Was macht Wagner in Eisenach? Muss man da was wissen? Ist er vielleicht auf der Wartburg untergetaucht nach seiner Flucht aus Dresden wie weiland Junker Jörg? - Ist er nicht. Trotzdem lohnt sich für die diesjährig feiernde Wagner-Gemeinde die Reise in das thüringische Städtchen. Denn natürlich gibt es hier jede Menge Wagner zu sehen. Adresse: direkt am Weg hinauf zur Wartburg steht das Reuter-Wagner-Museum. Ein Doppelmuseum für einen Mundartdichter und einen Komponisten.
Die Villa erbauen lassen im Stil der italienischen Neorenaissance hat sich noch Fritz Reuter selbst, der 1863 – nach seinen ersten Erfolgen als niederdeutscher Autor, nach Eisenach zog. 1874 starb er und wurde auf dem Eisenacher Friedhof beigesetzt. Und während die Leipziger es fertigbrachten, mit dem Wagner-Geburtshaus am Brühl und der alten Thomasschule zwei Original-Wirkungsstätten ihrer Ortsheiligen abzureißen, waren die Eisenacher da im Kopf schon wesentlich weiter. Sie kauften 1897 Reuters Villa und richteten darin ein Museum für den niederdeutschen Dichter ein.
Dass die Sammlung von 20.000 Stücken der Oesterleinschen Wagner-Kollektion ebenfalls in dieses Museum kam, liegt an dem Eisenacher Professor Josef Kürschner, bekannt als Herausgeber des Kürschner-Lexikons. Er trat für den Erwerb der Sammlung ein, die heute die größte Wagnersammlung außerhalb Bayreuths ist.
Logisch, dass Eisenach so zu einem Reisetipp für Wagner-Anhänger wird. Sogar im doppelten Sinn, denn natürlich ist “Der Tannhäuser” nicht ohne die Wartburg und den legendären Sängerkrieg denkbar, eines der Ur-Motive der deutschen Romantik. Mit der Wirklichkeit hat die romantische Legende wohl nichts zu tun. Aber der Mensch reist ja nicht nur, um alles richtig zu wissen. Manchmal auch aus romantischen Motiven. Er sucht sich ein hübsches Plätzchen zum Schmachten und Seufzen. Die Wartburg selbst ist ja eine Reise wert. Allein zehn Seiten widmet Jens Kassner, der auch dieses Büchlein geschrieben hat, der bald 950 Jahre alten Burg und ihren vielen Geschichten von Ludwig dem Springer und Elisabeth von Thüringen über Luther, das Wartburgfest 1817 und Goethes Anregung, die Burg als Nationalheiligtum zu restaurieren, bis hin zur Sanierung und Umgestaltung natürlich, die sich von 1838 bis 1890 hinzog. Unvorstellbar, dass die Burg 1817 nur eine Ruine war.
Man bekommt also eine Mischburg, in der sich einige Teile in mittelalterlichen Schönheit erhalten haben, und allerlei historisierenden Neubau aus dem 19. Jahrhundert. Das ist ein bisschen wie mit der Kaiserpfalz in Goslar – der Versuch einer Rekonstruktion verklärter Geschichte. Das haben die Deutschen schon immer gern gemacht.
Eigentlich ist der Ausflug auf die Burg nur eine Zwischenstation auf Jens Kassners Ein-Tages-Rundgang durch Eisenach, der auf dem Markt und mit dem Stadtschloss der Sachsen-Weimar-Eisenacher beginnt. Man ist unübersehbar in Bindestrich-Sachsen. Es sieht auch ein bisschen wie Residenz aus. Verständlich, dass die Eisenacher aus purem Stolz einen extra-großen Turm auf ihr eher lüttes Rathaus setzten. Man hat ja immer die Wahl, wenn der Landesherr nebenan den großen Maxe rauskehrt – sich bescheiden und untertänig geben, oder ein bisschen Ätsche machen.
In der Georgenkirche nebenan trifft man dann auch zum ersten Mal auf Bach, obwohl er in Eisenach eigentlich nur einer unter vielen berühmten Bachs ist. Hier war die Musikerfamilie zu Hause. Wer noch berühmter werden wollte, musste wie Johann Sebastian sein Ränzlein schnüren und im Ausland sein Glück versuchen. Drei Stationen und zwei Straßenecken weiter ist man dann bei Luther. Der ging in Eisenach zur Schule und wohnte beim Bürgermeister Conrad Cotta. Im “Lutherhaus” kann man sich darüber informieren, bevor man noch einmal um die Ecke geht und gleich wieder über Bach stolpert – sein Denkmal und das Bachhaus. Bachs Geburtshaus haben die Eisenacher auch abgerissen, man hielt 1907 das falsche Haus dafür. Es ist trotzdem ein schönes und wertvolles Gebäude, dieses Bachhaus Und weil die Familie Bach so groß war, wohnten hier natürlich auch mal ein paar Bachs.
2005 war das Haus für das Bachmuseum zu klein, da hat man sich von Berthold Penkhues einen Erweiterungsbau hinstellen lassen. Kann sein, dass das ein schönes Bauwerk ist. Wir sagen dazu mal lieber nichts. Sonst ist noch ein Eisenacher beleidigt und zeigt auf Leipzig.
Orte der Reformation: Mit Junker Jörg, Elisabeth und Bach nach Eisenach
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Auf den Spuren eines energischen Professors: Martin Luther – klassisch, deftig, deutlich
Es gilt sich vorzubereiten auf das Jahr …
Die Bindestrich-Sachsen in Napoleons Kriegen: Ein kriegerischer Fürst, ein Dichter mit Ehrenkreuz und mehr als eine Sachsenklemme
Eines der großen Rätsel der Napoleonzeit …
Und weil wir grad mitten in den Jubiläen stecken – am 23. Mai feiert ja die SPD den 150. Geburtstag des ADAV in Leipzig – findet sich natürlich auch in Eisenach ein Tipp für geschichtsbegeisterte Genossen: Im “Goldenen Löwen” in der Marienstraße schlossen sich 1869 diverse Arbeiterparteien und -vereine, unter ihnen auch Vertreter des ADAV, zur Sozialdemokratischen Arbeiterpartei zusammen, der SDAP, aus der dann die SPD hervorging. Das passierte dann 1875, da schloss man sich mit dem Rest des ADAV zur Sozialistischen Arbeiterpartei zusammen. 1890 bekam das Ganze dann den Namen SPD. Die Genossen können also feiern, so oft sie Lust und eine volle Kaffeekasse haben.
Nach dem “Goldenen Löwen”, wo man natürlich eine Gedenkstätte besichtigen kann, ging es dann zu Reuter und Wagner und den Reuterweg hinauf zur Burg. Wahrscheinlich sind hier schon die Ersten und Zweiten fußlahm und nehmen sich für den zweiten Teil der Stadtbesichtigung den nächsten Tag vor – mit Kreuzkirche, der Predigerkirche (die heute Museum für thüringische Holzkunst ist), dem Schwarzen Brunnen (wo man der tragischen Seite der napoleonischen Kriege begegnet – man wird diesen Napoleon in diesem Jahr einfach nicht los) und dem Hellgrevenhof, der mit einem Sänger namens Heinrich von Oferdingen zu tun haben soll, womit man wieder beim Sängerkrieg auf der Wartburg wäre. Nur das es außer einem mittelalterlichen Epos keinen Nachweis für diesen Heinrich gibt.
Eisenach an einem Tag
Jens Kassner, Lehmstedt Verlag 2013, 4,95 Euro
Ausruhen ist aber nicht, denn jetzt fehlen noch die Annenkirchge, das Palais Bechtolsheim und ein Stück Stadtmauer, die Elisabethkirche und das Landestheater, die Nikolaikirche und das Nikolaitor. Da in der Nähe steht dann auch noch das notwendige Lutherdenkmal. Ein paar Ausflugstipps ergänzen das Heft, das am Ende auch wieder den zugehörigen Streckenplan und eine kleine Chronik bietet. Und für jeden Leipziger natürlich eine Freude zu lesen: Auch die Eisenacher wissen nicht genau, wann sie mal angefangen haben. Erste urkundliche Erwähnung “um 1180” heißt das da. Das kommt davon, wenn in der Kanzlei kein ordentlicher Datumsstempel vorhanden ist.
Mit der Reise nach Eisenach sollte man nicht unbedingt bis 2017 warten, wenn die Lutherdekade im Lutherjahr gipfelt. Dann werden Völkerscharen aus aller Welt nach Eisenach und auf die Wartburg pilgern und sehen wollen, wo der berühmte Tintenfleck an der Wand ist. Nichts ist so haltbar wie der Zorn eines deutschen Theologieprofessors.
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