Es war einmal ein Land, in dem die meisten Bewohner schlecht gekleidet herumliefen, die Städte grau und speckig waren, die Straßen notdürftig geflickt, die historischen Innenstädte zum Abriss freigegeben und das Warenangebot trist. Ach ja: Es hatte auch keine Farben. Und wenn es Farben hatte, waren sie gelb- oder rotstichig. Doch jetzt kann das Land noch einmal in Farbe begutachtet werden. Farbecht. Ein Glücksfall.
Denn dass der 1956 geborene Harald Hauswald die letzten Jahre der DDR mit haltbarem Farbfilmmaterial fotografieren konnte, hat – wie so Vieles, was aus dieser Zeit bleiben wird – etwas Subversives. Denn dass Hauswald ab 1986 die DDR mit Kodak-Material ablichten konnte, verdankt er seiner Arbeit für die Zeitschrift “Geo”, die ihn mit den entsprechenden Filmen reichlich ausstattete. Das reichte, um auch über die Aufträge für “Geo”, “Stern”, “Zeit-Magazin” und “Merian” hinaus die Endphase der DDR in Farbe festzuhalten. Die 1986 schon überall spürbar war. Der Herbst 1989 hatte einen langen Vorlauf. Das ist auch in vielen der eindrucksvollen Schwarz-Weiß-Fotobänden aus dem Lehmstedt-Verlag zu sehen. Hauswald war ja nicht der einzige, der hinter die Propaganda-Kulisse schaute und das Land in seinen Zwiespältigkeiten sichtbar machte. Hier die dörflichen Landschaften in ihrem allmählichen Versinken in der Stille, dort die bedrückend heruntergewirtschafteten Städte, hier die immer skeptischer dreinblickenden Teilnehmer der verordneten Demonstrationen, dort die Menschen in ihren selbstgewählten Nischen.
Aber was passiert, wenn man sich diese Bilderwelten auf einmal in Farbe vergegenwärtigt? Bekommen sie Farbe? Hatte dieses Land tatsächlich Farben jenseits der Transparente, Losungen und Umzüge? – War der Wirsingkohl tatsächlich wirsingkohlgrün und das Bier biergelb? – War es.
Blasser als in der bunten Gegenwart wirkt vieles, nicht so grell und Perfektion verkündend. Wenn man ein Land nicht regelmäßig neu anmalt, beklebt, erneuert, wirkt es auch in Farbe abgenutzt. Solche Bilder hat man in jüngerer Zeit auch noch in Fotoreportagen aus Ost- und Südosteuropa gesehen, den Ländern, die mit dem Osten Deutschlands bis 1989 ein Stück gemeinsamer Geschichte teilten. Die Entwicklungen sind nicht mehr synchron. Das Land östlich der Elbe ist aus dem alten Zeittakt gefallen, wurde von oben bis unten neu aufgehübscht. Nur wer genau hinschaut, sieht, dass es mittlerweile völlig zerrissen ist. Nicht einmal die fünfeinhalb neu gemachten Bundesländer fahren im selben Takt. Mancherorts ist der große Maler mit rasender Eile durchgefegt. Das Bautzen, das Hauswald noch in diesem Graubraun der 1980er Jahre ablichtete, gibt es nicht mehr. Heute sieht die Stadt aus wie extra für Postkarten und Märchenfilme hingebaut.
In Halberstadt sieht es an einigen Ecken noch so aus wie auf einem der Fotos, die Hauswald dort machte, als gerade die letzten Reste der Altstadt dem Verfall preisgegeben wurden. Vieles ist dort saniert, vieles auch völlig übersaniert, weil die Sanierer selbst wieder in höchster Eile das schöne neue Bunte haben wollten. Und Leipziger dürfen stutzen über die ruinöse Treppe, die sich auf Seite 110 sichtlich ins Nichts aufschwingt. Dass es die Treppe der Biblioteca Albertina ist, muss man mittlerweile dazu schreiben.
Die Bilder von den Straßen, den Passanten, den Läden aber zeigen ein Land, das nur noch mit Ruß und Spucke zusammenhält. Selbst die Reparaturen werden immer mühsamer, die Angebote trister, die Idyllen immer schäbiger. Die strengen, forschenden Blicke der Menschen, die für Hauswald nicht einmal posieren, zeigen die allwaltende Skepsis, das Unzufriedenheit mit den Zuständen. Erst abseits werden die Gesichter wieder offener, scheinen die Dargestellten ihre Rolle wieder auszufüllen – wie die Leute auf dem Pferdemarkt in Havelberg.
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Bei manchen der von Hauswald abgelichteten Helden des Augenblicks ahnt man schon, das sie in wenigen Jahren oder Monaten in neuen Billigklamotten, mit neuen Bier- und Zigarettenmarken genauso düpiert dasitzen werden. Und statt nach frisch Geschlachtetem vor der Fleischerei in der Oderberger Straße werden sie nach 100 DM Eintrittsgeld in die westliche Welt in langen Schlangen anstehen, genauso geduldig, manche euphorisch, wenn sie ihr erstes Westgeld vorzeigen wie eine Belohnung für das ewige Warten. Dass die DDR in der Rückschau manchem vorkommt wie ein stilles Land, liegt auch an diesem Warten. Ungeduld fiel auf. Ungeduld brachte die Ungeduldigen zum Aufbegehren oder in jene scharf überwachten Szenerien, in denen sich ein bisschen alternatives Leben entfalten durfte. Das sind ganz gewiss historische Kostbarkeiten, die Hauswald da eingefangen hat mit seiner Kamera auf Spurensuche im Milieu der Punker, Aktionskünstler, den Leuten aus der Umweltbibliothek, Performern, Malern, Fotografen-Kollegen. Berlin war der Sammelpunkt für all diese Unangepassten. Der Prenzlauer Berg war – in seiner ganzen Abgerissenheit – der Ort, wo das noch Zuflucht fand.
Was er vor 1989 mehr oder weniger ohne staatliche Billigung tat, das konnte Hauswald ab 1990 als Mitgründer der Agentur Ostkreuz offiziell fortführen. Die Fotografen dieser Agentur sind gefragt, weil ihre Sicht auf die Welt eine besondere ist, weil sie darauf geeicht sind, die Widersprüche zu sehen. Und die Menschen in ihren Widersprüchen. Das er 4.000 Farb-Negative in seinem Archiv hatte aus diesen Jahren von 1986 bis 1990, hatte er schon selbst vergessen. Die Fotos sind eine Wiederentdeckung. Die Wiederentdeckung auch einer Zeit, die anders tickte – auch wenn sie schon längst aus den Fugen war. Manche Fotos wirken wie Gemälde, durchkomponiert wie ein echter Liebermann, ein Spiel mit Nuancen, wie es heute gar nicht mehr möglich wäre, weil schrille Werbung auch noch in den letzten Winkel vordringt.
Ferner Osten
Harald Hauswald; Mathias Bertram, Lehmstedt Verlag 2013, 29,90 Euro
Aber es fröstelt den Betrachter auch, wenn er diese von Kohledunst vernebelten Straßen sieht, diese rußigen Plätze, grau gewordenen Plätze. Unwirtlich ist wohl das passende Wort. Von Hauswald bei einigen Fotos wohl ganz bewusst gesucht – Bilder in Nebel, Winter, unter dunstigen Himmeln. Aber die Tristesse ist auch in den – gelblich getönten – Arbeitsbildern zu sehen, in den ungemütlichen Kneipenszenen und selbst in Hausmanns Bildern von den befohlenen Aufmärschen mit ihrem organisieren Sprüche-Pomp. Selbst die Ordner der FDJ scheinen nur noch darauf zu warten, dass irgendwas passiert.
Es ist ja dann passiert. Und Hauswalds Bilder zeigen die Vorgeschichte dazu. Aus der unbeirrten Sicht des Chronisten, der ahnt, dass diese Szenerie auf Film gebannt werden muss, bevor sie dem Blick entschwindet. Der Abschied war schon gegenwärtig. Nur eines war offen: wohin die Reise gehen würde.
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