Was passiert eigentlich mit einem Lesebühnenautor, wenn er älter wird? Wenn aus den Liebesschwärmereien nach heißen Vortragsnächten dann so etwas wie feste Beziehungen werden, wenn Vaterpflichten sich in den Alltag schleichen und die flapsigen Sprüche aus den ersten Slams den etwas ernsthafteren Betrachtungen über das Leben, die Frauen, die Liebe und den ganzen Rest weichen? Wird einer dann automatisch zum Autor?

Wird er dann sogar feierlich aufgenommen in den Kreis der honorablen Ernsthaft-Schriftsteller, die regelmäßig auf der Kandidatenliste des Preises der Leipziger Buchmesse stehen? – Letzteres wohl nicht. Und Ersteres wohl auch nicht. Es geht den Arbeitern im Wortwerk der deutschen Sprache genauso wie den Musikern: Ein paar löwenmähnige Professoren haben qua Amt die Welt in U und E geteilt. Und was nicht als ernsthaft gilt, wird niemals gepriesen und ausgepreist. Deswegen meiden wirklich auf lustvolle Leseerlebnisse schauende Buchhandlungsbesucher den Stapel mit den Büchern, auf denen der Aufkleber “Ausgezeichnet mit dem Dingsbums-Preis” steht. Was die Verlage, die diese Titel produzieren, nicht weiter stört: Leute, die niemals lesen, aber sich gern mit ausgepriesenen Büchern schmücken, kaufen die Dinger trotzdem.

Die anderen müssen sich durchfragen, ob die Buchhandlung überhaupt eine Independent-Abteilung hat. Es ist wie in der Musik. Nicht nur zwischen U und E ist eine Mauer gezogen, auch zwischen Pop und Independent. Pop ist das, was die Leute kaufen, die nicht nachdenken wollen beim Hören oder Lesen. Independent ist was für die Kleinen Bühnen. Wo man ab und zu auch Volker Strübing trifft, auch wenn er just im Wagner-Jahr den Job als erster Stadtschreiber von Bayreuth übernommen hat. Wer will, kann ihm dabei auf schnipselfriedhof.de zuschauen.

Wer lieber seine Stimme im Ohr hat, kann sich dieses so hübsch in Rosa gewickelte Buch besorgen. Die beigelegte CD enthält 11 Titel, 10 davon aus dem Buch, einen als Extra für Genießer: “Schriftsteller – Wie man sie rumkriegt und was man unbedingt beachten sollte”.Wer sich durch die 24 Kurzgeschichten in diesem Band gelesen hat, ist sowieso schon in einer eigenartigen Stimmung, in so einer Art Strübing-Stimmung, die man vielleicht nur nachempfinden kann, wenn man auch noch ein Stück weit in einem Fetzen Land namens DDR aufgewachsen ist, wahlweise da, wo es auch den jungen Volker hinverschlagen hat – nach Sachsen-Anhalt und Berlin-Marzahn. Und wenn man deshalb auch alt genug ist, um miterlebt zu haben, wie die guten alten Bakelit-Telefone, die sich so gut zum Briefbeschweren eigneten, von allerlei kleinen und immer kleineren und mobileren Geräten abgelöst wurden, die den modernen Menschen zum gehorsamen Sklaven der Technik gemacht haben. Die also auch noch wissen, wie das ist, wenn man ohne diese Dauer-Vernetzung und -Berieselung den Tag verbringen konnte, wenn es also auch mal so still ringsum war, dass man den eigenen verrückten Gedanken folgen und zuhören konnte.

Strübing fährt, wenn er sowas braucht, extra in die Uckermark. Wo ihm dann natürlich bei einem Mondscheinspaziergang eine Elfe über den Weg heult. Was scheinbar wie eine hübsche kleine Märchenbegegnung beginnt, entpuppt sich – ganz Strübing – unverhofft als ein kleines Stück Philosophie. Man merkt, dass der Mann noch freie Kapazitäten in seinem Kopf hat, in denen er fast lustvoll über die Frage nachdenken kann, an welche Typen die Elfen mit ihrem Wunschzwang eigentlich geraten und ob sie dabei auch selber glücklich werden. Und was Glück eigentlich ist und wie ehrlich unsere ersten Wünsche und so weiter.

Wenn Strübing erst mal anfängt, hört er gar nicht wieder auf. Und man bekommt so eine Ahnung, warum die heutigen Supermarktbetreiber die Beschallung in ihren Läden derart nervig und laut eingestellt haben: Sie wollen nicht, dass ihre Kunden zum Nachdenken kommen.

Nur gegen die Strübing-Art von Kunden hilft das natürlich nicht, denn wenn einer sowieso schon immer am Nachdenken ist – etwa über Sinn und Unsinn einer vegetarischen Pizza – und dann, weil die eigentlich gesuchte Pizza ausverkauft ist, mit einer “Ersatzpizza” an der Kasse steht und miterlebt, wie seltsame Mitmenschen den Betrieb aufhalten, dann kommen ihm nicht nur allerlei Amokgedanken, dann steckt schon die nächste oder übernächste philosophische Geschichte drin: Was wollen de Supermarkt-Designer eigentlich erreichen, wenn sie alle Nase lang die Regale umräumen und die gewohnten Einkaufsgänge ihrer Kunden zerstören? Und warum gehen eigentlich Leute im Rentenalter ins Fitnessstudio? Und was stellt der Facebook-Konzern an, wenn er mal wieder die Profile ändert? In Strübings Fall einfach mal alle Felder ausfüllt, die sich der Autor selbst nicht getraut hat, auszufüllen, weil er dachte, das ginge weder andere Leute noch den Facebook-Konzern was an. Es kommt Seltsames dabei heraus.

Wer noch immer nicht begriffen hat, was Facebook ist, was es tut und will, dem sei “60 Millionen Pralinen” einfach ans Herz gelegt.Übrigens nicht die einzige Geschichte über die Macht der Maschinen. Gleich in der nächsten erfährt der Leser, warum man in der deutschen Provinz damit rechnen muss, keinen heißen Grog zu bekommen, weil die 1.500-Euro-Kaffeemaschine gereinigt werden will. Und wer nach mehreren Reisen durchs Land immer noch das flaue Gefühl hat, dass deutsche Städtebauer vielleicht ein ganz perfides Programm abspulen, dem sei “Hässlich” empfohlen. In diesem Fall muss zwar Oldenburg herhalten als Beispiel systematischer Stadtverödung. Aber Stadtplaner und Stadtgestalter geben sich landauf landab wirklich alle Mühe, Orte zu schaffen, bei deren Anblick man schon die Panik bekommt.

Es gibt viele Geschichten in diesem Band, da bekommt man dieses Gefühl: Genau so hab ich das auch erlebt. – Nur denkt man als gewöhnlicher Reisender dann eher verzeihend: Zu mehr hat die Kraft der Gestalter wohl nicht gereicht. Oder das Geld. Aber wenn das überall so ist, dann scheint wohl doch System dahinter zu stecken. Genauso wie in der Art, wie einige deutsche Überwachungsdienste mit der Bekämpfung des so betitelten Extremismus umgehen. Da scheint es in Berlin nicht anders zuzugehen als in Sachsen: Als extremistischer V-Mann kann man sich dabei ein richtig gut gefüttertes Erwerbsleben aufbauen, am besten gleich in mehreren extremistischen Betätigungsfeldern. Nur als braver Bürger hat man Pech, denn gerade die Tatsache, dass man nichts zu verbergen hat, macht einen in den kafkaesken Betrachtungsweisen der Schlobach und Schrader höchst verdächtig.

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Das Mädchen mit dem Rohr im Ohr
Volker Strübing, Verlag Voland & Quist 2013, 14,90 Euro

So werden scheinbar lustige Geschichten zu kleinen bösen Glossen über ein Land, in dem zuweilen der Wahnwitz regiert und die Ignoranz bunte Blüten treibt, die Gier eine Tugend ist und wo die Liebe eher ein Versuch, einander nur ja nicht zu nah zu kommen. Es könnte ja mit was enden. Also lieber nicht küssen, ein bisschen in den Arm nehmen. Und die Geschichte vom Märchenprinzen lieber so erzählen, dass die beiden nicht zueinander kommen. So, wie es im Leben auch ist. Die Einzige, die dann wieder klingelt, wenn es einem wieder mal einigermaßen gut geht, ist ja bekanntlich die Ex, die man mit aller Kraft hinausgeworfen hat, die geliebte Depression mit ihren kajalumrandeten Augen und ihrer unheimlichen Treue.

Es passt schon alles zusammen. Gerade weil nichts mehr passt. Aber darauf muss man erst mal kommen. Das unterscheidet Leute wie Strübing von den üblichen E-Autoren im Land, von den U-Autoren sowieso. Und wer den Mut hat, sollte in der Buchhandlung seiner Wahl durchaus mal fragen, wo die heimliche Ecke mit den I-Autoren ist. I wie Independent. Ganz gefährlich, würden Schlobach und Schrader sagen.

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