Ein paar Tage lang wurde darüber diskutiert, ob Whistleblower Edward Snowden Asyl in der Bundesrepublik Deutschland bekommen solle. Aber das Buch, das jetzt ganz offiziell am 15. November erscheint, wird den Befürwortern ganz schnell allen Wind aus den Segeln nehmen. Denn dann könnte man Snowden auch gleich in die USA ausliefern. Die Bundesrepublik ist längst zur direkten Außengrenze der USA geworden. Polizei, Geheimdienste und Militär tummeln sich hier, als wären sie zu Hause.

Dabei begann für die beiden Journalisten John Goetz und Christian Fuchs alles eher beiläufig vor acht Jahren bei einem Lunch in einem koreanischen Restaurant in Washington, wo sie von einem Informanten ein bisschen was über die Hintergründe des Irakkrieges herausbekommen wollten, der ja bekanntlich mit Argumenten in Gang gesetzt wurde, die aus den Informationen eines Lügners stammten, auf den der BND hereingefallen war. Eigentlich wollte der Informant wohl nur einen kleinen Scherz machen über ein bombardiertes Hähnchenrestaurant im Irak. Aber der ging ein bisschen daneben, denn er verplapperte sich. Denn dieser – daneben gegangene – Versuch, Saddam Hussein zu töten, ging auf eine Zuarbeit von BND-Mitarbeitern im Irak zurück. Fuchs und Goetz hatten ihre erste große Geschichte zu einem Thema, das sie seitdem nicht mehr losgelassen hat: Wie sehr ist die Bundesrepublik tatsächlich in den Irak-Krieg (an dem sie laut Schröder-Regierung niemals teilnehmen wollte) und in alle anderen kriegerischen Aktionen der USA seither verwickelt?

Vor allem der NDR unterstützte ihre Recherchearbeit in den folgenden acht Jahren, in denen sie zu Tage förderten, was die Bundesbürger nie hätten erfahren sollen, wenn es nach den diversen deutschen Regierungen seither gegangen wäre. Denn während auf offener Bühne so getan wurde, als würde sich Deutschland – nach dem Willen der Bevölkerungsmehrheit – aus dem von George W. Bush propagierten “Krieg gegen den Terrorismus” heraushalten, bekamen die US-Amerikaner – ganz informell – jede Unterstützung, die sie sich auf der Ebene von Geheimdiensten, Polizeiarbeit und militärischer Unterstützung nur wünschen konnten. Und die bekommen sie bis heute.

Es ist ein eigenes Thema, wie sehr dieser “Krieg gegen den Terror” die USA seit 2001 deformiert hat und wie sehr sie Militär und Geheimdiensten eine unheimliche Macht verliehen hat, die die Amerikaner jedes Jahre dreistellige Milliardenbeträge kostet und die Demokratie dramatisch unterhöhlt. Das ist nicht Thema des Buches. Aber es gehört dazu und erklärt die Atmosphäre des Schweigens, Leugnens und Vertuschens, mit dem US-Amerikaner und die mit ihnen kooperierenden deutschen Behörden die Zusammenarbeit bemänteln und die Existenz von NSA-, CIA- und diversen Army-Einrichtungen auf dem Gebiet der Bundesrepublik verleugnen. Bis zur obersten Ebene. Mittlerweile Legion sind die Anfragen von Journalisten und Parlamentariern an die Bundesregierung und einzelne Ministerien, die versuchen, die enge Zusammenarbeit der deutschen Behörden mit den US-Einrichtungen zu beleuchten. Zuletzt exemplarisch durchexerziert im Gefolge der Snowden-Enthüllungen um die Spionage-Tätigkeit der NSA in Deutschland. Reihenweise, bis hin zur Bundeskanzlerin, stritten die Bundesbehörden ab, irgendetwas über diese Datenabschöpfung zu wissen. Doch wenn man das Buch gelesen hat, kann man keine einzige dieser Beteuerungen mehr glauben.Denn das würde, wenn es zuträfe, von einer geradezu ignoranten und unfähigen Regierung erzählen, die nicht einmal über das Bescheid weiß, was ihre eigenen Nachrichtendienste, ihre Polizei und ihre Bundeswehreinheiten tun. Denn die kooperieren seit 2001 ungehemmt und auf vielfältigste Weise mit den US-Amerikanern. Ob es um die Nutzung der technischen Hilfsmittel oder Spähprogramme geht, die Übernahme von gemeinsamen Aufgaben oder die Beschaffung von Informationen, die seit 2007 von den Amerikanern exzessiv genutzt werden, um ihre Ziele (“Targets”) für die Drohnen-Einsätze in Pakistan, Afghanistan und Afrika zu verifizieren.

Afrika ist seit 2007 zum Hauptkriegsschauplatz der Amerikaner geworden. Mehrere Bombenattentate auf amerikanische Botschaften und Einrichtungen hatten die USA alarmiert. Das Ergebnis: Sie gründeten ein neues Militärkommando, das sich ganz allein um den künftigen Kriegsschauplatz Afrika kümmern sollte. Sie fanden nur keinen afrikanischen Staat, der bereit gewesen wäre, die Kommandobasis aufzunehmen. Also fragten sie einfach mal bei der Bundesregierung in Berlin an und bekamen problemlos ihre Zusage. Ein Fakt, den das Rechercheteam dann sogar mit einer Jubelmail der amerikanischen Botschaft belegen konnte.

Das AFRICOM wurde in Stuttgart hochgezogen. Da ist es noch heute und steuert alle Kriegseinsätze in Afrika in jenem “Geheimen Krieg”, den die USA ganz ohne Kriegserklärung begonnen haben, als sie die nicht so geheimen Kriege in Afghanistan und dem Irak für beendet erklärten. Was nicht bedeutet, dass es parallel zu diesen beiden teuren und strategisch völlig verpeilten Kriegen nicht schon einen anderen “Geheimen Krieg” gegeben hätte, der der deutschen Öffentlichkeit unter Stichworten wie Abu Ghraib, Guantanamo, geheimen Verhöreinrichtungen in Osteuropa und hundertfachen Verschleppungen nicht nur aus dem Mittleren Osten, sondern auch aus Afrika und Europa bekannt wurde.

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Der bekannteste Fall: Murat Kurnaz, der für vier Jahre von den USA gefangen gehalten wurde, obwohl schon ein Jahr nach seiner Entführung klar war, dass er kein gefährlicher al-Quaida-Terrorist war. Doch just der damalige Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeyer versuchte alles, die Rückreise von Kurnaz in die Bundesrepublik zu verhindern. Just jener Steinmeyer, der jetzt in den Koalitionsverhandlungen mit der CDU wieder freudig den Schulterschluss mit Thomas de Maizière sucht, der als Verteidigungsminister beinah über die so genannte “EuroHawk-Affäre” gestürzt wäre, die völlig überteuerte Aufklärungsdrohne, mit der auch die Bundeswehr nun im neuen “geheimen” Drohnenkrieg mitmischen soll. Keiner hat den Umbau der Bundeswehr zu einer modernen Interventionsarmee nach US-amerikanischem Vorbild derart forciert vorangetrieben wie de Maizière, den die Meißener am 22. September mit 53,6 Prozent der Stimmen wieder in den Bundestag geschickt haben. Und es sieht ganz so aus, als dürfe dieser Mann auch in der neuen Regierung seine Arbeit fortsetzen.

Goetz und Fuchs reichte natürlich nicht die simple Feststellung, dass AFRICOM von Stuttgart aus die Tötungen in Afrika steuert. Sie wollten genau wissen, wie der moderne Drohnenkrieg funktioniert, der mittlerweile auch die Obama-Regierung in Erklärungsnöte gebracht hat. Immerhin sollte die gezielte Tötung von “für Amerika gefährlichen Personen” die bis 2007 gepflegte Verschleppungspraxis ablösen. Immerhin hatte Barack Obama ja die Auflösung von Guantanamo, wo einige hundert Verschleppte nun seit Jahren ohne Prozess inhaftiert sind, versprochen, was dann bald zu einem halbherzigen Versprechen wurde, keine neuen Häftlinge nach Guantanamo zu schicken.Der Ersatz dafür: Das gezielte Abschießen von “Terrorverdächtigen”. Man brauchte niemanden mehr einzusperren und zu verhören, vor ein ordentliches Gericht zu stellen erst recht nicht. Seitdem werden die sensationslüsternen Medien aller paar Wochen mit der Meldung erfreut, es sei wieder gelungen, einen “Terrorverdächtigen” auf Rang 1 oder 2 irgendeiner Verdächtigenliste abzuschießen. Die Medien fressen diese Meldungen, diskutieren über die Bedeutung des abgeschossenen “Terroristen” ein bisschen – und hinterfragen nicht einmal mehr, mit welchem Recht die USA in verschiedenen Ländern Asiens und Afrikas einfach Verdächtige abschießen. (Und damit gerade in brisanten Regionen ihr Renommé dauerhaft und gründlich demolieren.)

Fast 5.000 Opfer hat der Drohnenkrieg mittlerweile gekostet, über 1.000 davon sind das, was die Militärs gern “Kollateralschaden” nennen, getötete Zivilisten, auch viele Kinder und Frauen, die mit in die Luft gesprengt wurden.

Aber um überhaupt die möglichen “gefährlichen Personen” zu lokalisieren, brauchen die Amerikaner Informationen. Und die bekommen sie zuhauf auch von deutschen Geheimdiensten, seien es nun Verhörergebnisse von Asylsuchenden aus den betroffenen Ländern, seien es Informationen zu deutschen Staatsbürgern, die ins Beobachtungsraster der deutschen Geheimdienste geraten sind. Und da stellt sich schnell heraus, dass die deutschen Schlapphüte genauso emsig Daten sammeln wie ihre Kollegen von der NSA, vom abgefangenen E-Mail-Verkehr bis zu den Telefondatenverbindungen. Da erscheint (auch wenn es in diesem Buch kein Thema ist) die massenhafte Funkdatenabschöpfung der sächsischen Behörde zu den Februardemonstrationen 2011 in Dresden als Teil eines viel größeren Puzzles, in dem der Einzelne tatsächlich zum lokalisierbaren “Target” wird. Ein paar Telefonkoordinaten genügen, und jeder Mensch ist auf einmal weltweit punktgenau zu verorten. Und einige getötete deutsche Staatsbürger in Afghanistan könnten genau dieser bereitwilligen Kooperation des BND mit den US-Amerikanern zum Opfer gefallen sein.

Denn wer bei einem Drohnenangriff eliminiert wurde, der kann vor keinem Gericht mehr seine Unschuld beweisen.

Und nicht nur das Leitkommando für den afrikanischen (Drohnen-)Krieg steht in Deutschland, auch die Leitzentrale, die die Drohneneinsätze selbst überwacht. Sie steht auf dem gigantischen Militärflughafen Ramstein. Auch hier verschafften sich die Journalisten zumindest so etwas wie einen kleinen Hausbesuch. Die eigentlichen “Piloten” für die Drohnen-Einsätze sitzen in der Wüste von Nevada. Aber ihre Einsätze würden ohne die Überwachung und Steuerung in Deutschland nicht funktionieren.

Und die Bundesregierung will auch davon nichts gewusst haben, obwohl sowohl das Grundgesetz als auch der 2+4-Vertrag die Beteiligung der Bundesrepublik an einem Angriffskrieg untersagen. Aber auch das war ja schon in Zeiten des Irak-Krieges Thema – und die Schröder-Regierung erwies sich gegenüber den Kriegsnutzungen der US-amerikanischen Airbases als genauso windelweich wie die diversen Merkel-Regierungen. Im Gegenteil: Die Merkel-Regierung suchte erst recht die bereitwillige Unterwerfung unter das, was die USA ihren “Krieg gegen den Terror” nennen. Bis hin zu Eingriffen in die eigene Landeshoheit.

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Geheimer Krieg
Christian Fuchs; John Goetz, Rowohlt Verlag 2013, 19,95 Euro

Goetz und Fuchs arbeiten aber auch das finstere Verschleppungskapitel auf, das Murat Kurnaz zum Verhängnis wurde und in dem die CIA, die auch ihre Basis in Deutschland hat, eine Hauptrolle spielt. Und ein IT-Unternehmen, das in vielfacher Hinsicht Auftragnehmer der us-amerikanischen Geheimdienste ist und das seinerzeit die Verschleppungsflüge logistisch betreute, die Computer Sciences Corporation (CSC). Auch sie hat einen Ableger in Deutschland, und das eigentlich Erschreckende ist, dass sie nicht nur auch von der Bundesregierung millionenschwere Aufträge bekam, sondern dass sie als Berater praktisch in sensibelsten Themenbereichen der Bundesregierung mit am Tisch sitzt. Allein das Bundesinnenministerium hat CSC 32 Aufträge in hochsensiblen Bereichen übertragen. Indirekt sitzen die amerikanischen Geheimdienste also längst mit am Regierungstisch in Deutschland.

Da verwundert dann die Abwiegelungsstrategie der diversen Minister und der Bundeskanzlerin nicht mehr. Wahrscheinlich wissen sie ganz genau, wie sehr sie die sensibelsten Schutzbereiche des Landes schon den US-Amerikanern preisgegeben haben. Von einer selbstbewussten und selbstbestimmten (Außen-)Politik kann da wirklich keine Rede mehr sein. Und dass die Bundesbürger die wichtigsten Vertreter dieser (Geheim-)Politik am 22. September wieder mit großer Mehrheit an die Macht gewählt haben, sollte zumindest Sorgen bereiten. Sehr große Sorgen. Eine souveräne Regierung sieht anders aus.

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