Für Wolfgang Hocquél ist die alte Gründerzeitstadt Leipzig ein Faszinosum. Etliche große Bücher hat er dazu schon verfasst, 2012 auch einen umfassenden Band über die Passagen und Höfe der Leipziger Innenstadt. Die sind natürlich so schön, dass man dazu auch gleich ein paar Kalender machen kann. Zwölf Passagen vereint dieser neue Kalender für 2014 - eine durchaus als Überraschungsgast.

Die eine sind natürlich die Promenaden Hauptbahnhof, 1997 ganz offiziell nach dem Umbau des Hauptbahnhofs eröffnet und beliebt bei den Leipzigern und den Besuchern von auswärts (die nicht nur wegen des Hauptbahnhofs kommen). Wolfgang Hocquél schildert in einem kurzen, informativen Text, warum die “Einkaufslinse” auf dem Hauptbahnhof ganz zwanglos zu den berühmten Leipziger Passagen gehört – und deshalb auch funktioniert. Das einzige, was bislang fehlte, war immer der barrierefreie Übergang von den Promenaden in die Innenstadt. Der alte schmale Fußgängertunnel war nicht barrierefrei, der ebenerdige Übergang über die vierspurige Ringpromenade und die vierspurige Straßenbahnhaltestelle ist es auch nur in der Fiktion.

Die Verteilerebene wäre die große Chance gewesen, das Thema nachhaltig zu lösen. Wenn man den Übergang nicht mit einer neunstufigen Treppe ausgestattet hätte … Die Chance wurde versiebt. Grundlos. Wirklich grundlos.Da hätte ein bisschen Beschäftigung mit den alten Leipziger Passagen sicher geholfen, die richtige Entscheidung zu fällen. Denn die entstanden ja auch im alten Paris vor allem aus einem Grund: Den Besuch eines kauffreudigen Publikums zu erleichtern und auch noch von Wind und Wetter unabhängig zu machen. Diese Pariser Idee fanden die Leipziger am Ende des 19. Jahrhunderts schlichtweg überzeugend. Die Durchbrüche durch die dicht bebauten Hausquartiere existierten ja zumeist schon. Man musste die alten Handelshöfe beim Umbau lediglich überdachen und mit Schaufensterfronten versehen, wo immer das möglich war. Ein bisschen architektonischer Flimmer konnte nicht schaden.

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Die Lichthöfe wurden mit einem Glasdach versehen, Skulpturen, kleine Brunnen, kostbarer Stein und ein gewienerter Fußboden sorgten dafür, dass sich jeder Passant schon beim Betreten wie zu Hause fühlen konnte.

Die Leipzig-Karte auf der Rückseite des Kalenders listet 26 Passagen und Höfe auf – andere Aufstellungen kommen auf über 40. Und dieses “private Wegesystem” – es befindet sich ja rechtlich auf dem privaten Grund der Gebäudeeigentümer – hat natürlich seit 1990 Furore gemacht. Vorher gab es zwar auch ein paar Passagen, die das Desaster der Bombardements im 2. Weltkrieg und die DDR-Zeit überlebt hatten. Aber wirklich Geld für die Wiederherstellung der alten Schönheiten floss erst in den letzten 20 Jahren.

Es kamen auch neue Passagensysteme hinzu – wie die Strohsack-Passage (im Kalender als Passage “Blauer Hecht” zu finden), andere wurden praktisch durch Neubau wiedergewonnen – wie die Durchgänge im Städtischen Kaufhaus. Wieder andere waren schon so lange verschollen, dass sie nach ihrer Revitalisierung echte Geheimtipps sind – wie die Passage “Zum Kleinen Joachimsthal”, die auf der Kalender-Karte noch gar keine Nummer hat, während die “Höfe am Brühl”, die eher eine überdachte Mall als eine echte Passage sind, die Nummer 26 bekamen.Man möchte ja so gern Passage sein. Aber das klassische Passagensystem zeichnet sich eben auch dadurch aus, dass es nicht introvertiert ist, sondern tatsächlich verbindet. Man kann durchschlendern, einkaufen, genießen – und kommt am Ende auch wieder weiter. Das offizielle Straßensystem ergänzt sich für jeden Spaziergänger mit dem der Passagen. Oder eben dem der Durchgangshöfe, für die in diesem Kalender Webers und Barthels Hof exemplarisch vertreten sind. Mit eindrucksvoll schönen Architekturfotos, die den Reiz dieser schönen Abkürzungen sichtbar machen.

So werden teilweise Dimensionen sichtbar, die der Fußgänger für gewöhnlich nicht wahrnimmt, der Leipziger schon gar nicht. Denn wer schaut schon in der Eile des Tages immer nach oben, sucht nach Bildern an den Wänden, Lichtspielen, Erkern? Oder wer geht schon mal in den eher strengen Lichthof von Stentzlers Hof, um dort den Renaissance-Schaugiebel zu bewundern, der von einem anderen Leipzig erzählt, das es so nur noch in wenigen Spuren gibt?

Natürlich regt so ein Kalender dazu an, genau das wieder zu tun, auch mal in geklinkerte Abkürzungen einzubiegen, die man bisher eher gemieden hat – Steib’s Hof zum Beispiel, der sich in der Nikolaistraße fast schüchtern öffnet, oder Kretschmanns Hof, der sich künftig mit dem Durchbruch zur Hainstraße erst richtig zur Passage mausern wird. Jede Passage ist anders. Manche haben ihre Geheimnisse, die sicher die Dichter, Maler und Musiker Leipzigs noch ganz anders erzählen könnten.

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Die Leipziger Passagen und Höfe 2014
Wolfgang Hocquél, Sax-Verlag 2013, 29,80 Euro

Manche Passagen sind selbst längst ein Klassiker und werben – wie die Mädlerpassage, die auch in diesem Kalender nicht fehlt, weithin für Leipzig und sein besonderes Flair. Für dieses beim Wort genommene “Klein-Paris”, das in seiner Glanzzeit dem großen Paris nacheiferte.

Es ist übrigens in allen touristischen Umfragen längst die Hauptattraktion, deretwegen Touristen in die wieder mit Leben erfüllte Gründerstadt kommen. Der Kalender ist eine Einladung, sich mal wieder Zeit zu nehmen für dieses Flair und die kleinen Abschweife, die der eilige Leipziger sonst immer nur als Abkürzung erlebt.

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