Es ist wohl der wichtigste Klassiker der Literatur zur Schlacht bei Leipzig, die man nachher die Völkerschlacht nannte, weil Armeen mehrerer Staaten und Völker daran beteiligt waren. Zur Frühjahrsmesse 1814 in Leipzig war das Buch da, in dem der Weimarer Verlegersohn Carl Bertuch von seinem Besuch auf dem Leipziger Schlachtfeld gleich nach der Schlacht berichtete.
Siegfried und Peter Seiffert beklagen zwar im Nachwort zu dieser Neuausgabe, dass das Werk wissenschaftlich viel zu wenig genutzt werde, aber es ist das meistzitierte aller Bücher zur Völkerschlacht. Denn es ist auch eines der authentischsten. Der junge Verleger Carl Bertuch, der erfolgreich in den Weimarer Verlag seines Vaters Friedrich Johann Justin Bertuch eingestiegen war, tat am 19. Oktober etwas, was für die Reporter mancher großen Medien heute selbstverständlich erscheint: Er setzte sich in die Kutsche, um eine Nachricht zu prüfen, die am 18. Oktober die Weimarer erreicht hatte. Am 16. Oktober soll demnach Napoleon bei Leipzig schon von den Alliierten geschlagen worden sein.
Das war nicht ganz so – aber die Tatsache, dass der Kaiser der Franzosen am 16. Oktober keine Entscheidung herbeikanonieren konnte, war die Grundlage dafür, dass er am 18. Oktober erst recht in die Defensive geriet und am 19. Oktober fliehen musste. Mit den Rückzugsbewegungen der Franzosen kam Bertuch am 19. Oktober noch beinah in Kontakt, konnte dem Schlamassel (und der möglichen Erschießung als Spion) gerade noch ausweichen und schaffte über den Aufmarschraum der Österreicher den Zugang aufs Schlachtfeld. Er konnte die Stadt mit ihren Leichen auf den Straßen und die Berge der Getöteten und Verletzten auf dem Ranstädter Steinweg noch selbst sehen, machte in den Folgetagen auch Ausflüge zu den umkämpften Punkten um Probstheida und Liebertwolkwitz. Und er konnte vom Standpunkt der Quandtschen Tabaksmühle wie Napoleon über das Schlachtfeld schauen, das sich der heutige Besucher so nicht mehr vorstellen kann.Alte Lithografien zeigen noch, wie leer diese flache Landschaft war. Die kleine Erhöhung, auf der Napoleon stand, verschaffte ihm tatsächlich einen weiten Blick über das Schlachtfeld. Was während der Schlacht geschah, das fragte Bertuch bei allen militärischen Befehlshabern ab, derer er habhaft werden konnte. Das waren zumeist die österreichischen, so dass er den südlichen Teil des Schlachtverlaufs wesentlich detaillierter wiedergeben konnte als den im Norden. Dazu hat er – nach dem in fiktiver Briefform geschriebenen ersten Teil – einen eigenen zweiten Teil zur Schlacht geschrieben.
Dem hat er noch mehrere Anhänge beigefügt, in denen er die Struktur der beteiligten Armeen wiedergibt, aber auch die frühesten belastbaren Zahlen zu den beteiligten Soldaten, den Toten und Verwundeten gibt. Beigegeben hat er seinem Buch noch zwei Karten des Schlachtfeldes, ein Projekt, das in so kurzer Zeit nur ein derart qualifizierter Verlag wie der Bertuch-Verlag leisten konnte. Und Carl Bertuch entwirft auch als Erster die Vision eines möglichen Denkmals auf dem Schlachtfeld – in Form einer Kapelle der Eintracht, die als hoher Turm auf dem Hügel der ehemaligen Quandtschen Tabaksmühle errichtet werden sollte.
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Mit der Eintracht war es ja bekanntlich schon beim Wiener Kongress 1814 vorbei, an dem Carl Bertuch ebenfalls teilnahm – diesmal aber nicht als Berichterstatter, sondern als einer der beiden Entsandten der Vereinigung der deutschen Buchhändler. Der andere war Johann Friedrich Cotta, der Verleger Goethes. Und ihr Auftrag war einer, der bis heute seine Gültigkeit nicht verloren hat: Sie sollten ein Gesetz gegen das Überhandnehmen illegaler Nachdrucke erreichen. Sie erreichten zumindest eine Absichtserklärung in den Wiener Beschlüssen. 1837 gab es dann das erste – auf 10 Jahre befristete – Urheberschutzrecht im Norddeutschen Bund, das dann 1845 auf 30 Jahre nach Tod des Urhebers ausgeweitet wurde.
Bis dahin litten nicht nur Verleger, sondern auch Autoren darunter, dass gerade ihre erfolgreichen Titel meist binnen kürzester Zeit in hohen Auflagen nachgedruckt wurden, ohne dass sie an diesen Nachauflagen partizipierten.
Im 21. Jahrhundert ist ja nun der heftige Streit um eine Abschaffung des Urheberschutzes entbrannt.
Carl Bertuch kam leider nicht mehr dazu, auch seine Erlebnisse beim Wiener Kongress in Buchform zu bringen – es wäre sehr wahrscheinlich ein ebenso eindrucksvolles Werk aus der Perspektive eines Augenzeugen gewesen, der keine diplomatischen Rücksichten nehmen musste wie die meisten anderen Delegierten. 1815 starb Carl Bertuch – kaum 38 Jahre alt – in Weimar. Möglicherweise völlig überarbeitet, denn was die Herausgeber über sein Arbeitspensum berichten, ist beachtlich. Als Todesursache steht Typhus zu vermuten, der in der Zeit der Napoleonischen Schlachten in Europa wieder epidemisch zu beobachten war. Auch Richard Wagners Vater starb Wochen nach der Schlacht am “Nervenfieber”, wie es damals hieß.Was fehlt im Buch? – Der Name “Völkerschlacht”. Den benutzte zu dieser Zeit augenscheinlich niemand. Im deutschen Sprachraum wurde von der Schlacht bei Leipzig gesprochen und auch in der französischen Berichterstattung sprach man von “la bataille de Leipzig”. Auch der Dresdner Militärschriftsteller Carl Heinrich Aster sprach 1852/1853 in seinem einschlägigen Werk “Die Gefechte und Schlachten bei Leipzig im Oktober 1813” nicht von einer Völkerschlacht. Und auch Theodor Apel verwendete das Wort in seinem 1863 erschienenen “Führer auf die Schlachtfelder Leipzigs im October 1813 und zu deren Marksteinen” nicht.
Im englischen Sprachgebrauch etablierte sich irgendwann der Begriff “battle of nations”, im Französischen fasste der Begriff “Bataille des nations” Fuß. Wobei natürlich die Frage steht: Ab wann wurden diese Begriffe etabliert? Eine Frage für Historiker. Denn augenscheinlich wurde der Begriff “Völkerschlacht” auch erst mit der zunehmenden Popularisierung des geplanten “Völkerschlachtdenkmals” benutzt. Wobei “Völker” dabei immer wie eine primitive Übersetzung des englischen “nations” wirkt, das in sich immer die Bedeutungen von Volk und Nation vereint. Und gerade die Nation bekamen ja all die deutschsprachigen “Völker” eben nicht, nachdem sie sich so todesmutig in den “Befreiungskrieg” gestürzt hatten.
Das Ergebnis war nicht Fisch noch Fleisch. Und so ist auch der Begriff “Völkerschlacht” irgendwie zum Etikett geworden, der auch noch fälschlicherweise suggeriert, hier hätten “Völker” gegeneinander gekämpft. Tatsächlich haben ein paar Potentaten gegeneinander gekämpft und dabei zehntausende namenlose Soldaten “verheizt”. Um was es diesen Potentaten ging, wurde ja dann beim Wiener Kongress offensichtlich.
Wanderung nach dem Schlachtfelde
von Leipzig im October 1813
Siegfried Seifert; Peter Seifert, Sax-Verlag 2013, 14,80 Euro
Und auch das wirkt bis heute fort – unter anderem im sinnlosen, weil halbfeudalen Zuschnitt der deutschen Bundesländer. Carl Bertuch hätte ganz bestimmt ein sehr kluges analytisches Buch über seine Erlebnisse beim Wiener Kongress geschrieben, vergleichbar vielleicht mit den Aufzeichnungen Karl August Varnhagen von Enses. Aber dazu ist er ja leider nicht mehr bekommen.
Seine “Wanderung auf dem Schlachtfelde von Leipzig” liegt dafür in einer neuen Auflage vor für alle, die gern noch einmal so nah an die Ereignisse der Schlacht heranzoomen möchten, wie es irgend geht. Dichter dran waren nur noch die beteiligten Soldaten und die Einwohner Leipzigs und der Dörfer drumherum an den Ereignissen. Aber keiner hat so schnell und sachkundig darüber berichtet wie Bertuch.
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