So ein bisschen zwischen den Welten lebte Michael Schweßinger schon immer. Eigentlich wie jeder Andere auch. Nur merken es die meisten Leute nicht, weil sie sich mit den ganzen schönen Zutaten der modernen Konsumwelt umgeben und fleißig flitzen wie die Mäuse im Laufrad. Das Leben ist dann eine ganze lange Jagd nach der perfekten Anpassung. Dichter sind ja bekannt dafür, dass sie gern mal ausscheren.

Erst recht, wenn sie auch noch nebenbei ein bisschen Philosoph sind, gar noch einer in der Tradition Friedrich Nietzsches, der ja bekanntlich so seine Schwierigkeiten hatte mit der Wiederkehr des immer Gleichen und dem Gruppenzwang des kleinen, irdischen Menschen, an dessen Stelle er sich einen anderen, einen Über-Menschen zusammendichtete. Die Hölle steckt ja bekanntlich im Kopf. Und man nimmt sie mit – nach Sils Maria oder Irland. Es ist egal. Augenscheinlich erkennt man die Deutschen im Ausland schon meilenweit. Nicht mal an ihren Bermudas, Outdoor-Jacken und bunten Hawaiihemden, sondern an ihrer grimmigen Miene, die sie jederzeit ziehen, weil sie immerfort bestrebt sind, alles richtig und perfekt zu machen und vor allem sicher. Kein Volk hat wohl eine derartige Angst vor einem nicht-abgesicherten Leben.

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Eigentlich ist es ja ein kleines Reisebuch, das Schweßinger hier zusammengestellt hat, der größte Teil davon eine große, melancholische Liebeserklärung an Irland. Aber Schweßinger wäre nicht studierter Afrikanist und Ethnologe, wenn er nicht auch beim Kurven über irische Landstraßen ständig vergliche und analysierte und vor allem an sein Lieblingsstudienobjekt dächte: Deutschland und seine Ureinwohner. Und so finden sich im Buch auch verschiedene Klein-Essays wie dieser: “Some remarks about Germany” (“Einige Anmerkungen über Deutschland”), in dem zu lesen steht: “Wohl aus diesem Grund ist Deutschland auch Marktführer in der Produktion griesgrämiger Gesichter und man kann froh sein, dass sich dieses Misstrauen dem Leben gegenüber, das aus den Gesichtern spricht und alle anderen Errungenschaften in Frage stellt, nicht exportieren lässt.”

Aber woher kommt seine eigene Schwermut, die Melancholie, von der er immer wieder erzählt, und die ihn über Landstraßen treibt, in dunkle Pubs und filmreife Gespräche? Die auch seinen kurzen Geschichten den Ton gibt, das Grüblerische. Die Fotos, die Christian Haubold gemacht hat, bringen dieses Grübelnde und Einsame recht gut zum Ausdruck. So kennt man Schweßinger auch von seinen Forschungsreisen durch den Leipziger Westen. Er beachtet, was Ethnologen gern vergessen, weil sie glauben, es träfe nur auf die Physiker zu: Der Beobachter ist Teil des Experiments. Und er kann sich noch viel weniger als der Teilchenforscher eliminieren aus seinen Forschungsergebnissen. Immerhin lassen sich auch diese irischen Dichter, Säufer, Vermieterinnen und nicht immer rothaarigen Mädchen auf den nachdenklichen Burschen ein, der seine “German schwermut” mitgebracht hat auf die Insel des ewigen Regens. (Der Afrika-Teil ist wesentlich kürzer, weil dieser Ausflug wesentlich schneller und unverhoffter endet.)Aber warum reist einer wie Schweßinger, wenn er die Fremdheit der Menschen in ihren Lebensrollen auch in Leipzig-West beobachten kann? – Manchmal – und da läuft der Autor in den Spuren vieler, vieler Reisender vor ihm – braucht es die Distanz, um den Blick aufs Eigene zu schärfen, wieder zu sehen, wie festgelegt und schabloniert das Leben in Deutschland tatsächlich ist. Was ja pure Freude sein könnte, wenn man mal unter Leuten ist, die das Leben mit deutlich mehr Gelassenheit nehmen. Dumm nur, dass auch ein Dichter sein Päckchen mitschleppt. Man wird das einfach nicht los. Selbst wenn man will und man sich – wie Schweßinger – als Rebell und Lebensverschwender begreift. Dazu ist es doch da, das Leben, oder nicht? – “Kann man in einer Welt leben, die die Erhaltung heiligt?”, fragt er im Epilog (“Wieder Staunen lernen”). “Ich kann es nicht, meine Liebe gilt der Verausgabung und steht im Gegensatz (zu) einer sich konservierenden Welt. Von sich heraus zu geben, ist mir die größte Revolte gegen Besitz und Gier.”

Der “Epilog” ist fast ein kleines Manifest. Ein Fehdehandschuh gegen eine Welt, die ihre Bürger nicht nur immer totaler überwachen will, sondern auch immer rigider in Vorsorgesysteme zwingt und vor allem die Angst immer weiter verschärft, ganz und gar abzustürzen, wenn man aus den Sicherungssystemen fällt. Schweßinger: “Verlieren kann man immer nur das, was man zu besitzen versucht, und am gefährlichsten für die Mächtigen waren schon immer die Besitzlosen aus freiem Willen, denn sie hatten nichts zu verlieren und daher einen größeren Anteil an der Freiheit.”

Es lohnt sich also, seinen grübelnden deutschen Kopf in den irischen Wind zu halten. Auch wenn die Mühle nicht aufhört zu mahlen und die Melancholie hinter jeder Weggabelung lauert. Entkommen – auch das ein Fazit dieser Schweßinger-Reise – kann man (sich) nicht. Man nimmt sich überall mit hin, so wie man ist. “Die Welt ertragen heißt, sich selbst ertragen lernen”, schreibt er. “Es ist noch kein Friedensvertrag, aber ich stimme manchmal einem Waffenstillstand zu.”

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Vaterland ist abgebrannt
Michael Schweßinger, edition subkultur, 11,50 Euro

Und das Schöne an diesem so melancholischen Buch ist: Man kann es sich genausogut als großen bebilderten Irland-Reise-Band vorstellen. Mit all den typischen irischen Reliquien von grünen Hügeln über verfallene Burgen, raue Küsten, dunkle Pubs bis hin zu Schafen und Kühen und Fiedlern und Dudelsäcken. Es würde passen. Der betrübte Reisende findet sich in den kargen Landschaften und trunkenen Pub-Gesellschaften wieder. Was auch deshalb gelingt, weil er statt der üblichen deutschen Reisebüro-Erwartungen seine Dichter im Gepäck hat, seinen Yeats, seinen Jack London (jaja, immer wieder: König Alkohol), und seinen Chandler, dessen Philip Marlowe ihm ein genauso Seelenverwandter ist wie Don Quijote.

Das nächste Mal erleben kann man Michael Schweßinger auf seiner Lesetour zum Buch wieder am 15. November im Kulturcafé Plan B.

http://edition.subkultur.de/

http://michaelschwessinger.wordpress.com/

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