Der Kerl ist herrlich. Der Kerl ist ein Streitthema. Der Kerl ist ein herrliches Streitthema. Man kann mit ihm was lernen. Wenn man will. Nicht jeder will. Deutschland ist das Land der großen Schubladen. So lernt man's in den Schulen. Dabei sind die Zwischentöne, Fehler und Charakterschwächen das Eigentliche - das, was Menschen von falschen Idolen unterscheidet. Selten war Richard aus Leipzig so sehr Mensch wie im Mai 2013.
Vom 19. bis 25. Mai tagte in Leipzig die Internationale Musikwissenschaftliche Konferenz “Richard Wagner, Persönlichkeit, Werk und Wirkung”, eingebettet in die Festwoche zu Wagners 200. Geburtstag. Das ist eine schöne lange Zeit für einen Kongress, da kann man eine Menge thematisieren. Das Ergebnis liegt hier vor: 59 Beiträge von Forschern aus vielen Ländern. Denn Wagner hat am Ende eben doch geschafft, was er sich 1834 in Leipzig mal erträumte: den großen internationalen Erfolg. Zwei dicke Kapitel beschäftigen sich ganz und gar mit der Rezeptionsgeschichte des Wagner-Werkes in West- und Mitteleuropa (Teil I) und Mittel- und Osteuropa (Teil II).
Während der Teil zu Osteuropa vor allem Aufführungsgeschichte bietet, ist der zu Westeuropa gespickt mit geistigen Auseinandersetzungen mit Wagner. Hier steckt eine eindrucksvolle Skizze über “Chamberlains Wagner” von Udo Bermbach drin. Eigentlich eine stille Kritik an Chamberlains Selbstverständnis als Wissenschaftler. Denn in seinen Publikationen betonte der englische Biologe zwar immer wieder den wichtigen wissenschaftlichen Grundsatz, nur jene “Fakten” gelten zu lassen, die sich einwandfrei belegen ließen.
Aber schon seine Aneignung Wagners ähnelt eher einer Erbsenlese – am Ende auch der Umdeutung des “Revolutionärs” Wagner. Für Chamberlain war auch das komplette Umwälzen (“revolver”) in prähistorische, idealisierte Zustände eine Revolution. Es ist nicht nur die Schrift “Das Judenthum in der Musik”, die Wagner scheinbar so kompatibel für die späteren Nationalsozialisten machte, es ist auch die hier von Chamberlain vollzogene Umdeutung, die mit wissenschaftlicher Akkuratesse am Ende nichts zu tun hat.Die Welt, in der das möglich war, skizziert Richard Klein in seiner Analyse “Vor Adorno war Paul Becker”. Adorno war es, der Wagners auch in seinen Werken sichtbaren Antisemitismus nach dem 2. Weltkrieg in die deutsche Debatte warf. Geschrieben hatte er den entscheidenden Passus aber schon 1937/1938. Und Klein benennt nun einen der Autoren, auf deren Vorarbeit Adorno wahrscheinlich aufbaute. Und das Erhellende an Paul Bekkers Analyse, die in den 1920er Jahren erschien, ist, dass er Wagners Bühnenwerken nicht ideologisch zu Leibe rückte, sondern ästhetisch. Was scheinbar nicht geht. Das sieht auch Klein so. Jedes Werk ist in seiner Zeit, seiner Kultur verwurzelt. Eine Ästhetik per se gibt es nur in den Himmelreichen der Philosophen.
Doch das Ergebnis von Bekkers Analyse ist bestechend. Denn natürlich gibt es diese Wagnersche Ästhetik, eng verbunden mit der poetischen Gestaltung einer idealisierten Welt, auf die das ganze Streben seiner Idealgestalten zielt. Doch wer nur Ideales auf die Bühne bringt, hat keine Handlung. Man braucht, um die ideale Vision überhaupt fassbar und die positiven Helden sichtbar zu machen, allerlei Bösewichter, Negativgestalten. Davon wimmelt es in Wagners Bühnenwerken. Und nicht erst Bekker hat bei der Analyse dieser Negativgestalten gemerkt, dass sie viele Züge dessen tragen, was im deutschen Kaiserreich als Klischee des “Juden” galt. Wagner griff also – bewusst oder unbewusst – bei der Gestaltung seiner Negativgestalten auf antisemitische Ressentiments zurück. Was Bekker wohl auch keineswegs so erschreckend fand wie wir heutzutage. Denn Wagner konnte sich augenscheinlich darauf verlassen, dass die gewählten Merkmale vom Publikum als solche erkannt wurden. Und als solches goutiert. Und auch in den 1920er Jahren waren diese Konnotationen wohl für das bürgerliche Publikum noch problemlos lesbar.
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Was dann auf einen Beitrag im vorhergehenden Kapitel verweist, das lauter Beiträge zum Thema “Musikschriftsteller” versammelt. Helmut Loos setzt sich dort mit “Richard Wagners kunstreligiöse Sendung. Der Komponist als Gott, Genie und Held” auseinander. Auch er benennt Wagners auffallende Polarität in seinen Werken: “Die Gegenspieler des Helden sind in ihrer abgrundtiefen Unfähigkeit und Bosheit als wahre Hassfiguren gezeichnet.” Und damit benennt er ein Ur-Problem der deutschen Ästhetik, die immer so sehr auf das “Gute, Edle, Wahre und Schöne” als das “höchste” kapriziert. Und damit zitiert er den gerade jüngst aus Dresden geflüchteten Wagner. Was bei Wagner – wie bei anderen Künstlern seiner Zeit auch – zur Selbsterhöhung wird: Der Wahre Gott der Zeit ist der Künstler, das Genie. Was dann alle Fessellosigkeiten des Genies begründet – es wird zum “absoluten Egoisten”, der seine Gesetze selber macht.
Da er aber seine Ideale auch noch auflädt mit altem Bembel wie “wahrer Sittlichkeit”, kommt etwas Schreckliches dabei heraus: der Wagnersche Held, der kein Mitgefühl mehr kennt. Für seine höhere Mission geht er über die Lebenden hinweg, erst recht, wenn sie seinen neuen “moralischen Maßstäben” nicht genügen. Kundry muss sterben. Nicht jeder moderne Regisseur lässt Kundry sterben. Das jahrzehntelange Nachdenken über Wagners Figuren-Kanon hat skeptisch gemacht. Erst recht, seit sich gerade die “Parsifal”-Symbolik so reibungslos zur Glorifizierung Hitlers und des 3. Reiches anbot.Nur dass das mittelalterliche Parzival-Epos seinen tumben Helden noch lernen und reifen ließ von den Weltentrückheit (Torheit), mit der er auszieht und nicht begreift, was den Menschen geschieht, die er trifft, hin zu dem Moment, in dem er in der Lage ist, für den Fischerkönig Empathie zu empfinden. Nur blieb das immer auch seine ganz persönliche Queste, während bei Wagner das Auftreten der Helden immer gleich eine Volks-Bewegung wird. Als hätten die Volkshaufen nur darauf gewartet, dass ein Lohengrin oder Parzival oder Siegfried daherkommt.
Das, was Wagner dann nach 1849 tatsächlich komponierte, hat mit seiner Volks-Bühne, wie er sie dachte, nicht wirklich viel zu tun. Aber auch dazu gibt es spannende Beiträge in diesem am Ende richtig dicken Buch, das seinen Preis wirklich wert ist. Es regt zum Mit- und Nachdenken an. Wieviel “Kommunist” steckt tatsächlich in Wagner? Und woher kommt seine Bühnensprache – kann es sein, dass seine frühe Erziehung in einem Schauspielerhaushalt auch den Weg vorgab, wie er an die Schöpfung seiner Musik-Dramen ging? Es gibt reihenweise Beiträge, die sich entdeckerfreudig mit Wagners Komponierkunst auseinander setzen und mit dem Reifen seines Handwerkszeuges. Zwei Beiträge – von Seitschek und von Wenzel – beschäftigen sich intensiv mit Wagners Erlösungs-Motiv. Denn Erfüllung finden ja seine “Helden” nicht auf der Bühne innerhalb der Handlung, sondern in einem Anderswo. Dass in Wagners Erlösungs-Philosophie der radikale Bruch zwischen ihm und einem seiner bis dahin glühendsten Verehrer, Friedrich Nietzsche, steckt, beschreibt Hans Otto Seitschek recht deutlich.
Der dicke Band zeigt im Grunde, wie eng verwoben Wagners Leben und Schaffen mit der geistigen Entwicklung seiner Zeit ist. Und wie Vieles davon auch bis heute meist fraglos hingenommen wurde – bis hin zu Wagners fast spießigem Heldenbild und seiner opportunistischen “Gemeinschaft der Auserwählten”, wie es William Kinderman in “Wagners Parsifal als Kunst und Ideologie” kritisiert. Wobei sich Kinderman im Grunde mit Nietzsches Kritik trifft, wenn er Wagners Absicht zitiert, “zu wirklichem Gefühls- (nicht kritischem) Verständnisse” zu kommen. Was Wagner ja mit seiner Verlagerung der Handlung in die Musik bezweckte. Man geht hinein und hinterher besoffen im Kopf wieder raus, weiß aber immer noch nicht, warum das Bühnen-Volk nun ausgerechnet Lohengrin angejubelt hat. Oder Parzival.
Richard Wagner.
Persönlichkeit, Werk und Wirkung
Helmut Loos, Sax-Verlag 2013, 80,00 Euro
Bloß weil sie mit Hörnerschall auf die Bühne stolziert kamen? Manchmal hat man das Gefühl, das ist die reine Wirklichkeit. Der Bursche kann auch Ministerpräsident, Kanzler oder König von Portugallien sein. Das Volk jubelt.
Eine Menge Stoff zum Nachdenken – über Wagner, seine Komponiertechnik, seine Zeit und seine Himmelreiche und Helden. Es ist wie ein Spiegel, in den man hineinschaut. 200 Jahre deutsche Geistesgeschichte, immer wieder gern revolviert.
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