, was für Gedichte im Buch zu finden sind.
Die Zeile mit den Tieren kommt drin vor. Natürlich. Aber sie trifft nicht den Kern der Gedichte, die die Leipzigerin Marlen Pelny schreibt, die schon 2006 mit “Auftakt” in der Connewitzer Verlagsbuchhandlung debütierte und mit dem Projekt “augenpost” mit Ulrike Almut Sandig zusammen Lyrik in den öffentlichen Raum deutscher Großstädte brachte. Ein wenig nähert sich der Verlag der Sache, wenn er den Buchinhalt mit “Bleistiftzeichnungen alltäglicher Räume” vergleicht und das Buch auch entsprechend filigran bebildert.
Filigran hört sich auch die beigelegte CD an, auf der Marlen Pelny 18 Titel eingesprochen hat.
Aber tatsächlich geht es die ganze Zeit um die Liebe. Nicht um diese Blümchenliebe, wie sie in den Vorgärten deutscher Kleinkunstgärtner gepflegt wird. Das ist etwas anderes, eher so eine Art Rausch oder Geschmacksverirrung, die aber leider immer dann hochschwappt, wenn kleinfühlige Menschen glauben, etwas über große Emotionen aussagen zu müssen. Das geht nicht nur bei Politikern und Bürgermeistern schief.Und das andere? – Natürlich kennt das jeder, der nicht mit Scheuklappen und Ohrschützern durchs Leben rennt, sich für alles Surrogate kauft und völlig austickt, wenn die Emotionsaufschäumung auch nur eine Minute mal aussetzt. Und Ruhe ist. Stille. So eine Stille, in der man sich selbst wieder hört. Sein Atmen. Den Herzschlag. Den Wimpernschlag. Nicht auszuhalten, nicht wahr? Erst recht nicht, wenn sich der Raum der Stille füllt mit Emotionen und Erwartungen und diesem beängstigend nahen Du. Kleine Wahrheit für zwischendurch: Die meisten Menschen halten Nähe gar nicht aus. Vertrautheit schon gar nicht. Es wäre sonst merklich stiller um uns und die Mitmenschen würden ihre Fernsehgeräte und Radios schnellstens entsorgen. Diese Emotionsableiter, wenn sich Menschen nichts mehr zu sagen haben. Wenn die Nähe voller unausgesprochener Ängste, Irrungen und Wirrungen ist.
Alma kommt: ohrenpost wird im September zum Hörbuch
Am 29. September gibt es eine ganz besondere …
Ohrenpost: Marlen Pelny und Ulrike A. Sandig präsentieren Ampel, Wand- und Zaungedichte live
Seit zweieinhalb Jahren gehören …
Gedichte, in den Fahrtwind zu singen: Marlen Pelnys “Auftakt”
Es gibt sie noch: die Verleger …
Marlen Pelny gehört zu der auch unter Lyrikerinnen und Lyrikern seltenen Spezies der Aufmerksamen. Mit denen so schrecklich schwer auszukommen ist, weil sie sehr genau hinschauen und hinhorchen, alles ganz genau wissen wollen und jeden Moment abtasten auf seine Verlässlichkeit. Deswegen heißt ihr Subjekt in diesen vielen kleinen Gedichten aus der Zweisamkeit auch “Wir”. Ein Wir, das eigentlich ein scheues Ich ist, das so gern geborgen sein möchte in dieser Zweisamkeit. Das ist gefährlich, weil man sich so verletzlich macht.
Aber ist das wirklich schlimm? Eine spannende Frage für das Jahrhundert der Singles, Individualisten und Partnerschaftsverweigerer. Denn was wird aus uns, wenn wir diese kritische Nähe nicht mehr aushalten? Oder die Menschen, die genau diese Nähe fordern? Die alles tun, um soviel Nähe wieder erleben zu können? – “wegen dir / will ich vorhanden sein”, schreibt Marlen Pelny. Das nennt man wohl: Sich-Schenken. Nicht verschenken. Aber auch diese Gefahr schwingt immer mit: “wir sind / die Mehrzahl von allein”. Diese bange Erwartung, etwas könne doch noch ungesagt bleiben, die nicht nur Frauen umtreibt. Auch wenn Frauen Männer zur Weißglut treiben können mit dem Verdacht, sie würden nicht alles sagen. Und das Wichtigste schon gar nicht.Was ja auch stimmt. Denn zur Nähe braucht es Wagemut. Da gibt man sich blank und nackt. Und wird verletzlich. und auch das erfahren Männer genauso wie Frauen: Wie Verletzlichkeit missbraucht werden kann. Es ist nicht immer der Frager, der im Recht ist. Denn Nähe ist ein Experiment, das Regeln braucht und sehr viel Vertrauen. Denn da gibt es immer wieder diese Sehnsucht nach dem Absoluten: “wir möchten einmal ein Gefühl anfassen / mit flachen Händen die Konturen entlang”. Das wird sehr intensiv. Und ist all das, was einem der übliche Tagesmüll mit der “perfekten Liebe” stets nur verspricht und nie einlöst. Einlösen muss man es selbst. Wissen darum, wie selten die Geschöpfe sind, mit denen man es wirklich (riskieren) kann.
Noch so eine Wahrheit nach etlichen tausend Büchern, in denen Autorinnen und Autoren sich die Tinte aus den Adern saugten, um irgendwo das Phänomen Liebe zu beschreiben, wie es vorher noch keiner geschafft hat. Die meisten schaffen es nie. Sie kommen nicht los von den kitschigen Oberflächen und von der Verklärung. Auch, weil sie nicht bei sich sind. Und damit werden sie nicht nur ungenau, sie verfallen in eine falsche Melodie. Die nicht besser wird, weil sie immer wieder gesungen wird.
Die andere Musik, die findet man nur bei den großen, weil stillen und aufmerksamen Dichtern – den Ritsos und Neruda und Bobrowski.
So eine Aufmerksame ist auch Marlen Pelny. Und weil sie sich auch die spröde Burschikosität der Anfänge bewahrt hat, tauchen auch Sätze in ihren Gedichten auf, die sind so trocken wie bei Brecht. Und stimmen gerade deshalb. “In deinem Zimmer sieht es aus / wie in meinem Bauch.” Da setzt man sich hin und weiß: Klar. Wer es so sagen kann, der braucht keine rosa Schleifen mehr. Der verschenkt sich tatsächlich. Und manchmal sind solche Sätze selbst das Gedicht. Wie dieses hier:
“da sitze ich und lege dich gerade aus der Hand”.
Wir müssen nur noch die
Tiere erschlagen
Marlen Pelny, Verlag Voland & Quist 2013, 13,90 Euro
Natürlich fehlen auch die anderen Texte nicht, die von Verlustangst erzählen und der damit verbundenen Angst, selbst verloren zu gehen. Wer kennt das nicht? – Oder sollte man da besser fragen: Wer kennt das noch? Wer nimmt sich und seine Gefühle noch so ernst? Und die Angst, dass das alles ganz vorbei sein könnte? Der Verlust wie ein Tod. Die “Wochenenden in Spielfilmlänge” von einem “harmlosen Streit” bedroht sein könnten? Seit wann ist ein Streit zwischen Vertrauten jemals harmlos gewesen? Spielt man nicht gerade da mit dem Feuer? Dem Risiko, dass man dann in der Abwesenheit wieder lernen muss, keine Angst mehr zu haben?
“jedes Wort, das nicht richtig steht / hat sich zwischen uns verkeilt”.
Das ist die Genauigkeit, wo das Reich der Lyrik wirklich beginnt. Und wer mag, darf sich ruhig eingeschlossen fühlen in dieses “Wir”. Denn indem Marlen Pelny so dicht ans Eigene und Erlebte geht, gibt sie dem, was auch anderen meist so unverhofft begegnet, einen Ton und eine Stimmung, nur ganz wenig melancholisch, eher eingebettet in eine raue Zuversicht, dass Nähe trotz alledem auszuhalten und zu sagen ist.
Keine Kommentare bisher