Das, was Friedrich Thießen und Christian Fischer, Wirtschaftswissenschaftler an der TU Chemnitz, 2008 mit einem mehr als fragwürdigen Experiment in die Medien brachten, wirkt bis heute nach. Sie behaupteten damals, belegt zu haben, dass man mit 132 bis 278 Euro im Monat überleben könnte in Deutschland. Oder in Chemnitz. Was egal ist. Das Vorurteil, das sie bedienten, wirkt bis heute: "Hartz IV"-Empfängern geht es zu gut. Den echten Härtetest aber können nur Betroffene machen.
Uwe Glinka und Kurt Meier sind Betroffene. Sie haben am eigenen Leib erlebt, wie das ist, wenn man in Deutschland aus der Karrierebahn geschleudert wird in einem Alter, in dem man den meisten Unternehmen (so ungefähr 99 Prozent) zu alt ist. Der eine ist gelernter Industriekaufmann und hat Autohäuser geleitet, der andere war Heizungsbauer und Informationselektroniker. Beide waren knapp über 50, als sie das Schicksal ereilte und sie – den Sonntagsreden der Politiker vertrauend – versuchten, irgendwo auf dem deutschen Arbeitsmarkt einen neuen Job zu finden. Die Phrase vom “erfahrenen Personal” war und blieb eine Phrase. So ab 50 gilt sie nicht mehr. Nicht weil Unternehmen das erfahrene Personal nicht zu schätzen wüssten. Die Unternehmen, die es haben, versuchen es zu halten. Da ergänzt das Wissen um die Leistungsfähigkeit des Mitarbeiters das Wissen um seine “Lebenserfahrung”.
Nur in Personalbüros gilt das nicht. Und die schlichte Wahrheit ist: Die meisten Personaler ticken noch immer im alten Jugendwahn. Nicht einmal, weil sie ältere Mitarbeiter diskriminieren wollen – aber junges Personal ist in der Regel billiger. Fügsamer und anpassungsfähiger sowieso. Erst recht, seit eine ganze Reihe von “Arbeitsmarktinstrumenten” gerade junge Arbeitnehmer mit prekären Job-Einstiegen konfrontiert.
Und was erleben die Älteren, die man scheinbar so zu schätzen weiß? Sie werden in Leipzig, Lüneburg und anderswo durch ein Beschäftigungs- und Eingliederungskarussell nach dem nächsten gedreht, dürfen Bewerbungskurse absolvieren und lernen Computer bedienen, bekommen Kurse im “richtigen Auftreten” und werden wie kleine Kinder behandelt, denen man das richtige Arbeitsethos erst mal beibringen muss. Beschäftigungstherapie statt tatsächlicher Vermittlung. Das Ergebnis ist in Ost und West dasselbe: Die Betroffenen geraten aus einer frustrierenden Schleife in die nächste und werden zu dem, was eigentlich mit “Hartz IV” verhindert werden sollte: Langzeitarbeitslosen.
Das merkten dann auch Glinka und Meier und standen vor der simplen Entscheidung: resignieren oder was? Die meisten resignieren an der Stelle. Deutschlands Jobcenter sind große Demotivierungs-Apparate.
Glinka und Müller aber sagten sich: Wenn das jetzt unser Schicksal ist, bis zum Ruhestand mit “ALG II” auskommen zu müssen, dann müssen wir irgendwie lernen, das Beste daraus zu machen. Und das Wichtigste dabei: eine gesunde Ernährung. Sie hatten es an sich selbst gemerkt, wie schnell man mit ALG II beginnt, an der Ernährung zu knausern, weil das Geld fast nie bis zum Monatsende reicht. Und sie erfuhren es von vielen der Anderen, mit denen sie in all den Sinnlos-Kursen des Jobcenters saßen: Man kaufte nur noch billig und ungesund ein. Meist scheinbar preiswerte Fertignahrung aus dem Discounter.
Den Effekt zeigen mittlerweile ja auch Statistiken. Besonders die Armen in der Bundesrepublik leiden besonders häufig unter den gesundheitlichen Folgen einer falschen Ernährung.
Die Idee, die die beiden Männer umtrieb, war: Gibt es einen Weg, auch mit dem kärglichen Tagessatz von 4,40 Euro, der im ALG II für Ernährung vorgesehen ist, eine gesunde Ernährung hinzubekommen? Wie könnte das gehen? Wer könnte dabei helfen, denn begnadete Köche waren ja alle beide nicht. Sie wandten sich an jene Organisationen, die es wissen konnten: die Landfrauenvereine. Und bekamen hilfreiche Resonanz, 300 Rezepte auch aus Zeiten, in denen die Deutschen mit dem Notwendigsten über die Runden kommen mussten. Der Nachkriegszeit zum Beispiel, als es auch im Westen der Republik keine Discounter und keine mit Fertigprodukten vollgestopften Regale gab. Da mussten deutsche Hausfrauen noch auf den Pfennig schauen beim Einkauf und wissen, wie man aus Wenigem trotzdem etwas Leckeres zaubert.
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Sie haben alle Rezepte ausprobiert und an sich selbst und Freunden und Verwandten ausprobiert, betonen die beiden Männer, die damit nicht nur selbst wieder Niveau in ihre tägliche Ernährung brachten, sondern auch in zahllosen Medienberichten und TV-Auftritten populär wurden. Anfangs veröffentlichten sie ihre Erkenntnisse als Broschüre, die sofort reißenden Absatz fand. Eine erste Buchpublikation im Egmond-Verlag 2009 folgte. Die haben die beiden jetzt für den Buchverlag für die Frau noch einmal überarbeitet: 75 Speisepläne in fünf Kategorien: Gerichte mit Fleisch, Gerichte ohne Fleisch, Gerichte mit Fisch, Suppen und Eintöpfe. Jedes Rezept in einen Tagesplan eingebunden, denn Frühstück und Abendbrot dürfen ja nicht fehlen.
Kleine ernüchternde Erkenntnis: Die Grundzutaten muss man weiter im Discounter kaufen. Ohne den centgenauen Preisvergleich geht es nicht. Aber zu jedem Tag haben die beiden auch den genauen Geldbetrag vermerkt, der dahinter steht. Es sind alles Rezepte für zwei Personen. Aber es gelingt mit dieser Genauigkeit wohl wirklich, unter dem Satz von 8,80 Euro am Tag zu bleiben.
Der Erfolg ihres Sparkochbuchs erklärt sich freilich nicht nur daraus, dass Millionen “Hartz IV”-Empfänger sich hier tatsächlich ernst genommen fühlten. Denn auf diesem niedrigen Einkommensniveau müssen auch viele andere Bundesbürger über die Runden kommen – Studierende, “Aufstocker”, Rentner, aber auch viele in den drastisch ausgeweiteten Niedriglohnbereichen der Republik. Der Stempel auf dem Cover “Günstig und ausgewogen ernähren nach dem Regelsatz Hatz IV” trifft eben auch auf Millionen zu, die nicht im Jobcenter Schlange stehen und trotzdem mit genauso wenig Geld über die Runden kommen müssen.
Wer dann freilich liest, was man mit der Klugheit der deutschen Landfrauen herstellen kann aus diesem geringen Tagessatz, der staunt. Und Mancher fühlt sich auch an einige wichtige Standards der DDR-Küche erinnert, die ja bekanntlich bis zum Schluss ebenfalls eine Mangelküche war. Vor allem aus Ressourcenmangel – viele Zutaten gab es bestenfalls unterm Ladentisch, Fertiggerichte waren ein Schmalspursegment. Aber wer zum Sparen gezwungen ist, kommt logischerweise dahin, dass er unter den Rohprodukten seine Auswahl trifft. Das leckere Gericht entsteht dann tatsächlich erst unter der Hand des Koches daheim. Eine Liste dieser Grundprodukte mit den von Glinka und Meier recherchierten Discounter-Preisen findet man im Anhang des Buches.
Das Sparkochbuch
Kurt Meier; Uwe Glinka, Buchverlag für die Frau 2013, 9,90 Euro
Gezaubert haben sie so bekannte Familiengerichte wie Hühnerfrikasse, Himmel und Erde, Szegediner Gulasch, Eier mit Senfsoße, Lasagne mit Rahmspinat, Eierkuchen, Puffer, Bohnensuppe, Kartoffelsuppe und Linseneintopf. Wer sich die Preise anschaut: Vegetarisch lebt es sich noch ein bisschen preiswerter als mit Fleisch.
Den Beiden ist ein wirklich hilfreiches Buch gelungen. Und sie haben – anders als die Spaßwissenschaftler aus Chemnitz – alles wirklich ausgetestet und gelebt. Sie haben nicht nur mal aus Jux an der Freud einen Monat oder so so getan, als würden sie von ALG II zu leben versuchen. Sie leben davon. Und zeigen hier, wie man aus der Not noch etwas Gesundes hinzaubern kann.
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