Literatur gerät immer wieder in die Mühlen der Politik. Selten sind die Grenzen eindeutig. Mal ist es die Politik, die Literatur in die Pflicht nehmen möchte. Mal sind es Dichter, die sich einer Sache andienen. Das bedeutet oft Jahrzehnte einer sehr einseitigen Wahrnehmung dessen, was in einem Land geschrieben wird. Es geht den Deutschen da wie den Serben. Dass man Momcilo Nastasijevic hierzulande nicht kennt, ist natürlich auch ein Übersetzungsproblem.

Es sind kleine agile Verlage wie der Leipziger Literaturverlag, die beharrlich daran arbeiten, dass auch Autoren aus Ländern auf dem deutschen Buchmarkt erscheinen, die in der Wahrnehmung meist nicht sichtbar sind. Wo selbst Nachbarländer wie Polen und Tschechien zu kämpfen haben, haben es die Literaturen Südosteuropas erst recht schwer. Das ehemalige Jugoslawien bildet einen Schwerpunkt im Verlagsprogramm des Leipziger Literaturverlages. Und nicht nur Gegenwartsautoren finden so den Weg in den deutschen Sprachraum. Es dürfen – wie hier – auch mit reichlicher Verspätung die Klassiker der jugoslawischen Moderne entdeckt werden.

Der serbischen in diesem Fall. Oder dem, was beinah Moderne hätte werden können. Aber auch Serbien geriet ja bekanntlich in die Mühlen der nationalstaatlichen Auseinandersetzungen und Verkrustungen, die Europa im 20. Jahrhundert ins Chaos gestürzt haben. Die modernen Gesellschaften entstehen leider nicht in friedlichem Wandel. Die Kräfte, die sie vorantreiben, zerreißen sie auch und münden in zumeist irreale Konflikte. Für Serbien ist das eng mit dem 28. Juni 1914 verbunden und dem Attentat des Studenten Gavrilo Princip auf den österreichischen Thronfolger. Welches dann zwei senile Militärstrategen in Wien und Berlin als Vorwand nutzten, um den 1. Weltkrieg vom Zaun zu brechen.

Die Familie von Momcilo Nastasijevic kannte Princip. Momcilos Bruder Zivorad korrespondierte mit ihm. Zivorad studierte in München, als das Attentat geschah und begriff gerade noch rechtzeitig, dass München jetzt für Serben ein gefährliches Pflaster wurde und floh von dort. Den Weltkrieg erlebte Momcilo in der serbischen Armee. Nach dem Krieg zog es die beiden talentierten Brüder ins Zentrum der jungen europäischen Moderne – nach Paris. Doch als serbischer Dichter in Paris zu überleben, das war dann doch nicht drin. Momcilo wurde Gymnasiallehrer in Belgrad mit Hauptfach “Französisch” und Nebenfach “Serbische Sprache”. Und es scheint durchaus so, dass seine Schüler ihn schätzten und er sie für die Literatur begeistern konnte.Um ihn bildete sich auch ein Kreis avantgardistischer junger Autoren. Seine ersten Arbeiten konnte er durchaus problemlos veröffentlichen. Doch Ende der 1920er Jahre reagierte die offizielle Kritik zunehmend gereizt auf seine Lyrik und wenig später auch auf seine Dramatik. Mit seinem Versuch, die avantgardistische Literatur, die er in Paris kennengelernt hatte, mit den Wurzeln der slawischen Lyriktradition zu verschmelzen, kam nicht so gut an. Nicht bei den Vertretern des konservativen Serbiens noch bei denen, die gerade dabei waren, Avantgarde wieder einmal politisch zu definieren – in diesem Fall als links, oder wie auch immer man das nennen mag, was Parteisoldaten an Auftrags- und Ruhmesliteratur für die jeweiligen Strömungen produzieren.

Robert Hodel, der in seinem ausführlichen Vorwort die Lebens- und Wirkungsgeschichte des Autors recht detailliert erzählt, bringt mit dieser Übersetzung auch das zentrale Lyrikwerk Momcilo Nastasijevics erstmals umfassend auf Deutsch heraus. Er erläutert auch, welche Wurzeln sich in diesen Texten finden lassen. Denn Momcilo Nastasijevic versuchte ja, für sein Heimatland Serbien einen eigenen, neuen, modernen Lyrikton zu schaffen. Er ließ zwar den üblichen Liedton hinter sich, verknappte die Verse auf das Wesentliche – aber er griff immer wieder die Bilderwelt der slawischen Lyrik auf.

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Die Wirkung verblüfft, denn damit gerät sein Ton nicht in die Nähe der französischen modernen Lyrik, sondern in die der russischen Moderne. Man begegnet dieser Bilder- und Motivwelt auch bei Jessenin, Bely, teilweise sogar Pasternak. Worum es ihm ging, hat er auch in Essays festgehalten. “Für eine Mutter-Melodie” heißt einer, in dem er versucht zu erläutern, wie er das Musikalische mit dem Bildnerischen verschmelzen will. Aber auch im Jugoslawien der Nachkriegszeit tat man sich schwer mit solchen Tönen. Parteilichkeit war auch im Tito-Jugoslawien eine Heilige Kuh. Dennoch erlebte der 1938 früh verstorbene Dichter im Lauf der Jahre eine Renaissance, wandten sich ihm die Dichter des Landes auch deshalb zu, weil er seinen eigenen Weg gegangen war. Der nicht immer leicht zu entschlüsseln ist. Man kann in seinen Gedichten auch immer das Unangepasste finden. Die Schönheit begegnet dem Verfall, die moderne Einsamkeit der Suche nach biblischen Bildern. Mit denen er dann selbst wieder recht unangepasst verfuhr.

Dabei wechselt er oft die Perspektive, setzt Moder und Makellosigkeit schroff gegeneinander. In der Heiligen Welt ist der Verfall am Werk, im Unflat leuchtet die Reinheit. Ein Dichter mit Ansprüchen, und dem Wissen um die Vergeblichkeit. Im Rausch weiß er um den nahen Tod. Zuweilen verwandelt er sich da selbst in den Verleumdeten, Gepeinigten – “schlagt zu, / ich trag keine Schuld.” Manches freilich so reduziert, dass sich der Text selbst in ein Rätsel verwandelt. Das kann den Leser, der sich einfach in schönen Bildern berauschen will, schon verwirren. Und es lässt sich natürlich nicht festnageln. Wohin wollte der Bursche mit seinem Text, was versucht er zu fassen? – Vieles bleibt interpretierbar – manches reduziert sich wie ein Aphorismus. Unübersehbar die Spannung zwischen der gedachten, permanenten Flucht und dem Gefangensein/Verwurzeltsein im Hier, die eine alles umspülende Trauer in sich trägt.

Manches wirkt hermetisch, manches wie die fortgesponnene Erzählung eines einsamen Wanderers, der aus der Einsamkeit auch seine Kraft holt. Vieles ist auch bewusstes Spiel mit den Gegensätzen, ein Spiel auch mit dem Leser. Denn kann man sprechen über Unaussprechliches? Er tut’s doch. Nimmt seine Leser beiseite in jene Welt, in der der Schmerz die Freude gebiert – und in der die Freude im Schmerz lauert. Das Ungewisse am Rand all unserer modernen Gewissheiten, das auch Momcilo Nastasijevic nicht gewisser machen kann. Auf den Fotos, die dem Buch beigegeben sind, sieht man ihn lächeln, ein bisschen verschmitzt, ein bisschen traurig, das Haar zu einer gewaltigen Mähne gekämmt. So, wie man sich einen vorstellt, der seinem Volk zeigen will, was ein richtiger heutiger Dichter ist. Auch bereit, gegen alle Stachel zu löcken und alles Heilige in den Staub der Erde herunterzuholen.

Das wirkt dann trotzdem zuweilen fremd, ein bisschen wie bei Mallarmé, wo sich die Bilder noch beim Lesen aufzulösen scheinen, als wolle der Autor gar nicht, dass alles verständlich ist. Man ahnt, welche Arbeit da Robert Hodel auf sich genommen hat.

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