Der Titel ist falsch. Wie so viele derzeit zum Thema NSU und rechter Terror. Wie das ganze falsche Erschrockensein รผber die Existenz einer rechtsextremen Terrorzelle in Deutschland. Oder genauer: in der Bundesrepublik. Denn nur darum geht es in diesem Buch. Was schon viel ist. Denn die Geschichte des rechten Terrors nach 1949 galt bis vor Kurzem geradezu als Erinnerungswรผste. Obwohl einzelne Ereignisse es ja tatsรคchlich bis in die Medien geschafft haben.
Was Andrea Rรถpke und Andreas Speit und ihren drei Mit-Autoren Andreas Fรถrster, Julia Jรผttner und Anton Maegerle in diesem Buch gelingt, ist die Horizonterweiterung. Denn der rechte Terror begann weder in Thรผringen, noch mit dem ersten Mord des NSU-Trios im Jahr 2000, noch mit den drei in Sachsen abgetauchten Kriminellen aus Jena. Das Buch ist faktenreich, eigentlich zu faktenreich. Wer ein Who is Who der gewaltbereiten rechten Szene der Bundesrepublik seit 1989 will, der findet es hier โ spรคtestens im seitenlangen Personenverzeichnis im Anhang des Buches. Das bitter nรถtig ist, denn in den sieben Kapiteln, die die fรผnf Autoren geschrieben haben, geht es munter hin und her. Und das nicht wirklich chronologisch, obwohl das eine kluge Idee gewesen wรคre.
Aber vielleicht wollten sie die direkte Anknรผpfung an das noch immer gรผltige Zitat aus Bertolt Brechts Drama โDer aufhaltsame Aufstieg des Arturu Uiโ vermeiden, das er 1941 im Exil schrieb. Denn der Neo-Faschismus in der Bundesrepublik (und in der DDR) ist natรผrlich ohne den Original-Faschismus nicht denkbar, der sich โ auch das wird gern vergessen โ nicht auf die Zeit von 1933 bis 1945 beschrรคnkt. Hinten nicht und vorne nicht. Vorne nicht, weil sich alles, was die Hitlersche Bewegung ausmacht, bis auf die direkte Zeit nach dem 1. Weltkrieg zurรผckfรผhren lรคsst, hinten nicht, weil die ganze Nazi-Elite eben nicht einfach nach der Kapitulation vom Erdboden verschwand oder sich nach Sรผdamerika verdรผnnisierte. Im Gegenteil: zu Tausenden machten die alten Nazis im Behรถrdenapparat der neuen Bundesrepublik Karriere, in der Justiz genau wie beim Militรคr und vor allem bei den Geheimdiensten. โ Angefangen bei der Organisation Gehlen, aus der dann der Bundesnachrichtendienst wurde, bis hin zu den ganzen Verfassungsschutzรคmtern der einzelnen Bundeslรคnder.
Die Aufarbeitung dieser engen Verfilzung der Geheimdienste mit den alten Kadern des NS-Regimes wird gerade erst von einer Historikerkommission begonnen. Bei den Verfassungsschutzรคmtern hat diese Aufarbeitung noch gar nicht angefangen. Andreas Fรถrster arbeitet im Kapitel โDas Versagen der Sicherheitsbehรถrden bei der Bekรคmpfung des Rechtsterrorismusโ diese alten Verstrickungen heraus, die รผber Jahrzehnte regelrecht totgeschwiegen wurden. Ihre Spuren aber weisen bis in die Gegenwart. Denn sรคmtliche Geheimdienste zeigten gerade am exemplarischen Fall NSU, dass sie auf dem rechten Auge nicht nur blind waren, sie weigerten sich sogar, die kriminellen Tatsachen, von denen sie Kenntnis erhielten, wahrzunehmen und weiterzumelden. Und der Verdacht mancher Politiker ist durchaus begrรผndet, dass den gewaltbereiten Rechtsextremisten, von denen es in der Bundesrepublik eben nicht nur drei gab, oft die Gelder gefehlt hรคtten, um ihre Strukturen aufzubauen, wenn nicht reihenweise rechte Kader als V-Leute in Diensten der diversen รmter gestanden hรคtten.2003 hat die Existenz dieser V-Leute bis in die Spitzen der NPD hinein praktisch das Verbot dieser Partei verhindert. Und auch zehn Jahre danach haben die Geheimdienste augenscheinlich auf diese Praxis nicht verzichtet. Und da sie allesamt nur einer vagen politischen Kontrolle unterliegen, รผber ihre Arbeit aber nach Gutdรผnken berichten, ist die รffentlichkeit natรผrlich auch รผber Jahrzehnte mit falschen Bildern und Einschรคtzungen geflutet worden. Und das sogar besseres Wissen. Denn Warnungen vor einem zunehmenden Terrorismus von Rechts gab es auch aus dem Umkreis der Verwaltungsschรผtzer schon in den 1990er Jahren. Doch ihre Berichte waren immer wieder mit der beruhigenden Phrase versehen, eine Gefahr fรผr Rechtsterrorismus in Deutschland sรคhe man nicht.
Mรถglicherweise der Grund dafรผr, warum auch die Polizei den fremdenfeindlichen Hintergrund der Ceska-Mordserie nicht wahrnahm. Oder wahrnehmen wollte. Was nicht amtlich ist, gibt es nicht. Was keine Entschuldigung ist fรผr die Ignoranz der Ermittler. Denn auch die 1990er Jahre, in der das Terrortrio aus Jena sich radikalisierte, waren reihenweise von rechtem Terrorismus geprรคgt. Der brandschatzende Mob von Rostock-Lichtenhagen 1991 (wo bestens organisierte Neofaschisten aus Westdeutschland extra anreisten, um die Sache noch anzuheizen) und die gewalttรคtigen Ausschreitungen wenig spรคter in Hoyerswerda gehรถren genauso dazu wie wenig spรคter die bundesweit fรผr Medienecho sorgenden Anschlรคge von Mรถlln und Solingen.
Nur behandelten die Medien diese Dinge immer wieder nur als solitรคre Ereignisse, fragten nicht nach den Netzwerken und Ideologien dahinter. Andreas Speit untersucht in seinem Beitrag โDer Terror von rechts โ 1991 bis 1996โ auch die Fรคden von den namhaft gewordenen Akteuren hin zu den existierenden rechtsextremen Netzwerken. Da tauchen einige bekannte Gestalten immer wieder auf, genauso wie es Andrea Rรถpke in ihrem Beitrag โDer Terror von rechts โ 1996 bis 2011โ zeigen kann. Hier tauchen natรผrlich auch Bรถhnhart, Mundlos und Zschรคpe auf. Fast beilรคufig, denn in Wirklichkeit waren ihre Taten nichts Auรergewรถhnliches fรผr das, was in der Bundesrepublik in diesen Jahren geschah. Auch andere fanatisierte Neo-Nazis mordeten mit fast den gleichen Methoden, warfen Brandsรคtze, legten Bomben, gingen mit Schusswaffen oder als bewaffnete Meute gegen Menschen vor, die in ihr Feindbild passten.Der โNationalsozialistische Untergrundโ (NSU) und sein dicht gestricktes Netzwerk, in dem es von V-Leuten und fรผhrenden Kadern der rechtsextremen Szene nur so wimmelt, haben Julia Jรผttner im Kapitel โDer Nationalsozialistische Untergrundโ und Andrea Rรถpke in โDer Nationalsozialistische Untergrund und sein Netzwerkโ recht ausfรผhrlich beleuchtet. Auch hier dreht sich dem Leser natรผrlich schon der Kopf, denn augenscheinlich waren es eben nicht nur das gute Dutzend von Helfern und Mitwissern, die bis jetzt immer wieder auch in Medienberichten auftauchen, die eine Rolle fรผr den โNSUโ spielen. Wahrscheinlich wird der NSU-Prozess in Mรผnchen noch ein Stรผck weit deutlicher beleuchten, dass โUntergrundโ in diesem Fall eben kein komplettes Abtauchen bedeutete und schon gar nicht das Kappen der Kontakte zum rechten Netzwerk. Das in diesem Fall vor allem definiert ist durch das in Sachsen und Thรผringen aktive Netzwerk โBlood & Honourโ, womit man beim alten Hitlerjugend-Spruch โBlut und Ehreโ wรคre. Aber auch beim bewaffneten Arm von โBlood & Honourโ, Combat 18, der bis in die Gegenwart hinein immer wieder eine Rolle spielt, wenn es um gewalttรคtige Anschlรคge in der Bundesrepublik geht..
Aber auch diese Bewaffnung, die Bildung von Terrorzellen und die Vorbereitung bewaffneter Anschlรคge sind nichts Neues. Anton Maegerle, Andrea Rรถpke und Andreas Speit kรถnnen im Kapitel โDer Terror von rechts โ 1945 bis 1990โ mit guter Begrรผndung von โUnzรคhligen Bombenanschlรคgen โฆโ sprechen. Der Bombenanschlag auf das Oktoberfest ist darunter nur der bis heute spektakulรคrste โ auch weil hier augenscheinlich, wie so oft, die Ermittlungen frรผhzeitig abgewรผrgt wurden, um die Einzeltรคter-These nicht zu gefรคhrden und vielleicht zu der beklemmenden Erkenntnis kommen zu mรผssen, dass Bayern zu dieser Zeit eine Hochburg der rechtsterroristischen Netzwerke war. Der Reflex auf auch nur die Ahnung eines rechtsextremistischen Hintergrund war immer wieder โ nicht nur in Bayern โ das Wegschauen, Wegducken, so tun, als gรคbe es da im Dunklen nichts, was die Demokratie auch nur ankratzen kรถnnte.
Auch der alljรคhrlich immer neue Versuch der Verfassungsschรผtzer und einiger konservativer Politiker, in Deutschland einen Linksterrorismus aufzumalen, der in der Dimension dem Rechtsterrorismus das Wasser reichen kann, geht in diese Richtung. Eigentlich geht er noch weiter. Er geht dem manifesten Anti-Kommunismus der extremen Rechten auf den Leim โ und verharmlost damit am Ende die Gewaltorgie von rechts.
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Die Fรผlle der Fakten und Namen in diesem Buch erschlรคgt ein wenig. Was sich in einer Reportage in der Zeitung flott liest, wirkt auf 350 Seiten relativ komprimiert. Komprimiert, aber erst dicht davor, tatsรคchlich zu einem Bild zu gerinnen. Aber das kommt vielleicht noch. Denn Rechtsextremismus ist in Deutschland eben keine sporadische Erscheinung. Die fรผhrenden Kรถpfe โ und gleich nach der Grรผndung der Bundesrepublik waren es gestandene Funktionรคre des alten NS-Regimes โ haben immer wieder neue Plattformen geschaffen, von denen aus sie Mitglieder- und Nachwuchsgewinnung betrieben. Die Wiking-Jugend ist nur eine dieser vielen Nachwuchsorganisationen, die junge Leute mit Gemeinschaft und Abenteuer lockten und anfรผtterten mit der Faszination eines komplett geschlossenen Weltbildes. Dabei konnten sie immer darauf rechnen, in einem Teil der Gesellschaft auf Akzeptanz zu stoรen, denn wirklich verschwunden sind Fremdenhass und Nationalismus bei einem Teil der deutschen Bevรถlkerung bis heute nicht. Und etliches davon gรคrt in den Kรถpfen des deutschen Kleinbรผrgertums im Grunde schon seit dem 19. Jahrhundert, als preuรischer Dรผnkel und Militarismus zur Dominante der kleindeutschen Einigung wurden.
Die Autoren des Buches erzรคhlen also nur die halbe Geschichte. Die 60 Jahre davor gehรถren auch noch dazu. Auch wenn die Gewalt damals teilweise unter anderem Namen marschierte. Und dass die autoritรคre Gesellschaft der DDR auch kein Allheilmittel gegen nazistische Umtriebe war, haben auch Stasi und Volkspolizei sehr wohl registriert. Auch damals schon fanden die neuen Nazis aus dem Osten ihr Tummelfeld im Windschatten der beliebtesten Fuรballclubs.
Geschichte hat immer auch eine Vorgeschichte. Und die ist manchmal lang und zรคh. Und sie rรคumt schon gar nicht das Feld, wenn Politik so tut, als gรคbโs das alles nicht. Wegschauen hat es den Terroristen von rechts immer erleichtert, ihre Terrorakte zu organisieren und meist sogar unbestraft durchzuziehen.
Ein erhellendes Buch auch fรผr alle, die gern schnell wieder vergessen, dass der Schoร fruchtbar ist. Immer noch.
Andrea Rรถpke, Andreas Speit (Hrsg.) โBlut und Ehre. Geschichte und Gegenwart rechter Gewalt in Deutschlandโ, Ch.Links Verlag, Berlin 2013, 19,90 Euro
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