88, 89? Wieviele Parks und öffentliche Gärten besitzt Leipzig eigentlich? Und kann man sie alle in ein Buch packen? Das fragten sich vor vier Jahren Petra Mewes und Peter Benecken und begannen ein Projekt, das ihnen unter der Tastatur anschwoll, bis sie kaum noch wussten, wo aus und wo ein. "Es wurde einfach immer mehr", sagte Petra Mewes am Freitag, 10. April, noch schier atemlos von diesem Werk. Es ist jetzt da. 244 Seiten mit über 90 Grünanlagen.

Auch zwei Markkleeberger Anlagen – der Kees’sche Park und der agra-Park – haben sich hineingefunden. Etliche Leipziger Parks sind wie Zwillinge vertreten – wie das 2012 neu gestaltete Pärchen Stannebeinplatz/Stöckelplatz in Schönefeld oder Gregoryplatz/Gustav-Schwabe-Platz in Stötteritz. Die 88 ist einfach die letzte Nummer in diesem Parkführer, mit dem man durchaus auf große Entdeckungstour durch Leipzig gehen kann. Entdeckungen sind garantiert. Es steckt Stadtgeschichte drin, Park-Gestaltungs-Geschichte und auch jede Menge Botanik. Denn irgendwann im Lauf der Recherchen bekamen die beiden Autoren vom Leipziger Amt für Stadtgrün und Gewässer den beherzigenswerten Tipp: Nehmt auch noch einen Botaniker und einen Landschaftsgärtner dazu, sonst fehlt etwas Wichtiges. Das taten die beiden dann und holten sich Peter Gutte und Hein-Jürgen Scherschak dazu.

Die beiden schildern sehr detailliert den Pflanzenreichtum in Leipzigs Grünanlagen. Was schon wieder eine Untertreibung ist. Denn jede Anlage ist anders. Einige wurden ganz bewusst mit bestimmten Pflanzen besetzt, in anderen dominieren die heimischen Pflanzen – bis hin zu den auwaldnahen Landschaften. Allein das Verzeichnis der im Buch erwähnten Pflanzen umfasst im Anhang fünf Seiten. Und die Schrift in diesem Buch ist recht klein. Sonst hätte das alles gar nicht in ein Buch gepasst. Zum Vergleich: Das Personenregister umfasst nur zwei Seiten.

Fragt sich der Laie natürlich: Wer hat denn als Person schon mit dem Gestalten von Grünanlagen zu tun? Fragt sich der Laie natürlich auch nur, bis er losgezogen ist. Die Reihenfolge ist sinnfällig. Denn das Juwel der Leipziger Grünanlagen ist seit nun bald 300 Jahren der Promenadenring. Was dann schon einmal eines der nächsten größeren Leipziger Jubiläen andeutet. 2025 darf es gefeiert werden. Damals entstand an der Westseite von Thomaskirche und Thomasschule das erste Stück des späteren Ringgrüns – eine doppelreihige Lindenallee, die sich binnen kürzester Zeit zur Flaniermeile der Leipziger entwickelte. Man darf sich den Thomaskantor Johann Sebastian Bach durchaus mit Anna Magdalena und den Kindern unter diesen Bäumen vorstellen. Das geschah ja direkt vor ihrer Wohnung.Die Stadt entledigte sich gerade nach und nach der alten Bollwerke. Die alten Gräben wurden teilweise als Schießgräben, teilweise als Pflanzschulen genutzt. Ab 1784 gab der Leipziger Baudirektor Carl Friedrich Dauthe der Entwicklung ein erstes Gesicht: Er schuf den Unteren und den Oberen Park im Nordosten der alten Stadtbefestigung. Das eine ist die heutige Müller-Anlage mit dem Denkmal des Bürgermeisters Carl Wilhelm Müller, der die ganze Sache erst initiiert hatte. Das Denkmal bekam er auch, weil er den Leipzigern in seiner Amtszeit zeigte, wie ein aufgeklärter Bürgermeister eine Stadt umkrempeln konnte. Der untere Park ging direkt in den Oberen Park über. Das ist die heutige Grünanlage mit dem Schwanenteich. Damals gehörte noch der Schneckenberg dazu, so benannt, weil man in einer Spirale auf seine Spitze gelangte. An dessen Stelle steht heute das Opernhaus.

Bis ins 19. Jahrhundert dauerte es, den Promenadenring ringsum zu gestalten, mal klassisch streng und ornamental, wie heute noch am Dittrichring zu bewundern, mal etwas freier, fast wie einen Landschaftspark – wie in der Lennéanlage an der Schillerstraße. Zwar hatten alle Städte im Mittelalter in Deutschland solche sperrigen Bollwerke. Aber nur die wenigsten hatten so weitsichtige Bürgermeister wie Carl Wilhelm Müller, die den wertvollen Raum der einstigen Stadtgräben für eine Grüngestaltung sicherten. Wien taucht in diesem Buch immer wieder als vergleichbares Beispiel auf – was auch damit zu tun hat, dass ein Leipziger Landschaftsgärtner die Idee in die österreichische Residenzstadt mitnahm.

Einige der wichtigen Leipziger Ratsgärtner und Stadtgartendirektoren werden in diesem Buch natürlich auch vorgestellt. Wenn man nicht gerade Koryphäen wie Peter Joseph Lenné einlud, in Leipzig ihre Ideen zu verwirklichen, dann waren es Leute wie Wittenberg, Hampel und Molzen, die den neuen Grünanlagen ihr Gesicht gaben. Denn im 19. Jahrhundert war ja fast alles neu. Nicht nur die Stadt wuchs nach allen Seiten. Die Stadtväter waren sich sehr wohl bewusst, dass man in den durchplanten Wohnquartieren auch grüne Inseln brauchte zum Luftholen, Ausspannen, Spielen. Der erste derart gestaltete Stadtplatz ist schon das erste Kleinod, das die meisten Leipziger gar nicht kennen werden: Es ist der Marienplatz im Grafischen Viertel – 1850 erstmals bepflanzt, 1878/1879 von Carl Otto Wittenberg gestaltet. Er wurde zum Vorbild für Dutzende weiterer solcher Stadtparks, die in den Folgejahren entstanden.

Die meisten überdauerten bis heute – mit ihrer Sanierung nach 1990 sind sie auch in ihrer ursprünglichen Optik wieder ins Stadtbild zurückgekehrt. Nicht alle so üppig bepflanzt wie zu Wittenbergs Zeiten. Das Grünflächenamt war eines der ersten, das vom Stadtrat strenge Sparauflagen verpasst bekam. Im Ergebnis musste es auch seine eigenen Stadtgärtnereien aufgeben und kann die benötigten Blumen für die vielen Rabatten gar nicht mehr selbst ziehen. Deswegen beschränkt man sich fast ausschließlich auf das Ringgrün bei diesen bunten Frühjahrspflanzungen.Aber auch in den letzten Jahren wurden ja weitere neue Grünanlagen geschaffen. Oft wurden jahrzehntealte Brachen erst einmal zu attraktiven Aufenthaltsorten gestaltet – wie das Gelände des ehemaligen Eilenburger Bahnhofs, das zum Lene-Voigt-Park wurde. Oder der Stadtplatz an der Brüderstraße. Für Furore sorgten die Neugestaltung der Von-Harck-Anlage auf der nördlichen Seite des Bundesverwaltungsgerichts und die Gestaltung des Mendelssohn-Ufers auf dessen Südseite. Manche Plätze – wie der Floßplatz – verraten nur noch durch ihren Namen ihre ursprüngliche Nutzung. Andere entstanden als Aufwertungsprojekt und gehören heute zu den wertvollen Zutaten aufstrebender Stadtteile – wie der Freizeitpark Rabet im Leipziger Osten oder der Stadtteilpark Plagwitz.

Oft genug verbergen sich ehemalige Friedhöfe unter den gewaltigen Baumreihen – beim Friedenspark genauso wie beim Schwartzeplatz oder dem Karl-Heine-Platz. Natürlich kommt auch Leipzigs “grüne Lunge” ins Bild: das große Parkensemble mit Scheibenholz, Clara-Zetkin-Park, Johannapark, die in der warmen Jahreszeit zum Tummelplatz der Leipziger werden. Man merkt schnell, was sich die Autoren da vorgenommen hatten. Jede Grünanlage hat ihre eigene Geschichte. Manchmal eine voller Romantik – wie eben der Johannapark. Manchmal auch eine mit altem Glanz – wie der alte Vergnügenspark um den Auensee.

Immer wieder waren es beherzte Bürgermeister, die auch mal die Parzellierung stoppten und den Leipzigern damit ein wertvolles Stück Grün mitten in der Stadt bewahrten – der Volkspark Kleinzschocher gehört dazu. Manchmal erinnern die Parks an verlorene Schlösser – wie der Stadtteilpark am Wasserschloss in Leutzsch oder der Gutspark Großzschocher. Mancher Park – wie der Abtnaundorfer oder der Knauthainer – geht auf eine alte Schloss-Park-Anlage zurück. Manches Kleinod – wie etwa den Mühlenpark in Großzschocher – muss man erst suchen, um es bewundern zu können.

Natürlich fragt man sich: Ist denn nun alles drin? – Die Antwort lautet natürlich: nein. Das Buch wäre sonst wohl doppelt so dick und doppelt so teuer geworden, auch wenn sich der Verlag alle Mühe gab, die Texte zur Parkgeschichte mit eindrucksvollen Fotos und immer wieder auch kleinen Lageplänen so dicht zu packen, wie es der Seitenplatz hergab. Alle Porträts der dargestellten Anlagen sind mit kleinen Steckbriefen versehen, die erläutern, wie man hinkommt, was es an Besonderem zu sehen gibt und wo die nächste empfehlenswerte Gaststätte ist – in der Regel nicht weit. Leipziger haben die Nähe von Grün und Gastronomie schon zu Goethes Zeiten geliebt. Ein Extra-Feld erläutert die botanischen Besonderheiten, die man entdecken kann – angereichert mit dem Blütenbild einer ausgewählten Pflanze.

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Leipzigs Grün
Petra Mewes; Peter Benecken, Passage-Verlag 2013, 17,50 Euro

Der Rest ist dann nur noch eine Sache der Unternehmensfreude. Denn wann war man zuletzt mal im Schlosspark Lützschena? Oder im Schönauer Park? Oder im Apothekergarten? Wer kennt den Elsapark im alten Tal der Rietzschke? Natürlich werden in der Einleitung auch jene großen berühmten Gärten erwähnt, die einst direkt vor den Toren der Stadt lagen und später überbaut wurden. Da und dort – wie bei Apels Garten – erzählt ja die Stadtstruktur noch davon. Der älteste nachgewiesene Leipziger Garten befand sich übrigens auf dem Gelände von Barthels Hof. Archäologen haben seine Spuren gefunden, als Barthels Hof saniert wurde. Aber das ist dann wieder eine ganz andere Stadt – ein Leipzig, in dessen Mauern Vieh gehalten wurde und so viel Platz war, dass die Bewohner neben ihren Häusern auch noch Gärten für den täglichen Bedarf hatten. Auch der Botanische Garten der Universität war ja mal einer, der in der alten mittelalterlichen Stadt sein Plätzchen hatte – direkt an der Grimmaischen Gasse (alias Straße). Heute lockt er zum Ausflug an die Johannisallee. So, wie jedes grüne Kleinod in diesem Buch zum Ausflug einlädt. Und das Schöne dabei ist: Man braucht kein Auto und kein Motorboot. Mit Rad, Straßenbahn oder zu Fuß kommt man meist locker hin.

www.passage-verlag.de

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