Eigentlich hatte es nur eine Einleitung werden sollen zum zweiten Natonek-Band, der jetzt im Lehmstedt Verlag erscheint. Pünktlich zu Hans Natoneks 50. Todestag am 23. Oktober. Aber dann schaute sich Steffi Böttger das ganze Material an, das sie zu Hans Natonek gesammelt hatte. Das musste einfach ein eigenes Buch werden. Die erste richtige Monografie über einen schon fast vergessenen Leipziger Schriftsteller und Journalisten.

2006 hatte Steffi Böttger schon den ersten Band mit gesammelten Essays des 1892 in Königliche Weinberge (bei Prag) geborenen Autors herausgegeben. Schon das war eine (Wieder-)Entdeckung, ein richtiger Paukenschlag. Bis dahin redete man in Leipzig bestenfalls über Wolfgang Natonek, den Sohn von Hans Natonek. In Gohlis ist eine Straße nach beiden benannt. Aber bevor Steffi Böttger sich auf die Suche nach den Hinterlassenschaften des 1934 aus Deutschland Geflohenen machte, war vom literarischen Werk Natoneks nur noch wenig bekannt. Der “Schlemihl” war noch ab und zu aufgelegt worden. Die Arbeiten aus seiner späten Schaffensphase schafften es erst gar nicht nach Deutschland und blieben zum größten Teil auch in seiner letzten Wahlheimat USA unveröffentlicht.

Der Band “Im Geräusch” der Zeit basierte auf den vielen Arbeiten, die Hans Natonek zwischen 1913 und 1933 veröffentlichte – nicht nur in der (Neuen) Leipziger Zeitung, wo er 1924 auch Feuilletonchef wurde, sondern auch in Dutzenden weiterer Zeitungen und Magazinen in ganz Deutschland. In Reimanns “Der Drache” veröffentlichte er genauso wie in der “Weltbühne”. Er gehörte zu den besten Feuilletonisten der Weimarer Republik. Das war nun, nach dem 2006 erschienenen Essayband eigentlich nicht mehr zu beweisen. Doch eine Frage war geblieben: Warum geriet der Mann dann nach seiner acht Jahre währenden Flucht über Prag, Paris, Marseille, Lissabon nach New York derart ins Abseits und in Vergessenheit?

Andere Exilanten konnten doch in ihrer neuen Heimat anknüpfen an ihre Erfolge, wieder andere kehrten zurück und spielten bei der Erneuerung Deutschlands eine unverzichtbare Rolle. Doch Hans Natonek kehrte nicht zurück. Lag es an seiner Abneigung gegen das Land, das ihm 1933 jegliche Existenzgrundlage genommen hatte? Lag es daran, dass er seine dritte Heimat, die USA, nicht wieder aufgeben wollte, nachdem er nicht nur seine Wahlheimat Deutschland verlassen musste, sondern auch das Land seiner Kindheit, die Tschechoslowakei?
Akribisch zeichnet Steffi Böttger auch seine Flucht nach. Das ermöglicht ihr nicht nur der in den USA erhaltene Nachlass Natoneks, sondern auch der Fund der von Natonek1940 in Paris zurückgelassenen Schriften, die seinerzeit von der Gestapo beschlagnahmt wurden und heute in Berlin lagern. Immer wieder gelang Natonek nur in letzter Minute die Flucht vor den heranrückenden Deutschen. Prag verließ er 1938 ebenso erst im letzten Augenblick wie Paris 1940 und Marseille im selben Jahr. Mit den vorrückenden deutschen Truppen kamen auch die Häscher. Natoneks Geschwister sind alle beide in der Mordmaschinerie der Nazis verschwunden. Was aus seinen Eltern wurde, konnte Steffi Böttger nicht ermitteln.

Nur kurz tauchen sie auch zu Beginn des Buches auf, Ignatz Natonek als ein Mann, der sich von seinen jüdischen Wurzeln vollkommen lösen und assimilieren wollte. Was im späten k.u.k.-Österreich kein Problem war. Umso verblüffter war Hans Natonek später darüber, dass sein Großvater nicht nur Rabbiner war, sondern auch ein Vorkämpfer des Zionismus. Selbst in den USA sollte ihm eine Schrift seines Großvaters begegnen. Doch auch das war nicht der Grund, warum Natonek nach dem Krieg nicht nach Europa zurückkehrte. Er hatte schon 1941 beschlossen, in seiner neuen Heimat auch den Versuch zu unternehmen, als Schriftsteller Erfolg zu haben. Das schien auch anfangs zu klappen. 1943 erschien seine Autobiografie “In Search of Myself”.

Doch die Berge von Romanen, die er nachher schrieb – später auch ganz auf Englisch, das er sich erst mühsam angeeignet hatte – blieben unveröffentlicht.

Der Grund für sein Scheitern könnte schlicht ein Lebensirrtum gewesen sein, stellt Steffi Böttger fest. Denn den (Brot-)Beruf des Journalisten ergriff der 22-jährige Natonek wohl nur als vorübergehenden Ersatz für seine eigentliche Ambition: Romane zu schreiben. Einige seiner Romane sind bis 1933 auch im Zsolnay Verlag erschienen. Doch auch Joseph Roth, mit dem Natonek eine tiefe Freundschaft verband und dessen letzte Tag er in Paris miterlebte, wies – zum Teil sehr deutlich – darauf hin, dass Natoneks Genre die kurze Form war. Da war er brillant, pointiert. Ein geborener Journalist, wie Steffi Böttger feststellt. Und sie kann es feststellen, sie hat seine mehr als 2.000 Veröffentlichungen gelesen.

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Und wenn das Feuilleton der “Neuen Leipziger Zeitung” noch beim heutigen Lesen durch seine Qualität besticht, dann hat das mit Hans Natonek zu tun, der den jungen Erich Kästner nicht nur ebenfalls zur NLZ holte, sondern mit ihm auch eine lebenslange Freundschaft pflegte.

Vielleicht hätte Hans Natonek auch in den USA Chancen gehabt, sich als Journalist einen Namen zu machen. Aber er scheint sich gänzlich darauf versteift zu haben, mit Romanen Erfolg zu haben, die aber wohl am Ende alle das Problem hatten: Sie passten nicht zu dem auf “Bestseller” geeichten us-amerikanischen Buchmarkt. Und der deutsche Buchmarkt war ihm fremd geworden.

Was bleibt, sind seine vielen Zeitungsbeiträge, die sich auch heute noch lesen lassen, weil es zumeist stilistische Meisterwerke sind.

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Für immer fremd
Steffi Böttger, Lehmstedt Verlag 2013, 19,90 Euro

Mit dieser Lebensbeschreibung gibt Steffi Böttger einem lange Verschollenen wieder ein Gesicht und eine Geschichte. Einem, der zu den so wichtigen kritischen Köpfen Leipzigs gehörte, die die Stadt lebendig und streitbar machten.

Auch der zweite Band mit Natonek-Essays von 1933 bis 1963 liegt mittlerweile vor.

Steffi Böttger und Dieter Bellmann stellen die Biografie am Mittwoch, 23. Oktober, um 20 Uhr in der Stadtbibliothek vor.

www.steffi-boettger.de

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