Klar - man kann eine Stadt auch über ihre Küche kennen lernen. Und die Küche einer Stadt verrät den Charakter derselben. Aber welche ist die eigentliche Küche? Und was ist nur Marketing? Dass man in einem Berliner Bäckerladen am besten keine Berliner bestellt, das hat sich herumgesprochen. Aber wem gehören eigentlich die Currywürste - den Rheinländern oder den Hauptstädtern?

Und denkt wirklich jeder an Buletten und Eisbein, wenn er auf die Berliner Küche angesprochen wird? – Solche Dinge haken sich fest. Das stimmt. Manchmal sind die Einheimischen stolz wie die Könige, wenn man ihre Stadt mit bestimmten Nahrungsmitteln assoziiert. Deswegen vermisst man einen Kandidaten in diesem Buch natürlich: den Döner. In Berlin begann er vor ungefähr 40 Jahren seinen Siegeszug durch deutsche Großstädte. Und das ist typisch für Berliner Gerichte – es sind reiselustige Gerichte. Berlins Küche ist eine internationale Küche, auch wenn sie auf den ersten Blick sehr rustikal und hausbacken wirkt.

Mit Bulette und Currywurst sind zwei der frühesten Fastfood-Gerichte benannt, die es in den Großstädten der Welt zu kaufen gab, als sich das alles wie unerhört zu beschleunigen begann. (Lesetipp zwischendurch: “Berlin Alexanderplatz” von Alfred Döblin). Und das Beeindruckende am Berlin dieser Tage ist, dass es trotz der 60-jährigen Zwischen-Eiszeit und aller Klammheit im Stadtsäckel wieder das Flair der Großstadt der 1920er Jahre zurückgewonnen hat. Da kann man auf Spurensuche gehen. Oder auf eine gastronomische Stadterkundung. Letzteres tut Ute Scheffler, die ihr Ost-Berlin schon ins Herz geschlossen hat, als man sich zum Rendezvous noch unter der Weltzeituhr auf dem Alex traf. Der Alex ist nicht mehr das, was er mal war, das Zentrum der Stadt schon lange nicht mehr. Genauso wenig, wie der Ku’damm diese Rolle, die er in Zeiten der Mauer für Westberlin spielte, behalten konnte.Für das heutige Berlin stehen eher der Potsdamer Platz und der Prenzlauer Berg als Synonym. Auch mit all ihren Konflikten. Wer Berlin auch mit dem Bauch erkunden will, der hat die Wahl. Der kann in der Mitte anfangen, auf der Museumsinsel, und von da ins Nikolaiviertel pilgern, dann mal nachschauen, ob es am Alex nun noch Griletta, Krusta und Bockwurstsalat gibt, oder sozialistische Baukunst bestaunen im Telespargel oder auf der Karl-Marx-Allee, jenes Vorzeige-Bauprojekt, das 1953 die Berliner Bauarbeiter zum Streiken brachte.

Zu jeder Station ihrer Tour durch Berlin bringt Ute Scheffler nicht nur kulinarische Randnotizen, die auch durchaus wieder ein Stück Kulturgeschichte sichtbar machen. Denn was am Schweden-Eisbecher aus DDR-Zeiten schwedisch ist, haben wohl auch die Experten noch nicht herausgefunden. Dass es im “Café Sibylle” tatsächlich Karl-Marx-Wein gibt, erstaunt erst, wenn man erfährt, dass es Nachfahren der Familie Marx aus Trier sind, die den Wein im Ruwertal tatsächlich anbauen. Die empfohlenen Gerichte zur Karl-Marx-Allee: Speckeierkuchen oder Hoppelpoppel. Da hätte auch Karl nicht nein gesagt.

Obwohl er dann doch lieber zum abendlichen Bierchen in den Prenzlauer Berg gefahren wäre. Wo das quadratisch praktische Büchlein unter anderem Schwarzbiersuppe, Berliner Klops und Eier in Senfsoße anbietet, die der ein oder andere Berlin-Besucher gewiss auch von “dorheeme” kennt. Weil es zum Teil mitgereiste Gerichte sind. Vieles, was all die Neu-Berliner aus Sachsen, Polen, Holland, Frankreich und neuerdings Schwaben mitbrachten, hat Eingang gefunden in eine reichhaltige Küche, die auch immer auf kurze Lieferwege zurückgreifen konnte. Was schon Theodor Fontane zu schätzen wusste, denn die Mark, die er bereiste und beschrieb, war auch der Gemüse-, Wildbret-, Fisch- und Obstlieferant für die wachsende Residenz- und spätere Hauptstadt. Was noch heute so ist.

Nicht jedes Gericht hat es geschafft. Heinz Knobloch erzählte einst vom missglückten Versuch (Ost-)Berliner Bäcker, die Dresdner Eierschecke nachzumachen. Sie haben es nicht hinbekommen. Das kann passieren. Berlin ist keine “jemiedliche” Stadt. Ihre Bewohner stehen eher für “Herz mit Schnauze”. Nicht nur im Polit-Geschäft braucht man dort ein dickes Fell und einen eisernen Magen. Es geht ja Berlin genauso wie Leipzig: Es ist nicht “better” oder “like” wie irgendwas anderes. Die Zeiten, dass Leipzig ein Klein-Paris war, sind lange her, die, dass es einmal ein “better Berlin” wird, werden nicht kommen.
Und Berlin hat zwar auch stets geschielt nach den großen Schwestern in aller Welt – nach Paris, London und New York, zeitweilig auch Moskau. Aber selbst an der Friedrichstraße wird man die Gewissheit nicht los: Berlin ist unter den Weltstädten das Schnitzel Holstein und Königsberger Klopse. Und wer aus der deutschen Provinz kommt (und wer kommt nicht daher, wenn er irgendwo in Deutschland wohnt?), der setzt sich ins Café Einstein oder in eins der anderen Etablissements rund ums Regierungsviertel und schaut den Prominenten auf die Teller. Er darf auch staunen, wie nett all die Politiker aus dem Bundestag miteinander auskommen, wenn sie sich hier ohne Fraktionszwang treffen.

Natürlich fehlen auch die berühmten Orte nicht auf Ute Schefflers Berlin-Tour – das Lutter & Wegner so wenig wie das Café Kranzler. Alles zwar nicht mehr so wie früher. Aber wir sind ja auch nicht mehr so wie früher. Berlin steht auch – und das erschreckt auch viele Hauptstadtkorrespondenten – für eine manchmal Schwindel erregende Veränderung. Vielleicht sind die Bayern deshalb so neidisch und wollen ihr Geld aus dem Solidarpakt wiederhaben. Vielleicht noch mit dem Nollendorfplatz als Zugabe. Die Teltower Rübchen freilich wird man immer mit Berlin verbinden. Genauso wie die Weiße mit Schuss.

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Typisch Berliner Küche
Ute Scheffler, Buchverlag für die Frau 2013, 9,90 Euro

Natürlich kann in so einem konzentrierten kulinarischen Berlin-Bummel nicht ganz Berlin enthalten sein. Aber wer diese Tour durchs große Herz der Hauptstadt hinter sich hat, ist fußlahm und satt. Wer freilich irgendwo zwischen Gugelhof und Letzter Instanz nicht mehr konnte, der hat hier das Wesentliche schon verpackt beieinander, jederzeit nachzubereiten, wenn einen wieder so ein bisschen das Gefühl ankommt, dass man ja doch irgendwo in der Provinz gelandet ist. Das Schöne an Deutschlands Hauptstadt ist, dass ihre Spezialitäten in der Regel einfach, handfest und sättigend sind. Arm sieht das alles nur aus bayerischer Perspektive aus. Aus sächsischer wirkt das eher vertraut und passt zu der alten Gewissheit: Wer richtig rackern will, muss auch richtig essen.

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