"Tachles" ist kein ganz neues Buch. Die meisten Witze darin stammen aus zwei Publikationen, die der St. Benno Verlag schon 2001 herausgebracht hat: "Nu, ma lacht!" und "Am achten Tag schuf Gott das lachen", damals gesammelt und herausgegeben von Andreas Martin und Robert Rothmann. Volker Bauch hat dieses Material angereichert mit humorvollen Texten bekannter jüdischer Autoren wie Scholem Alejchem und Ephraim Kishon.

Und wer die jüngeren Veröffentlichungen von Ilan Weiss liest, der merkt bald, dass der jüdische Witz heute so lebendig ist wie zu der Zeit, in der einst Alejchem schrieb und wohl auch die ältesten in diesem über 300 Seiten dicken Band entstanden sind. Hier ist das osteuropäische Schtetl noch lebendig. Die Helden der kleinen Geschichten fahren als Handelsreisende durchs Land, pflegen ihre Traditionen, ehren den Rebbe – und machen sich über ihn lustig. Natürlich sind auch all die späteren Jahrzehnte des verwirrenden 20. Jahrhunderts präsent – der junge Staat Israel mit seinen oft burschikosen Beziehungen zu sich selbst und zum großen Bruder USA.

Kaum ein Volk scheint sich so liebevoll immer wieder selbst auf den Arm genommen zu haben wie die Juden. Der jüdische Witz lebt von der Fähigkeit, sich selbst nicht so ernst zu nehmen. Das Leben und die geltenden Regeln sind schwer genug. Und Manches ist halt Tradition, da muss man sich fügen, auch wenn’s mit einem lachenden und einem weinenden Auge ist. Und die Vorurteile der Gojim, der meist gar nicht so christlichen Mitbürger, sind manifest und allgegenwärtig. Viele jüdische Witze sind ein augenzwinkerndes Spiel mit diesen Vorurteilen. Die zuweilen natürlich ihre Ursachen haben. Denn im Grunde war das endlich mögliche Verlassen des jahrhundertealten Gettos im 19. Jahrhundert ja ein öffentlicher europäischer Akt. Das ach so moderne, aufgeklärte Europa bekam einen Spiegel vorgehalten und hatte auf einmal neue Mitbürger, die nun auf Augenhöhe konkurrierten.Der anschwellende Antisemitismus des 19. Jahrhunderts ist ja nicht mehr religiös fundamentiert wie der Judenhass noch zu Luthers Zeiten, sondern ökonomisch. Übrigens ein Phänomen, das auch die heutige bundesdeutsche Gesellschaft in ihrer Konfrontation mit Ausländern aller Art aufzeigt. Die Angst vor einer unaufhaltsamen Konkurrenz um Arbeitsplätze, Aufstiegschancen, Geschäftsfelder begründet die oft nur mühsam kaschierten Ressentiments. Das 19. Jahrhundert erlebte, was die Jahrhunderte davor so nicht kannten – auf einmal gab es ernsthafte, hochgebildete Mitbewerber um hohe Ämter, Lehrämter, Staatsfunktionen, etablierten sich erfolgreiche jüdische Geschäftsmänner, Künstler und Forscher.

Das ist bis heute nur in Teilen wirklich erforscht und begriffen. Am treffendsten hat es bislang nur Bernt Engelmann in “Deutschland ohne Juden” beschrieben. Auch Wagner gehört hierher, der seine Ressentiments gegen das “Judenthum” öffentlich machte. In dem so gern gefeierten “Genie” steckte auch ein von Konkurrenzangst getriebener Kleinbürger. Und der bis heute fortlebende Antisemitismus in der Bundesrepublik, insbesondere in ihren westlichen Bundesländern, zeugt eben nicht nur von Erziehung in finsteren Jahren, sondern auch von einem Fortleben der nie wirklich bewältigten Konkurrenzangst. Sie steckt mitten im Herzen einer vom Erfolg und von Karriere besessenen Gesellschaft, in der die “Plätze an der Sonne” rar gesät sind und sich die Schöpse, die sich den größten Batzen am nationalen Reichtum gesichert haben, auch noch als “Mehrleister” und “Elite” gerieren.

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Mal ehrlich: Eine Gesellschaftsschicht, die es nötig hat, sich als “Elite” zu deklarieren, ist keine mehr. Sie profitiert nur von der Hofierung des Reichtums im Land – bremst aber jede Veränderung. Welche dann auch zu einer Gesellschaft führen könnte, in der Leistung sich nicht mehr über die Boni definiert, sondern durch gute Arbeit. Die aktuelle “Elite”-Diskussion ähnelt in Vielem den Kulissenkämpfen des Wilhelminischen Kaiserreiches. Das auch deshalb zu einer wirtschaftlichen Blüte gedieh, weil jüdische Mitbürger die Chancen ergriffen, durch Bildung und Leistung in die Leitungspositionen des Landes aufzusteigen. Echter Wettbewerb macht ein Land reich. Aber die andere Seite ist: Er schürt die Panik all jener, die nicht mit Leistung und Bildung auf ihre Ämter, Pöstchen und Geldberge gelangt sind.

Auch das entspricht unserer Gegenwart.

In den jüdischen Witzen steckt auch jene Leichtigkeit, die man in den meisten deutschen Witzbüchern nicht findet. Hier wird nicht über die anderen gelacht. Warum auch? Es gibt ja keinen Grund, andere Menschen verächtlich zu machen. Man kennt seine eigenen Schwächen am besten – und von manchen kann man sich auch nicht trennen, wenn man Kopfstände macht. Genauso wenig, wie man die Vorurteile der Mitwelt los wird. Manchmal hilft dann bloß eine große Klappe. Der US-Präsident hat 4 Millionen Mitbürger, die seine Politik nicht toll finden? – Kein Problem, dem israelischen Ministerpräsidenten geht es genau so.Ein begnadeter Schauspieler aus Israel feiert rauschende Erfolge in London? – Nu, fahren wir eben hin, verwandt sind wir ja doch alle irgendwie mit ihm, da wird er auch Freikarten spendieren. Für alle.

Die Mischpoke hat natürlich ein eigenes Kapitel in diesem Buch bekommen. Mischpoke ist immer mehr als nur die eigene Familie oder Verwandtschaft. Denn das Heiraten wurde und wird wohl auch noch heute ganz strategisch und über den Tellerrand hinaus geplant. Da will Vieles bedacht sein. Ist sie schön, gesund, reich? Oder sollte man sich doch lieber erst die Schwiegermutter beschauen, die zukünftige? – Das Geld spielt immer eine Rolle. Mal wird’s verprasst, verspielt oder dem Staat in den Rachen geworfen. Spätestens in den zutiefst menschlichen Geschichten von Ephraim Kishon werden auch viele deutsche Leser sich selbst wiedererkannt haben. Denn am meisten fällt einem am Anderen ja nicht einmal sein Fremdsein auf, sondern das, was einem vertraut ist. Und ein paar kluge Soziologen sehen hier auch den stärksten Grund für den deutschen Antisemitismus: Man sah sich selbst gespiegelt in seinen oft so gern verheimlichten Eigenschaften.

Es gibt also beim Lesen dieser Witze und Humoresken immer wieder die schönen Stellen, an denen der Leser wie in einen kleinen Spiegel schaut. Er stolpert über all die kleinen Denkfallen, die sich im Witz erst entlarven. Denn eine hübsche Wahrheit über unsere ach so rationale Gesellschaft ist ja auch: Sie ist im Grunde so irrational wie ein betrunkener Wellensittich. “Eben!” heißt so ein kleiner Witz, der das Irrationale pointiert sichtbar macht:

“Am Krieg sind schuld die Juden und die Radfahrer!” – “No, wieso die Radfahrer?” – “No, wieso die Juden?”

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Tachles
Volker Bauch, St. Benno Verlag 2013, 14,95 Euro

Ein ähnliches Buch mit deutschen oder sächsischen Witzen gibt es im Programm von St. Benno noch nicht, dafür einige Veröffentlichungen mit Humor aus Kirchen und Pfarrhäusern. Dies hier ist ein schönes Buch, in dem man da und dort auch mal wieder über seinen eigenen Dünkel stolpern kann. Er lauert ja überall. Und manchmal ist es auch Kindermund, der den Selbstsicheren aus allen Wolken fallen lässt. Denn wer hat denn den lieben Gott gemacht?

Der Vater: “Niemand. Er war do von alle ewigen Zeiten.”

Der Sohn fragt: “Wor er oich vor zehn Jahren da?”

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