Naja. Er ist dran dieses Jahr. Alles wird noch einmal aufgerollt, was man zu Richard Wagner weiß, vermutet oder schon mal thematisiert hat. Also auch das Thema "Wagner und die Frauen". Ein paar kommen zusammen, wenn man so ein Musikerleben näher beleuchtet. Einige davon mütterlich, andere schwesterlich. Und dann gibt es auch noch Minna, Mathilde und Cosima, die den Komponisten in ihr Herz schlossen. Kleine Frage: Ist das viel?

Hatte Klein-Richard eine besondere Aura? Flatterten ihm die bunten Schmetterlinge nur so zu? War er von klugen, schönen Groupies umgeben? – Die Antwort lautet wohl “Nein”. Manchmal setzen auch Forscher die Brille mit der falschen Dioptrien-Zahl auf. In diesem Fall verzerrt der ganz spezielle deutsche Geniekult des 19. Jahrhunderts das Bild. Es war eine Ersatzbefriedigung des deutschen Geistes, der sich immer nach Großem und Größtem sehnte. Wer wissen will, wie diese Sehnsucht aussah, der kann ja mal wieder einen Ausflug ins Bildermuseum einlegen und sich die Beethoven-Skulptur von Max Klinger anschauen.

Man kann auch nach Weimar fahren und sich das Goethe-Schiller-Freundschaftspärchen vorm Nationaltheater anschauen. Ein Volk, das ansonsten eher mit kleinkarierten Politikern gesegnet war, verflüchtigte sich in seinem Kult der großen Männer (Männer, ja ja …) ins Reich der Künste, so dass alle Kulturnationen ringsum staunten über diese Deutschen, diese Dichter und Denker. Das war die Tünche. Der Inhalt ergoss sich dann im August 1914 über Europa.Und Wagner steckt mittendrin in diesem Sehnsuchtstopf nach dem alles überstrahlenden Genie. Ein Kult, den Liszt-Tochter Cosima dann ins Grandiose zu steigern wusste. Natürlich kommt sie hier vor. Sie gab dem Burschen, was er suchte. Zankte wohl auch nicht, hatte keine eigenen Pläne vor, gab sich ganz dem Musikus hin, verehrte seine Musik, himmelte ihn an, besorgte seinen Haushalt, war ihm Geliebte, Frau, Schwester und Mutter. So eine Frau wünschen sich die meisten deutschen Männer. Da kann man am Abend nach der Wildschweinjagd die Füße so schön hoch legen und wird umsorgt.

Die kleine Frage, die Autor Hagen Kunze natürlich nicht aufarbeitet, weil sie ein bisschen frech ist: Warum spielen so viele Frauen dieses Spiel mit?

Die Liebe, wäre eine Antwort. Bei Minna Planer wäre das ganz bestimmt eine Antwort. Sie hat zu Richard in seinen schlimmsten Jahren gehalten, als er hoch verschuldet war, von Ort zu Ort zog und dann nach seinem revolutionären Rausch in Dresden auch noch Hals über Kopf aus Sachsen fliehen musste. Sie ging mit ihm durch dick und dünn. Der Bruch kam, als sie mitbekam, dass er fremd ging. Da stellte sie ihn zur Rede. Da stellten ihn auch die Wesendoncks zur Rede, denn sie hatten von dem Musikgenie zumindest erwartet, dass er mit seiner Frau mit offenen Karten spielt. Hat er nicht getan.

Geniekult und bürgerliches Regelwerk kamen in Konflikt. Wie das Männern (und Frauen) immer wieder so geht. Nicht nur den berühmten Komponisten. Der Leser des kleinen Büchleins lernt zwar alle Lieben, Ehen und bekannten Seitensprünge, auch seine Beziehung zu Mutter und Schwestern kennen, aber das ist es auch schon. Hinter dem Geheimnis steckt kein Geheimnis. Auch wenn Wagner seine Beziehungen zu Frauen immer auch selbst übersteigerte – sie zu seinen Musen machte. Da bekommen deutsche Professoren feuchte Augen. Die Frau als Muse. Da kann er sie aufs Podest heben. Hinterher muss sie trotzdem die schmutzigen Hemden des Herrn Genius waschen.

Warum legt eigentlich niemand in diesem Wagner-Jahr ein Buch über Wagners richtiges Leben vor? Seine Haushalte, seine Krankheiten, seine Hypochondrien. Denn die guten Musen mussten ihn ja immer wieder aufbauen, wenn er zu Tode gekränkt war. Das Publikum wollt ja lange nicht so, wie er wollte, verweigerte ihm lange den Ruhm, den er gern trinken wollte.

Wie normal war Wagner eigentlich? – Die Frage ist ernst gemeint. Wie sehr war Wagner eigentlich wie die meisten anderen Männer? Dass er komponierte und versuchte, sein Frauenideal auch noch in allerlei Brunhilden zu präsentieren – geschenkt. Andere Männer haben ihre Energie dann eher in den Bau eines Kanals gesteckt, die Erfindung eines Verbrennungsmotors oder den Bau einer Schokoladenfabrik. In der deutschen Wagnerei von 2013 steckt noch immer der alte Genie-Pantoffel-Kult des 19. Jahrhunderts. Auch deshalb scheint es “dazwischen” nichts zu geben. “An Wagner scheiden sich die Geister”, schreibt Kunze.Stimmt eigentlich nicht mehr. An Wagner schieden sie sich. So langsam kommt ein bisschen Ernüchterung in die Suppe. Vielleicht widmet sich ja auch mal ein Paartherapeut der Geschichte und klärt, was von all dem, was manche Leute an Wagners Partnerschaften so außergewöhnlich finden, eigentlich stinknormal war. Und ist. Wieviel davon ist kleinbürgerliche Illusion und zeigt nur, wie viele Leute sich nicht trauen, ihr eigenes Leben zu leben? Denn das steckt ja hinter der ganzen Hyperventilation. Bei Männern wie Frauen.

Da brauchen wir uns unsere allseits verklemmte Bundesregierung mit ihren seltsamen Familienbildern gar nicht erst genauer anzuschauen. Wer auch im 21. Jahrhundert noch die (groß)bürgerlichen Familienideale des 19. Jahrhunderts für den Standard hält, der läuft tatsächlich mit einer rosaroten Brille durch die Welt. Da hat sich seitdem eine Menge verändert. Aber auch deutsche Wähler lieben die Illusion – und wählen die Illusionäre.

Richard Wagner lebte ein Stück weit mutiger als die Bürger im Parkett seiner Opern. Aber er unterschied sich darin nicht einmal so sehr von vielen seiner Kollegen in der Künstlerzunft. Er traf dabei augenscheinlich auf einige Frauen, die diese Freiheit im Geiste zumindest teilten. Frauen, die durchaus zum Typus der sich emanzipierenden Frau des 19. Jahrhunderts gehörten. Was sie vor tiefen Verletzungen nicht bewahrte. Vielleicht kommt ja noch das notwendige Pendant zu diesem Büchlein. Statt “Richard Wagner und die Frauen” dann: “Die Frauen und Richard Wagner”. Das könnte helfen, auch mal die Perspektive zu ändern und den Burschen mit den selbstbewussten Augen der Frauen zu betrachten. Die nicht “seine Frauen” waren, sondern eigenständige Wesen mit durchaus verschiedenen Erwartungen an ihn.

Manche werden auch etwas in ihn hinein projiziert haben, was er nicht erfüllen konnte. Nur Cosima war am Ende diejenige, die ihre Anbetung mit ihren eigenen Erwartungen (scheinbar) in Einklang brachte.

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Musenkuss. Richard Wagner
und die Frauen

Hagen Kunze, Buchverlag für die Frau 2013, 5,00 Euro

Spielten Frauen tatsächlich eine “dominierende Rolle” in Wagners Leben? – Die Antwort lautet wohl schlichtweg: nein. Was natürlich etwas anderes nicht ausschließt: Dass nämlich jede Einzelne selbst wieder ein beeindruckender Charakter war. Das ist das kleine Manko, das man beim Lesen spürt: dass diese Persönlichkeiten nicht stärker in den Vordergrund rücken und immer nur in Beziehung zu Wagner gesehen werden. Als wäre diese Beziehung das, was sie ausmacht. Das denken Männer gern von “ihren” Frauen. Aber es ist – wie so oft im Leben – bestenfalls die halbe Wahrheit.

Vielleicht schreibt ja doch mal einer ein schönes Buch mit dem Vorschlagstitel: “Minna, Jessie, Mathilde, Cosima, Judith und ein gewisser Herr W.”. Zeit dazu wäre es.

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