23 Jahre Diskussion über die kommunistische deutsche Diktatur waren besonders in der medialen Öffentlichkeit wesentlich von der Auseinandersetzung mit der Geheimpolizei Staatssicherheit und mit ihrem Spitzelheer der "Inoffiziellen Mitarbeiter" (IM) geprägt. Besondere Aufmerksamkeit galt hier immer den Prominenten unter diesen geheimen Zuträgern. Hier setzte Ilko-Sascha Kowalczuk mit seiner überaus berechtigten Forderung nach einem Paradigmenwechsel an.

Die Aufmerksamkeit muss künftig vor allem der Staatspartei SED gelten, deren “Schild und Schwert” die Staatssicherheit immer gewesen ist und das Ziel weiterer Forschungen sollte eine umfassende Gesellschaftsgeschichte der SED-Diktatur sein. Die Arbeit hieran hat schon begonnen und hier ordnet sich die bemerkenswerte Analyse Kowalczuks ein.

Vollkommen zu Recht führt er aus, dass die Geschichte einer Diktatur immer mehr ist als die ihrer Herrschafts- und Unterdrückungsapparate. Diese Erkenntnis hat sich in den letzten Jahren sowohl in der Forschung als auch in der Gestaltung von Ausstellungen zunehmend durchgesetzt. Zukunftsfähig wird die Auseinandersetzung mit totalitären Diktaturen nur sein, wenn alle anderen gesellschaftlichen und staatlichen Bereiche in die Betrachtung einbezogen werden.

Das kann der Autor in einem Buch über die Staatssicherheit nicht leisten, es bleibt jedoch sein Verdienst, auf die Breite des Verhaltensspektrums auch in einer Diktatur, auf Mittun und Gegenwehr, auf Anpassung und Widerstand, auf die Zwänge der Herrschenden und der Beherrschten hinzuweisen. Auch ist richtig, dass in der kommunistischen Diktatur die Menschen ihrer Individualität beraubt werden sollten und das alltägliche widerständige Verhalten ist ebenso zu wenig im Fokus von Forschung und öffentlicher Diskussion. Ob dagegen die Militarisierung der DDR die offenste und gefährlichste Form ideologischer Überwachung war, wird wohl noch diskutiert werden.

Wenn Kowalczuk Recht hat, dass die Forschung heute noch mit der Terminologie der Staatssicherheit arbeitet, dann ist dringend zu fragen, welche Bezeichnungen an ihre Stelle treten könnten. Unberührt davon bleibt, dass über Struktur und Arbeitsweise des Ministeriums für Staatssicherheit Wesentliches bekannt ist, dagegen erscheinen die von Kowalczuk angemahnte Genderforschung der Stasi oder die Zurückweisung der Auffassung, dass alle Telefone überwacht worden wären, marginal.

Auch ist es fraglich, ob an der Biographie einzelner Oppositioneller die sich ändernde Arbeitsweise der Staatssicherheit deutlich gemacht werden kann und ob der Blick auf die Osterberliner Humboldt-Universität wirklich wesentliche Aussagen zulässt.

Bestellen Sie dieses Buch versandkostenfrei im Online-Shop – gern auch als Geschenk verpackt.

Stasi konkret
Ilko-Sascha Kowalczuk, CH Beck Verlag 2013, 17,95 Euro

Stärken der Analyse bestehen dagegen in der Begründung der Brutalität der Führung der Geheimpolizei in deren Gewaltfixierung, in der Schilderung der Praxis in ihren Untersuchungshaftanstalten und der Zurückweisung der These, dass durch die Aufklärung der Arbeit der Auslandsspionage die Geschichte der Bundesrepublik neu geschrieben werden müsse. Angesichts all dieser Themen scheint die Reduzierung der Zahl der “Inoffiziellen Mitarbeiter” durch Kowalczuk nicht entscheidend bei der Beurteilung seiner Monographie. Auch wenn es in der Endphase der Diktatur nur ca. 110.000 dieser Spitzel gegeben haben sollte, nimmt das der kommunistischen Herrschaft in der DDR nicht ihre Brutalität. Natürlich soll und muss über die vom Autor verwendeten Zahlen diskutiert werden, doch wird dies nichts daran ändern, dass der IM in den Kontext von Gesellschaft und allgemeiner Denunziation zu rücken ist. Richtig ist auch, dass der Spitzel nicht als “Sündenbock” für alle Verbrechen und Vergehen der SED-Diktatur dienen darf.

Das Buch “Stasi konkret. Überwachung und Repression in der DDR” wurde am Freitag, 15. März, im Rahmen von “Leipzig liest” im Zeitgeschichtlichen Forum von Autor Ilko-Sascha Kowalczuk vorgestellt. Die Veranstaltung moderiert hat Rainer Eckert.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Redaktion über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar