Auch Opa wird nicht vergessen in dieser kleinen Reihe, die Barbara Brüning aufgelegt hat. Man freut sich ja immer über solche kleinen Geschenkideen für die liebe Verwandtschaft. Und immer nur Zigarren und Schnaps kann man ja Opa auch nicht schenken. Einen neuen Bierhumpen für seine Sammlung - oder doch besser ein Buch voller Kreuzworträtsel? Opa ist ein schwieriges Thema.

Und das kommt sogar bei Barbara Brüning ein bisschen durch, auch wenn das Büchlein wie die für Mama, Papa und Oma in dieselben Kapitel aufgeteilt ist – von “Wenn wir dich nicht hätten” bis ” … mit den Jahren kommt die Weisheit.” Schon da merkt man: Das ist ein Feld voller Minen. Denn die Zeiten, da man Weisheit einfach mit Alter gleichsetzen konnte, sind lange her. Heute werden auch Männer meist so alt, dass das, was sie in ihrer Jugend gelernt haben, für ihre Enkel und Urenkel schon nicht mehr gilt. Ihre Weisheiten wirken altbacken, zuweilen auch ein bisschen närrisch. Obwohl es ein paar Sprüche dazu gibt, auch in diesem Büchlein, die der Jugend raten, durchaus auch mal auf die Lebenserfahrungen von Opa zu hören.

Aber die Wahrheit ist wohl eher: Wenn man alt ist, merkt man, ob die Bilanz stimmt, ob man was draus gemacht hat aus seinem Leben. Manche merken auch das nicht. Auch dazu gibt es einige scheinbar harmlose Sprüche. Nein, dieser steht nicht drin: “Das haben wir schon immer so gemacht.” Aber jeder kennt so ein paar alte Grummelgreise, die fortwährend Sprüche dieser Art sagen. Aber der steht drin: “Es gehört oft mehr Mut dazu, seine Meinung zu ändern als ihr treu zu bleiben.” Friedrich Hebbel schrieb das. Und es gilt auch für junge Leute, die manchmal schon Greise sind. Denn Jugend ist auch eine Einstellungsfrage.Mancher braucht ein ganzes Leben, um zu lernen, jung zu sein. Mancher lernt schon früh, dass das was mit Liebe zu tun hat. “Solange man bewundern und lieben kann, ist man immer jung”, wird Pablo Casals zitiert. Dafür kommt der moderne Jugendwahn nicht drin vor. Der natürlich etwas mit der Einstellung zu sich selbst und den Erwartungen der anderen zu tun hat: Weisheit ist auch die Kunst, loslassen zu können und ein Auge zukneifen zu können. Was natürlich im höheren Alter leichter fallen sollte. Irgendwann muss man die Verantwortung für die Welt, das Leben und den ganzen Rest ja doch den Jungen überlassen, auch wenn man so gern über sie flucht.

War Winston Churchill ein guter Opa? – Freche Sprüche hatte er genug auf Lager, so wie den: “Ein kluger Mann macht nicht alle Fehler selbst. Er gibt auch anderen eine Chance.” Oder wünscht sich Barbara Brüning so einen gelassenen Opa? Oder hat sie gar einen? – Einen, der mit brummiger Stimme und stillem Lächeln sagen kann: “Wir glauben, Erfahrungen zu machen, aber die Erfahrungen machen uns.” Hat das Eugène Ionescio auch den Kindern so gesagt?

Vielleicht liest man den kleinen Zweifel aus dieser Sammlung von Zitaten, Aphorismen und kleinen Gedichten nur heraus, diese Skepsis der Weisheit des Großvaters gegenüber. Wenn, dann hat es ja auch mit dem immer komplizierten Verhältnis der Generationen zu tun. In einigen Sprüchen recht clever ausgedrückt. Wie bei William Somerset Maugham: “Jede Generation lächelt über die Väter, lacht über die Großväter und bewundert die Urgroßväter.” In der historischen Distanz verklärt sich (fast) alles. Da entstehen freilich – durch diese Verklärung – oft auch falsche Bilder.Opas Vergangenheit, das gerät irgendwie immer, egal wie finster es war, zur “guten alten Zeit”. Nicht nur im Kopf von Opa, für den das natürlich goldige Jugendzeit war. Die Gegenwart ist ja immer Arbeit und Problemelösen. Die Zukunft ein unbeschriebenes Blatt. Trotzdem laufen genug junge Leute herum, die glauben, so wie ihr Opa werden zu müssen (was leichter und weniger konfliktbeladen als beim eigenen Vater ist). Aber Abraham Lincoln hat das Wichtigste dabei schon benannt: “Du musst selbst wachsen, egal wie groß dein Großvater war.”

Und wenn man’s dann selber ist, merkt man, ob man gewachsen ist. Was man eigentlich nur merkt, wenn man gewachsen ist, nicht aufgehört hat zu lernen. Erst aus der leisen Skepsis der eigenen Vollkommenheit gegenüber wächst die stille Heiterkeit des Alters und Opas lustiges Schweigen. Wilhelm Busch: “Dumme Gedanken hat jeder, nur der Weise verschweigt sie.” Aber das war noch 19. Jahrhundert. Und Wilhelm Busch wird ja gerade dafür geliebt, dass er seine “dummen Gedanken” nicht verschwieg, sondern Max, Moritz und Helene in die Schuhe schob.

Aber das ist noch genauso selten wie zu Buschs Zeiten: die Gelassenheit des Alters. Was soll man mit all den Alten, die immer noch Recht haben wollen? Ein gar nicht so abwegiger Gedanke beim Lesen dieses Büchleins, das so lieb gemeint ist, aber auch stellenweise das Bild des Großvaters aus den schönen Kindergeschichten des 19. Jahrhunderts bezieht. Dahinter schimmert der moderne Großvater durch, der auch im Greisenalter noch immer versucht, mit den Jungen mitzuhalten. Als gälte es den Jungen zu beweisen, dass sie auch den Ehrgeiz der Alten noch aushalten müssen. Auch solche Großväter gibt es. Von Weisheit keine Spur.

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Lieber Opa …
Barbara Brüning, Buchverlag für die Frau 2013, 5,00 Euro

Aber vielleicht bleibt die Erkenntnis wahr: Man wird nur weise im Alter, wenn man es früh beginnt zu trainieren. Gelassenheit lernt man beim Fehlermachen. Nichts ist schrecklicher als Leute, die nie einen Fehler machen, gemacht haben, jemals machen werden. Fehlerlose Leute.

Vielleicht sollte man das Buch Opa schon schenken, wenn er gerade erst Opa geworden ist – da hat er noch Zeit zu üben, damit er dann, wenn die Enkel so weit sind, ein guter, gelassener und vor allem verständnisvoller Opa ist. So einer, wie ihn jeder haben möchte. Aber nur die wenigsten bekommen.

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