Der Gedanke lag nah. Warum nicht auch ein großes Bilderbuch mit Ansichtskarten zur Völkerschlacht und zum Bau des Völkerschlachtdenkmals machen? 1913 war auch die hohe Zeit der Bildpostkarten. Und Dutzende Verlage fluteten den Markt mit Schlachtenszenen, mit Schauplatzbildern der Schlacht und natürlich dem wachsenden Koloss am Südrand von Leipzig. Ja, aber, sagte sich Pro Leipzig.
Wohl wissend, das man auch die bunten Bilderkarten von 1913 nicht einfach unkommentiert wieder abdrucken kann. Dazu ist zu viel passiert seitdem. Und ein gut Teil der Karten verrät schon, warum. Denn eifrig wurde schon wieder zum Streit gezündelt, wurden die “Freiheitskriege” von 1813 zur Urlegende einer deutsch-französischen Feindschaft stilisiert. Und jede Menge stolzer, kämpferischer Preußen kommen vor auf diesen bunten Bildern. Die Sachsen tauchen nur ganz hinten einmal auf, als sie ordentlich und mit stolzgeschwellter Brust die Seiten wechseln.
Ganze Kartenserien feiern den deutschen Nationalstolz. Man kann schon ahnen, wie dieses gewaltige Denkmal fortan immer wieder im nationalistischen Sinn gebraucht und missbraucht werden würde. Der Wurm war schon 1913 drin. Russen und Österreicher fühlten sich durch den Bau dieses Nationaldenkmals nicht repräsentiert und bauten ihre eigenen Gedenkstätten in Leipzig. Und die fast zehn Meter hohen Kolossalfiguren in der Ruhmeshalle symbolisieren eben nicht das, was die Toten auf dem Schlachtfeld vereinte – sondern “deutsche Volkstugenden”. Und zwar nicht irgendwelche, sondern genau jene, die so gut für jeden Krieg missbrauchbar sind: Opferfreudigkeit, Tapferkeit, Volkskraft und Glaubensstärken. Der Boden war fruchtbar, auf dem der deutsche Nationalismus gedeihen konnte.
Was also tun?
Pro Leipzig wandte sich deshalb an die wichtigsten Leipziger Autoren, die sich schon seit Jahren mit dem Thema beschäftigen, und bat sie, Essays zu den wichtigsten Grundthemen zu schreiben. Steffen Poser, der Leiter des Völkerdenkmals, schrieb zu “‘Geist von 1813’ – Immer wieder”, Michél Kothe beschäftigt sich mit der Wirkungsgeschichte des Denkmals – und seinem immer neuen Missbrauch. Er sieht im heutigen Reenactment einen der besten Wege, den alten Völkerhass zu überwinden, denn bei den historischen Gefechtsdarstellungen treffen sich ja die Kostümierten aus allen damals beteiligten Nationen – da sitzen Russen, Polen, Schweden, Franzosen, Österreicher und Sachsen friedlich am Lagerfeuer.
Den langen Weg zum Denkmalsbau, der ja 100 Jahre brauchte, schildert Bernd Weinkauf. Von Bertuch und Brockhaus, die sich als erste zu einem Denkmal äußerten, bis hin zum großen Thieme-Bau. Über den ja auch immer wieder gerätselt wird. Wieviel Freimauertum steckt da drin?
Eine ganze Menge, wie Günter Martin Hempel und Otto Werner Förster zu erzählen wissen, sichtbar für jeden, der die Zeichen zu lesen versteht. Was nicht mehr viele können, denn die Zeit, da es zum guten Ton im Bildungsbürgertum gehörte, auch einer Freimaurerloge beizutreten, ist lange her. Was auch bedeutet: Den Verschwörungstheorien sind Tür und Tor geöffnet. Selbst eine Tür, die eigentlich nicht geöffnet werden sollte. Doch um einen Fahrstuhl ins Denkmal zu bauen, hat die Stadt Leipzig auch diese Tür geöffnet.
Wer aber die Denkweise der Freimaurer ein bisschen kennt und ihre selbst definierten Traditionslinien hin zu den alten Dombauhütten und den Kreuzrittern, der sieht die Kreuzritter dort stehen – auf dem Denkmal und im Denkmal. Was das Ganze natürlich noch befremdlicher macht. Wohin wollte dieses Leipziger Bürgertum, zu dem Thieme natürlich gehörte, eigentlich? Was war das für ein Geist, der es bewegte?
Es erstaunt nicht, dass zur Denkmalweihe auch Wagner gehörte. Seine Nationalopern passten auf dieses bürgerliche, historistische Selbstverständnis des deutschen Bürgertums wie die Faust aufs Auge. Seine Parzifale und Lohengrine waren Zeitinterieur. Es war die Zeit, in der alte Burgruinen mit großem Aufwand zu neuen Ritterburgen umgebaut wurden, in der aber auch Rathäuser, Villen und Fabriken wie Ritterburgen aussahen. Man flüchtete geistig in idealisierte Vergangenheiten, während die Gegenwart immer hektischer wurde. Deswegen wirkt das wilhelminische Zeitalter bis heute so krachledern, so dunkel und pompös. Und fand sich dabei auch noch modern.
Das Ergebnis war nicht nur der Krieg, den man 1914 vom Zaun brach. Das Ergebnis war auch die tief gespaltene Weimarer Republik, die den Leuten, die im wilhelminischen Denken groß geworden waren, viel zu modern, zu hell und experimentierfreudig wirkte. Der kommende Faschismus, der sich selbst als modern begriff, war in seinen Wurzeln der panische Versuch eines ganzen Landes, sich in den Mythen der eigenen Geschichte zu verkriechen.Und dafür steht auch das Völkerschlachtdenkmal, das so mancher auch gern mal gesprengt hätte oder überwuchern lassen von Gestrüpp. Die Stadt Leipzig hat sich anders entschieden und ein paar Millionen hineingesteckt, um es wieder in alter Pracht herzustellen. Aber auch, um es umzudeuten zu einem Friedensdenkmal. Was nicht funktionieren wird, wie Michél Kothe schreibt. Die Botschaft ist dem Bau – wie jedem Denkmal, das auch ein Denk-Mal ist, eingeschrieben. Damit muss man umgehen. Wenn man es richtig macht, ist der Bau auch ein Mahnmal. Nicht für die Schlacht von 1813. Das ist ja sogar das Frappierende: man findet die Erinnerung an diese Massenschlacht ja nur indirekt, so sehr “sublimiert”, dass selbst die Auftritte der uniformierten Gefechtsdarsteller heutzutage dort befremdlich anmuten.
Es ist ein Denkmal, das den Geist von 1913 in sich trägt, grimmiges Pathos, die feierliche Sehnsucht nach einem verklärten Rittertum, eine Trauerstätte, die selbst die konkreten Grausamkeiten der Schlacht wegblendet und stattdessen eine wagnersche Opernbühne aufbaut, wo Trauer zum Schauspiel überhöht hat.
Künstlerisch eigentlich misslungen, wenn man den Anspruch von Clemens Thieme ernst nimmt, hier “kommenden Geschlechtern ein Mahnzeichen” setzen zu wollen. Das Anliegen, hier ein Zeichen für Toleranz und Menschenwürde finden zu wollen, kann man zwar aus der Freimaurerei herleiten.
Aber die ganzen bunten Postkartenserien der Zeit zeigen, dass der Bau so in der breiten Öffentlichkeit damals nicht verstanden wurde. Auch und erst recht nicht von den Potentaten der Zeit, die zur Denkmalsweihe angereist kamen, wo es Thieme dann fertigbrachte, den deutschen Kaiser zu beleidigen, indem er all die Hoheiten in seiner Rede gar nicht erst ansprach, sondern das Publikum anredete, als stünden dort lauter Freimaurer und Freimaurerinnen: “Brüder und Schwestern!”
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Sabine Ebert, die in diesem Jahr mit ihrem Roman “1813. Kriegsfeuer” für Furore sorgte, bringt den Moment in einem fiktiven Radiobeitrag auf den Punkt.
Mit diesen Beiträgen, die etwas tiefer in die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte des Denkmals einführen, sind die hier gesammelten über 200 Postkartenmotive erst einzuordnen. Sie zeigen eben nicht das Jahr 1813. Davon gibt es praktisch kaum authentische Bilder. Es ist das Jahr 1913 selbst, das sich hier seine eigene Geschichtsinterpretation geschaffen hat, die auch deutlich abweicht von der Interpretation, die ein Clemens Thieme sehen wollte. Es ist eine sehr martialische Interpretation. Und man sieht, wie selbst die Postkartenhersteller schon Teil einer Instrumentalisierung sind, die den 100 Jahre zurückliegenden Krieg als Blaupause für einen neuen, noch viel blutigeren Krieg aufbereitet.
In dieser Zusammenstellung zeigt der Band die ganze Zwiespältigkeit des Doppeljubiläums. Aber gerade diese Zwiespältigkeit ist wohl der Normalzustand von Geschichte. Und der Normalzustand der Leipziger Stadtgeschichte. Und Wagner und Völkerschlachtdenkmal fallen als Jubiläum ganz bestimmt nicht zufällig in ein Jahr.
“Völkerschlacht. Gedenken auf historischen Ansichtskarten”, Pro Leipzig, Leipzig 2013, 18 Euro
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