Auch die DDR war mal jung. Ungefähr 10 Jahre lang. Zumindest sieht es so aus, wenn alte Publikationen aus dieser Zeit wiederveröffentlicht werden. In kaum einem anderen Jahrzehnt versuchte man, mit den westlichen Modetrends so eifrig mitzuhalten wie in diesem. Deswegen ist auch so manches Pop, was seinerzeit im Verlag für die Frau erschien. Selbst in den von Sammlerinnen begehrten Rezeptheften hieß es: Party.

Die Rezepthefte scheinen in den heiligen Überlieferungen der Töchter und Enkelinnen zu überdauern. Und es sind augenscheinlich viele. Und sie erzählen von etwas, was es im Osten eben auch gab, jenseits all der uniformierten Politikgelöbnisse. Lebenslust, Feierlaune, Kreativität gehörten zu dieser anderen Welt, in der die jungen Frauen und Männer eben nicht im FDJ-Hemd oder im hässlichen Drillich der Zivilverteidigung herumliefen. Die Kriegsphantasien, die das ganze Land militarisierten, lebten tatsächlich nur in den Betonschädeln der Funktionäre und greisen Befehlshaber.

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Das Volk selbst lief mit Beuteln in steter Bereitschaft, denn wenn man feiern wollte, brauchte man was für die Party. Tomaten, Ketchup, Schinken, Südfrüchte, Rosenthaler Kadarka, Rotkäppchen-Sekt, Paprika, Sangria – nein, Sangria gab es ja gar nicht im Laden. Den hat man sich selbst gemacht. Das Rezept findet man auf Seite 92 in diesem von Ute Scheffler zusammengestellten Buch, in dem sie versammelt hat, was der Verlag seinerzeit in seinen Party-Ideen-Heftchen veröffentlichte. Was natürlich immer angepasst war an das, was es im Laden normalerweise zu kaufen gab. Mit kleinen Seitensprüngen zu Dingen, die es irgendwann für teuer Geld im “Delikat” gab oder was man sich vom Sommerurlaub in Ungarn mitbringen konnte. Man reiste ja genauso fleißig wie heute, auch wenn die Zielländer abgesteckt waren.

Aber dafür war auch der Verlag für die Frau einer, der ein opulentes Kochbuch zur Küche fremder Länder nach dem anderen herausbrachte. Natürlich vor allem zu den Küchen der östlichen Nachbarländer. Und viele Rezepte daraus fanden Eingang in die Küche der DDR – von der Soljanka über Letscho und gefüllte Paprika bis hin zum Lángos. Alles zu finden ab Seite 102. Wenn man sich durchgekämpft hat und zumindest eines weiß: Party ist auch dann möglich, wenn man nicht alles fertig im Supermarkt findet. Es braucht nur Phantasie, ein bisschen Organisationstalent und ein wenig Vorbereitung – und dann entstehen die Platten mit den Schinkenröllchen, den gefüllten Eiern (und Äpfeln und Tomaten ….), die Geflügel-, Fleisch- und Nudelsalate fast wie von selbst, aufgepeppt mit allerlei witzigen Zutaten, die selbst scheinbar einfache Salate immer wieder zu etwas Besonderem machen.Die gefüllten Pasteten, Fruchtsalate, Wurstspieße und Kinderbowlen aus Mamas Überraschungsbox – hier tauchen sie alle wieder auf. Der Arme Ritter der sächsischen Küche ist zur Karlsbader Schnitte mutiert, das Weißbrot kommt schon mit Füllung auf den Tisch, und wer nicht weiß, was er in einen Eintopf schmeißen kann, lernt es hier. Und bekommt von der Herausgeberin auch ein paar Tipps, was dran zu ändern ist an den alten Rezepten. Denn nicht nur das Zutatenangebot in den Läden hat sich ja erweitert, was ganz neue Möglichkeiten eröffnet. Auch das Verhältnis zu Fleisch und Gemüse hat sich deutlich verändert. Gemüse kocht man nicht mehr, bis es seine Farbe verliert, sondern schmeißt es knackig in den Eintopf.

Für Süßmäuler gibt es genauso leckere Tipps – vom Schokoladen-Eierkuchen bis zu Apfelsinenquark. Eine Kinderparty steht ins Haus? – Hier stehen die Rezepte. Und sie sind alle so einfach, dass man die Rasselbande selbst zum Mixen und Rühren anstellen kann. Hungrige Kollegen kommen und es ist nichts vorbereitet? – Auch dafür gibt’s Ideen. Genauso wie für die Gartenparty oder für stille, brave Buffets, an denen sich die Gäste selbst bedienen können. Denn – das wird immer wieder betont: Gastgeber, die während der Party in der Küche verschwinden, sind keine guten Gastgeber.

Illustriert ist das Buch mit den Fotos von damals – auch etliche Produktfotos darunter, die an die legendären Zutaten aus Konsum und HO erinnern, die es heute in der Regel nicht mehr gibt. Und wenn es sie noch gibt, haben sich die Rezepturen verändert. Was aber egal ist, denn die wichtigsten Zutaten sind die ganz normalen Rohprodukte vom Mehl bis zum Gehackten vom Fleischer. Den Rest kann man eh ergänzen. Das gehörte ja auch in den 1970ern dazu. Denn selbst bei scheinbar simplen Zutaten musste man damit rechnen, dass es sie gerade in der Kaufhalle (so hieß das Ding damals) nicht gab.

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Feste & Gäste
Ute Scheffler, Buchverlag für die Frau 2013, 12,90 Euro

Ungefähr 200 Rezepte sind im Verzeichnis am Schluss des Buches zu finden. Im Inhaltsverzeichnis sind sie schön nach diversen Anlässen geordnet. Da und dort weisen farbig abgesetzte Anmerkungen auf mögliche Abwandlungen oder Besonderheiten hin. Im Grunde ist alles ganz einfach zuzubereiten. So mancher junge Gastgeber wird sich hier ein Repertoire zulegen, mit dem sich die überraschendsten Gelegenheiten in ein kulinarisch gelungenes Fest verwandeln lassen. Und manche jungen Leute werden hier entdecken, dass ihre Eltern und inzwischen auch Großeltern auch mal junge, feierlustige Leute gewesen waren.

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