Umweltpolitik hat auch Geschichte, auch wenn manch einer noch heute so tut, als sei das ein modernes Feigenblatt, um den Deutschen ihre Sorgen um Wald, Wasser und Wiesen zu nehmen. Manchmal benehmen sie sich leider auch so. Was nichts daran ändert, dass Menschen seit Jahrtausenden in ihre Umwelt eingreifen und dabei auch oft genug folgenreiche Katastrophen auslösten.
Die historische Klimaforschung hingegen ist wirklich noch ein junges Forschungsfeld. Und sie ist gerade erst dabei, ihr Instrumentarium so zu verfeinern, dass man irgendwann in den nächsten Jahren auch eine detaillierte Geschichte der von Menschen veränderten Umwelt und der von Menschen gemachten Klimaveränderungen zeichnen kann. Recht neu ist auch für viele Historiker die Erkenntnis, wie sehr menschliche Geschichte mit klimatischen und ökologischen Veränderungen zusammenhängt. In den einschlägigen Geschichtsbüchern tauchen Stürme, Dürren, Überschwemmungen, Heuschrecken- und Mäuseplagen usw. meist eher beiläufig auf, als kleine historische Sensation und scheinbar zufälliger Auslöser politischer Veränderungen.
Auch dieses Geschichtsverständnis wird sich ändern, wenn Klimatologen, Wirtschaftshistoriker und Archäologen ihre Erkenntnisse verschmelzen. Dann wird sich ziemlich genau zeigen, wie sehr das Aufblühen menschlicher Gesellschaften mit einem sehr schmalen Band klimatischer Parameter zusammenhängt. Wenn sich diese Parameter verändern, werden menschliche Gesellschaften einem Stresstest unterzogen. Oft genug sind sie in der Geschichte daran gescheitert, es kam zu Hungerjahren, gewaltigen (Aus-)Wanderbewegungen (auch aus dem Gebiet des heutigen Sachsen) und direkt im Gefolge zu politischen Umwälzungen oder großen kriegerischen Konflikten.Wie sehr sie aber selbst schon die Natur veränderten, erlebten die Bewohner der heutigen sächsischen Landschaft schon im Mittelalter, als der Bergbau begann, ganze Landschaften zu verformen. Mit der wachsenden Wirtschaft wuchs der Regelungsbedarf – für das Abfischen in Sachsens Gewässern, für die Betreibung von Mühlen und Kanälen, für die Jagd und die Nutzung der Wälder. 2013 hat Sachsen auf seine Art “300 Jahre Nachhaltigkeit” gefeiert, weil Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz 1713 in seinem Buch “Sylvicultura oeconomica” den Begriff erstmals verwendete. Damals ging es ihm um nachhaltige Waldbewirtschaftung und den Bergbau, für den er verantwortlich war.
Natürlich kommt er in diesem Buch mit vor, in dem der Naturwissenschaftshistoriker Norman Pohl und der Prähistoriker Mathias Deutsch lauter Dokumente zusammengetragen haben, in denen sich der Umgang der Bewohner Sachsens mit ihrem Verhältnis zur Umwelt auseinandersetzten. Es ist sozusagen eine Archäologie der modernen Umweltgesetzgebung und ein kleines Blitzlicht in die Berichte zu Naturereignissen und -katastrophen in schriftlich belegter Zeit.
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Und um das Ganze farbiger zu machen, haben sie ihre Funde in Kapitel gegliedert, die sich anfangs ganz den klassischen griechischen Elementen – Boden (Erde), Wasser, Luft und (etwas weiter hinten) auch Energie (Feuer) widmen. Wer die täglichen Nachrichten verfolgt, sieht, dass diese Ur-Elemente bis heute auch unsere Wahrnehmung von unserer Welt bestimmen – in jedem Wetterbericht, aber auch in der Ökonomie und bei der großen Frage nach unseren Ressourcen. Weil das aber noch nicht alle Umweltaspekte abbildet, bekommt auch die lebendige Natur ihre Kapitel: Wald, Pflanzen, Tiere. Extra sind auch noch Bergbau als sächsische Besonderheit und extreme Naturereignisse, quasi als Nachschlag, aufgeführt.
Zu jedem einzelnen Kapitel liefern die beiden Autoren eine kleine Einführung, erläutern, worum es geht, welche Rolle das “Element” für die menschliche Gesellschaft spielt und vor allem in historischen Zeiten spielte und wie die ersten Schriften und Gesetze entstanden, die den Umgang mit der Ressource regelten. Und sie erläutern, welche Notwendigkeiten meist die Gesetzgeber dazu brachten, Regeln aufzustellen. Und da diese Dinge im Lauf der Zeit auch durch den zunehmenden Wohlstand in Sachsen immer umfassender wurden, vollziehen auch die Leser mit, wie die Umweltgesetzgebung in Sachsen über die Jahrhunderte immer komplexer wurde. Sie erleben, wie neue Probleme auftauchten und nach neuen Regeln verlangten.
Mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert wurde die Verschmutzung von Luft, Wasser und Böden zu einem um sich greifenden Problem. Mit einem Augenzwinkern bilden die Autoren eine alte Postkarte ab, die über “Ruß-Chemnitz” einen strahlend blauen Himmel zeigt. Nachkoloriert natürlich. Aber auch für Leipzig gilt das: Nicht erst in der DDR-Zeit war der Himmel über Leipzig von Ruß und Rauch geprägt, war Kohle der wichtigste Brennstoff. Davor war es übrigens Holz, das über den Floßgraben direkt nach Leipzig geschwemmt wurde. Auch da muss die Luftqualität gerade in der kalten Jahreszeit keine gute gewesen sein.Die Belastung der Flüsse mit den Abwässern der Industrie wurde erst in den 1920er Jahren so richtig zum Problem. Ein deftiges Schreiben eines Leipziger Flussbad-Betreibers an den Magistrat macht deutlich, wie ihm das schmutzige Flusswasser damals schon das Geschäft verdarb. Man darf die bunten Postkarten aus Kaisers Zeiten und den Jahrzehnten danach durchaus misstrauen. Sie hübschen eine Welt auf, die nicht immer so farbenfroh war, wie sie dargestellt wird. Leipzig war auch vor 1945 eine rußige Stadt. So farbenfroh, wie es sich nach dem Ende des kohlebetriebenen Industriezeitalters heute präsentiert, war Leipzig in seiner Geschichte eigentlich nie.
Dass die Menschen nicht nur ihre Umwelt belasteten, sondern auch ihre eigene direkte Umgebung, war den Verantwortlichen durchaus bewusst. Auch in der DDR gab es ausführliche und vollmundige Texte zum Umweltschutz, selbst in den Schulbüchern lassen sie sich finden. Doch die DDR musste sich – wie jedes Land und jede Regierung – an ihren Versprechungen messen lassen. Und die Kluft zwischen Versprechen und Wirklichkeit klaffte im Lauf der Jahre immer weiter auf. Auch das vergisst man oft: Die Umweltbewegung war einer der wichtigsten und kritischsten Teile der Bürgerbewegung in der DDR.
Natürlich schwingt bei dieser großen Sichtung historischer Quellen auch die Gegenwart mit: Wie gehen wir weiter um mit unserer Umwelt? Oder klaffen auch jetzt schon wieder (oder immer noch?) die Widersprüche auf zwischen vollmundiger Politik und erlebter Wirklichkeit? Oder ist es wieder ein Lernprozess, der für neue komplexe Zusammenhänge auch neue Lösungen verlangt? Nachhaltige Lösungen, wie seit 1992 im Agenda-Prozess formuliert?
Das Kapitel zu den Naturkatastrophen macht zumindest sichtbar, wie kurzzeitig solche Katastrophen das Denken und Handeln der Menschen beschäftigen. Nur wenige schaffen es ins Langzeitgedächtnis einer Gesellschaft. Die meisten werden schneller vergessen als man glaubt. Der Mensch macht einfach weiter. Unbelehrbar – auch das klingt an, denn auch nach den “Jahrhundertfluten” von 2002 und 2013 bekommen Unternehmer und Häuslebauer in Sachsen Baugenehmigungen für das billige Bauland in den Überflutungsgebieten der Flüsse.
Umweltgeschichte Sachsens
Norman Pohl; Mathias Deutsch, Edition Leipzig 2013, 19,95 Euro
Und das Buch zeigt natürlich auch, wie sehr die Menschen ihre Umwelt im Freistaat Sachsen schon verändert haben. Nicht nur durch das Roden der Wälder oder das Kanalisieren der Flüsse. Weiträumig hat der Bergbau uralte Landschaften verändert, die Landwirtschaft mit ihren großen, intensiv bewirtschafteten Feldern und Massentierhaltungen hat tief ins System der biologischen Vielfalt eingegriffen. Straßen und andere Verkehrswege zerschneiden Biotope und Siedlungsräume seltener Tier- und Pflanzenarten. Sich darauf bewegende Verkehrsmittel beeinflussen das Umfeld. Und zwei Umweltverschmutzungen kommen noch gar nicht vor in diesem Buch, obwohl sie längst für heftige Diskussionen sorgen: Lärm- und Lichtverschmutzung.
So gesehen, ist auch dieses reich bebilderte Buch nur wieder ein Zwischenbericht auf dem langen und zähen Weg hin zu einer wirklich nachhaltigen Umwelt(schutz)politik.
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