Mit der "Edition Lebenslinien" hat der Buchverlag für die Frau eine Reihe aufgelegt, in der die Lebensgeschichten von Menschen ihren Platz finden sollen, nicht nur die der üblichen Berühmtheiten. Auch andere erleben was, gehen durch Hölle und Tränentäler. So wie Anja Kleemann, die wie viele Tausende andere die Torturen einer Krebstherapie hinter sich gebracht hat. Aber es geht um mehr in ihrem Buch. Natürlich auch um Liebe.

Oder das, wofür manche Leute das halten, womit sie sich in die Krisen ihres Lebens stürzen. Natürlich gibt es kein simples Einmaleins des Krebses, so nach dem Motto: Wenn man unhaltbare Zustände über Jahre in sich hineinfrisst, dann bekommt man Krebs. Aber wenn man seinen Körper und seine Seele auf Verschleiß fährt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Körper mit Krankheit reagiert, natürlich groß. Und die beiden, die hier gemeinsam in die Geschichte starten, haben sich wirklich Schweres aufgeladen – ein ganzes Haus, das sie kaufen und dann aus eigener Kraft mühsam sanieren wollen, ohne auch nur zu ahnen, was da auf sie zukommt. Anfangs scheint es sogar so, dass Peter, der den Hauptteil der Arbeit stemmen soll, an dieser Doppelbelastung kaputt geht und ausbrennt. Irgendwie sieht das nach einem Burnout aus. Bis Anja fast widerwillig merkt, dass ihr lieber Peter nicht des Hauses wegen abweisend und abwesend wird, sondern dass er schon längst auf Abwegen wandelt.Und das scheint er auch nicht erst seit dem Hauserwerb so zu halten. Manchmal braucht es wohl solche Schreckensmomente, um den schönen Schein zu beseitigen und die Wirklichkeit hinter der Idylle sichtbar zu machen. Und da eine Frau hier erzählt, ist das durchaus auch lehrreich. Nicht nur, was die Herren der Schöpfung betrifft. Auch die Frauen und die gar nicht so unwichtige Frage: Warum lassen sie sich das immer wieder gefallen? Warum ist ihnen so wichtig, den größten Mistkerlen zu beweisen, wie toll und schön, begehrenswert und leistungsfähig sie sind?

Oder ist das eingebaut und funktioniert immer wieder, egal was Alice Schwarzer anstellt und wie viele Frauen per Quote in irgendwelche Gremien kommen? Und das von Hera Lind so treffend beschriebene “Superweib” ist genau das, was dabei herauskommt – der Versuch, es den übelsten Drückebergern auch dann noch recht machen zu wollen, wenn die sich mit Kopfschmerzen und faulen Ausreden verdrückt haben?

Nur so als Frage. Die auch immer wieder auftaucht, mitten in der kräftezehrenden Therapie, die die Heldin auf sich nimmt, um den Krebs zu besiegen. Mitten in dieser Therapie geht sie auch wieder zum Fotografen ihres Vertrauens und lässt Fotos von sich anfertigen wie jenes auf dem Buchcover. Schöne Fotos. Die sie aber auch machen lässt, um sich zu beweisen, dass sie auch mit kahlem Kopf noch schön und begehrenswert ist.

Als Mann fragt man sich da natürlich: Würdest du auch zum Fotografen gehen, um dir mit Fotos zu beweisen, dass du noch schön und begehrenswert bist?

Warum eigentlich? Braucht es das Selbstwertgefühl? Oder ist es ein ganz weiblicher Kniff, sich auch in solchen niederdrückenden Situationen zu stärken? Sich was Schönes gönnen, was Schönes kaufen, vielleicht eine Art Selbstvergewisserung?

Es bleibt ein Rätsel. Wenn auch ein faszinierendes. Denn Recht hat sie ja, dass sie gerade in dieser schmerzenden und niederdrückenden Zeit das Schöne, Positive und Stärkende sucht. Gerade auch, weil die Partnerschaft augenscheinlich selbst nur noch Zweifel hinterlässt. Und die irgendwann auch vom Krebs übertönte Frage: Wie nun weiter? Mit dem Haus? Der Familie? Den immer knapperen Finanzen?Da braucht man Freunde, Unterstützung und Zuspruch. Und jedes Bisschen an Ermutigung, das man sich selbst verschaffen kann. Allein das Beziehungsdrama mit ihrem Ehemann wäre ein Roman. Ein Roman, wie ihn Tausende Frauen erleben. Tagtäglich, überall. Da geht dem Leser sowieso schon fast die Puste aus, denn wirklich schonend geht Anja Kleemann das Thema nicht an. Sie blättert die ganze schmerzende Geschichte auf, die noch gar nicht richtig geklärt und gelöst ist, als der Krebs sich meldet. Beziehungsgeschichten dauern zuweilen elend lange – erst recht, wenn der Partner an seinen Märchen und Ausreden und Handlungsmustern festhält, wenn die Szenen sich immer wieder aufs neue wiederholen.

Ein Aufatmen gibt es nicht. Fast nahtlos geht das – nachdem die Heldin gerade wieder Kraft getankt hat und von den einen Verletzungen etwas erholt ist – hinein in die Quälerei mit dem Krebs, der Chemotherapie und der Bestrahlung. Mit allen Wellentälern, Momenten der Hoffnung, den tiefen Abstürzen in die Phasen, in denen alle Batterien leer sind.

Natürlich ist es auch ein kämpferisches Buch. Hier erzählt eine junge Frau, wie sie das alles bewältigt hat, wie sie immer wieder aufgestanden ist, auch wenn die ersten Schritte auch wieder gewaltig schwer waren. Und so wirklich lange ist das ja nicht her. Aber vielleicht kann man das alles nur so kompakt und dicht erzählen, wenn man diesen Erlebnissen noch nah ist, die Krise noch als präsentes Drama im eigenen Leben empfinden kann. Was ja auch anderen Mut machen kann, sich nicht unterbuttern zu lassen. Nicht von einer Erkrankung, nicht von Krisen in der Ehe, nicht von anderen Dramen.

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Der Kerl, der olle Krebs und ich
Anja Kleemann, Buchverlag für die Frau 2013, 12,90 Euro

Es gibt wirklich Wichtigeres. Für Anja Kleemann auch ihre beiden Kinder, auch ihre Freude am Beruf – sie ist Radiologie-Assistentin. Und das Leben selbst natürlich. Und gerade in ihrer Not erfährt Anja auch, wie wichtig die selbstverständliche Hilfe von Freundinnen, Eltern, Kollegen ist. Im Grunde ein Buch für alle, die einen kleinen Mutmacher brauchen, weil sie das Gefühl haben, dass ihnen alles zu viel wird. Manchmal sind es eben Bücher, die dieses Gran an Mut geben. Anja Kleemann hat während ihrer Therapie selbst einen ganzen Haufen davon verschlungen. Eine Liste mit den Titeln findet man im Anhang.

Es geht nicht nur um Krebs. Auch wenn der jeden Betroffenen, jede Betroffene natürlich mit aller Konsequenz vor die Frage nach dem Sinn des eigenen Lebens stellt. Es geht eigentlich überhaupt um den Mut, sich in Krisen nicht entmutigen und kleinkriegen zu lassen, sich immer wieder neu zu versichern und neu zu verorten und die Zuversicht zu finden, dass man selbst wichtig und liebenswert ist. und wenn das mit untreuen Lebensgefährten nicht geht, dann ist eben einer jener Zeitpunkte gekommen, an dem sich alles neu orientiert. Aber auch das gehört zum Leben.

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