Sie werden am 20. Oktober während der Leipziger Festwoche zu 200 Jahre Völkerschlacht und 100 Jahre Völkerschlachtdenkmal die Hauptrolle spielen: Darsteller aus ganz Europa, die nicht nur einzelne Gefechtsszenen aus der blutigen Schlacht bei Leipzig von 1813 zeigen, sondern auch in ihren Biwaks miterleben lassen, wie Soldaten und ihr Tross vor 200 Jahren lebten und versuchten, die Feldzüge zu überleben.

Denn gestorben wurde ja nicht nur auf den Schlachtfeldern. Tausende starben auch nach der Leipziger Schlacht in den Lazaretten oder an den Seuchen, die Wochen nach dem Gemetzel ausbrachen. Aber selbst die Märsche vor den Gefechten waren eine Tortur – und für die Betroffenen eine Plackerei. Nicht nur Waffen mussten mitgeschleppt werden, auch die Fourage musste besorgt werden, Kleidung musste instand gehalten, Pferde mussten versorgt werden. Auch fürs Seelenheil wurde gesorgt.

Und so findet man unter den Darstellern der Reenactment-Treffen außerhalb des Leipziger Oktober nicht nur Soldaten und Offiziere in den Uniformen aller Armeen, die vor 200 Jahren auf die Schlachtfelder geschickt wurden, sondern auch Marketenderinnen, Chirurgen, Trommler, Priester.Und sie alle waren auch im Jahr vor dem großen Jubiläum unterwegs – in Großgörschen und Groitzsch, in Buttstädt, Stolpen und Polenz, auch in Grimma und Markkleeberg. Der Leipziger Fotograf Olaf Martens, der mit seinen inszenierten Fotografien nicht nur in deutschen Medien Furore macht, sondern mit Ausstellungen in aller Welt das Publikum verblüfft, ist den Darstellern nachgereist. Ursprünglich im Auftrag der Leipzig Tourist und Marketing GmbH, die die historischen Schlachtendarstellungen in Mitteldeutschland von einem professionellen Fotografen dokumentiert haben wollte. Auch ein großes Plakat zum Jubiläum ist dabei entstanden – es zeigt einen der friedlichen Momente am Rande des Geschehens: einen schlesischen Husaren mit seinem Apfelschimmel. Das Foto entstand 2012 bei Großgörschen. Und es ziert jetzt auch den Bildband, den der Sax Verlag aus den Bildern von Olaf Martens zusammengestellt hat. Ein Bildband, der eingeordnet werden muss – und der auch eingeordnet wird.

Denn der Pulverdampf und das Schlachtengetümmel haben den Leipziger Fotografen nicht wirklich interessiert. Dafür hätte er sich keine tagelangen Exkursionen auf die Spielfelder der “Living History” zugemutet – auch wenn Kampfszenen trotzdem auftauchen. Aber noch viel mehr interessierten ihn all die Leute, die da Jahr für Jahr immer zu den selben Daten unterwegs sind in den Regionen, wo einst die Gefechte mit den napoleonischen Armeen stattfanden, und dort auch tagelang ausharren in den Uniformen und unter den Bedingungen der damaligen Zeit.

Nicht nur Martens geht darauf ein, sondern auch Michél Kothe, der die Szene der Reenactment-Darsteller aus der Innensicht kennt und weiß, wieviel Zeit und Energie jeder Beteiligte dafür aufwendet, um die Bedingungen des Jahres 1813 möglichst detailgetreu nacherleben zu können. Sein Hinweis ist berechtigt: Die Reenanactment-Darsteller waren die ersten, die eine möglichst originalgetreue Darstellung historischer Ereignisse mit fast wissenschaftlicher Akribie betrieben. Jedes Uniformdetail muss stimmen, jede Waffe dem Original entsprechen, Fußwerk, Ranzen und Geschirr, Küche und Strohlager – sie lassen nichts aus. Nicht einmal die 20-Kilometer-Märsche bei Wind und Wetter, wie sie auch die Soldaten von 1813 absolvieren mussten. Die Geschwindigkeiten, die Napoleon von seinen Truppen forderte, waren zwar anexerziert – aber sie waren auch für die bestausgebildeten Soldaten eine Strapaze. Die der moderne, autofahrende Soldatendarsteller natürlich auf neue Art erfährt.

Das Beispiel hat auch auf die Wissenschaft abgefärbt, wo die Rekonstruktion historischer Ereignisse im Rahmen der Experimentellen Archäologie mittlerweile ein wichtiges Instrument geworden ist, dem Leben und Leiden vergangener Epochen näher zu kommen.Martens aber ist weniger ein Dokumentarfotograf als ein großartiger Inszenierer. Er hat auch einen ganzen Apparat an Beleuchtungstechnik mit in die Feldlager geschleppt und das Agieren der uniformierten Darsteller zubereitet wie Gemälde. Dabei nutzt er auch gern das Lichtspiel der Sonne dazu, die Dramatik noch zu erhöhen und seinen Bildern Tiefe zu geben. Der herbstlich gelbe Wald, der Morgennebel auf den Feldern, selbst Regen finden Eingang in seine Bilder. Das alles macht er bewusst. Er will die Darstellung des Historischen Lebens als Darstellungsform zeigen, als eine Art modernes Theater, bei dem die Darsteller in der Regel auch die Zuschauer sind. Sie eignen sich die Vergangenheit an, indem sie möglichst authentische Bedingungen herstellen – mit allem Drum und Dran.

Und man spürt, dass es eine Schinderei ist, wenn ein Sechspfünder in Stellung gebracht wird, dass die Treffen aber auch ausfüllende Begegnungen sind. Hier suchen Menschen mehr als ein Hobby – hier schlüpfen Männer und Frauen in ein anderes Leben, füllen ihre Rolle ganz und gar aus. Und es existiert längst eine grenzüberschreitende Gemeinschaft der Gleichgesinnten, die sich regelmäßig treffen und austauschen. Ob sie dann am Lagerfeuer im Biwak nur fachsimpeln oder auch über Persönliches reden, das verraten die Fotos natürlich nicht.

Aber wie groß die Szene der Darsteller ist, können die Besucher der Gefechtsdarstellung am 20. Oktober sehen: Zu diesem Treffen haben sich über 6.000 Teilnehmer aus ganz Europa angemeldet. Und viele ganz bestimmt in dem Sinn, den Michél Kothe beschwört: “Niemand vermag den Krieg aus der Geschichte löschen. Doch WIR werden alles tun, damit er nicht die Zukunft bestimmt.”

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1813. Geschichte leben
Olaf Martens, Sax-Verlag 2013, 29,80 Euro

Und da Martens seine Darsteller immer wieder groß ins Bild nimmt, werden auch die Gesichter lebendig – alte und junge Akteure, Frauen und Männer, auch Jugendliche, die so dicht an den 200 Jahre vergangenen Ereignissen sein wollen, wie das heute möglich ist. Sie lassen sich – provisorisch bandagiert – vom Feld schleppen, stehen stramm, nächtigen in Leinwandzelten oder lassen sich gar als Deserteur vors Militärgericht schleppen. All die finsteren Auswüchse der modernen Kriege waren ja schon da. Nur auf den ersten Blick sieht alles schön bunt und theatralisch aus – was wohl auch Absicht war in den alten Fürstenarmeen.

Aber auch Bilder von den Foto-Aktionen für das Asisi-Panorama zur Völkerschlacht hat Martens mit aufgenommen, wo die sonst so fröhlich marschierenden Soldaten als Verwundete und Leidende zu sehen sind. Oder als Fliehende im Gedränge. Hinter der eindrucksvollen Inszenierung werden Tragik und Leid sichtbar. Genauso nachgestellt wie die Gefechtsszenen auf den Stoppelfeldern, aber genauso wahr.

Eine aufwändige und liebevoll inszenierte Hommage an die Reenactment-Darsteller und ihr Anliegen, ein komplexes Stück europäischer Geschichte wach zu halten.

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