Freunde des Schweinevogels bekommen dieser Tage ein ganz dickes Ding mit 870 Seiten frei Haus geliefert. Und wenn sie sich nicht am Crowdfunding beteiligt haben, dann pilgern sie jetzt in die einschlägigen Läden, um sich das "Schweinevogel. Total-o-rama" Nr. 2 zu holen. Das noch dicker ist als die erste Schweinevogel-Lebensbilanz von 2007. Da steckten immerhin die ersten 20 Jahre drin, die Flegeljahre. Auf diesem hier steht: Lehrjahre.
Aber wie wird aus einem flegeligen Schweinevogel ein erwachsener? – Gar nicht. Es ist unmöglich. Gelernt hat nur einer: Schwarwel, der Schöpfer des Ganzen. So ein echter Leipziger Kreativer, der immer noch eins drauf setzt, wenn er merkt, dass die Leute begeistert sind – aber trotzdem keine Million auf dem Konto steht. Deswegen sieht er auf einigen Fotos im Buch auch ein bisschen müde aus. Gerade 2013 war für den Karikaturisten, Drehbuchschreiber, Fabelerfinder, Glücklichmacher ein hartes Jahr. Und er hat sich ja nicht gescheut, die beiden härtesten Leipziger Brocken anzupacken und in Filmclips zu verwandeln, die dann sogar der MDR gesendet hat. Was fast schon eine kleine Sensation ist. Oha, der MDR.
Die Brocken hießen “Richard. Im Walkürenritt durch Wagners Leben” und “1813. Gott mit uns”, also das, was man so Völkerschlacht nennt. Da gingen die Arbeitsnächte gleich reihenweise drauf. Denn es bleibt echte Kopf- und Handarbeit, auch wenn man seit dem ersten 3-Minuten-Clip, der vor Urzeiten mal das erste Lehrpröbchen war, jede Menge gelernt hat über animierte Filme.Ein ganz großes Stück aus dieser Lehre ist mit im Buch: das Storyboard zu dem 2009 produzierten 23-Minuten-Film “Schweinevogel. Es lebe der Fortschritt”. Da kann man so beiläufig in die Geburtsstube des Filmes hineinschauen, wo ja schon alles da ist. In Tausenden kleinen Bildern hinskizziert, Kommentare am Rand, was noch so zu passieren und zu tönen hat. Der Rest ist dann Arbeit im Studio. Am Ende gibt’s einen Film, dem keiner mehr ansieht, dass über ein halbes Jahr Schinderei und Spaß drin steckt.
Man lernt auch die Leute kennen, die sich genauso selbstverschwenderisch wie Schwarwel selbst in die Schinderei stürzten. Es ist wirklich nicht so, dass in diesem Eckchen von Schlaand keine Talente wohnen, die bereit sind, sich die Nächte um die Ohren zu hauen, wenn es um echte Projekte geht. Wahnsinnige natürlich, aus der Perspektive brav angestellter Nine-to-Five-Menschen, die sich am nächsten Tag immer so ungemein wunder tun, dass die anderen ihr Werk schon getan haben und sie nicht.Und Schwarwel tut immer ein bisschen mehr. Den größten Teil dieses Schwein-o-ramas, sorry, Total-o-ramas, füllen Arbeitsergebnisse, die in den Jahren 2008 bis 2012 allerorten erschienen sind, veröffentlicht in großen, nunmehr legendären Zeitungen wie der FTD, in Comic-Zeitschriften, Tageszeitungen, Fanzines und auch in der L-IZ. Wer das alles beisammen sieht, fragt sich natürlich: Und wann schläft der Bursche? Schläft er überhaupt? Und was fängt das alles mit seiner Seele und seinen Nerven an? Denn zwischendurch reist er ja auch noch durch die Lande zu Comic-Treffen, Basaren, Signierstunden und wie das sonst so alles heißt, wo man seine Verehrer und Verehrerinnen treffen und all die wilden Schweinevogel-Raritäten losschlagen kann. Selbst in der Moritzbastei gab es mittlerweile eine große Schweinevogel-Ausstellung.
Es ist tatsächlich ein Schweini-versum geworden, was auf den ersten Blick so hübsch übersichtlich aussieht: der gemütliche Bauwagen (von dem man aber nicht mehr so recht weiß, ob er Iron Doof noch gehört), Iron Doof natürlich, das immer emsige Bauwagen-Puttelchen, Schweinevogel dazu und dann all die andere Charaktere, die eigentlich alle Teil des einen großen Charakters sind, des Meisters himself, der mit Swampie, Professor Eisenstein, Mauli und El Depressivo natürlich noch viele weitere Personifikationen seiner eigenen Lebenszustände geschaffen hat, so treffend, dass man sich selbst wiederfindet in jeder einzelnen Figur.
Nur gibt es der wohl verschlossene Zeitgenosse meistens nicht zu. Auch nicht vor sich selbst, steht lieber maulend an der Ampel und spielt den Gesetzestreuen und Immerverklemmten. Fast hat man ja das Gefühl, in letzter Zeit werden es immer mehr. Als würden sie sich alle Lineale in den Hintern klemmen und Klammern zwischen die Zähne packen: Du darfst nicht lächeln. Du darfst nicht lästern. Du darfst nicht verzweifeln. Beißen darfst du. Eine Welt voller wohlerzogener Polizeihunde auf zwei Beinen, manchmal auch in Stöckelschuhen.
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Dass es auch früher schon so war, hat ja keiner besser gewusst als Schwarwel. Sein Schweinevogel war schon immer die Antwort auf den kleinen verklemmten Notbürger, der sich nicht traut, lebendig zu werden. Und deswegen geht Schwarwel auch nie der Stoff aus. Man muss ihm nur eine Stunde zum Luftholen lassen, und der nächste Strip ist auf dem Papier. Oder die nächste Neujahrskarte, das nächste Plakat, die nächste Idee für einen Workshop. Ja, so etwas bringt Schwarwel dann auch noch irgendwie unter, wenn das nächste “Seelenfresser”-Buch oder das nächste Karikaturenbuch zum Zeitgeschehen fertig ist.
Da und dort kann er auf ein kampferprobtes und treues Netzwerk zurückgreifen. Das ihn auch und besonders wegen seines Schweinevogels liebt. Wer sich nicht selbst wiedererkennt in den Figuren aus dem Schweini-versum, der belügt sich wahrscheinlich schon beim Zähneputzen am frühen Morgen. Oder verkneift sich die Erkenntnis lieber, weil es so anstrengend ist, jeden Tag so ehrlich zu sein. Schwindeln ist leichter und es lässt sich mehr Geld damit verdienen.
Wer also dringend ein bisschen heilsames Lesefutter braucht, das auch über den Jahreswechsel hält, was es verspricht, hier ist es.
Schwarwel “Schweinevogel. Total-o-rama 2”, Glücklicher Montag, Leipzig 2013, 29,90 Euro
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