Liebhaber des Leipzig-Krimis bleiben nicht unversorgt. Und wer 2012 schon Freude an dem ein oder anderen Krimi rund um die Thomaskirche hatte, bekommt jetzt einen Nachzügler, in dem Andreas Stammkötter gleich mehreren Leuten seine Referenz erweist. Einer heißt Arthur Conan Doyle, der Erfinder des modernen Detektivromans.

Letztes Jahr war ein kleines Jubiläum – es überschnitt sich mit “800 Jahre Thomana”: Die erste Sherlock Holmes Geschichte – “A Study in Scarlet” – war 125 Jahre zuvor erschienen. Mit Sherlock Holmes war die moderne Detektivgeschichte geboren. Und der Krimi mit seinen Kommissaren, Inspektoren und Privatermittlern, die unter den Augen der Leser die rätselhaftesten Kriminalfälle lösen, begann seine Karriere mit all ihren Neuerungen, die den Krimi mittlerweile zum Genre mit der intensivsten Sozialkritik gemacht haben.

Aber darum geht es in diesem Buch einmal nicht. Es geht – ganz wie bei Doyle – um ein paar sehr mysteriöse Vorgänge, die enträtselt werden müssen. Und wie in vielen Sherlock-Holmes-Geschichten steckt auch wirklich ein intellektuelles Rätsel dahinter. Was Stammkötters Kommissare Kroll und Wiggins (die irgendwie natürlich auch an das Gespann Holmes / Watson) erinnern, natürlich nicht ahnen. Wer ist schon so belesen, dass er die Sage vom Ritter Harras aus dem von Johann Georg Theodor Grässe 1855 herausgegebenen “Sagenschatz des Königreichs Sachsen” kennt? Wer weiß überhaupt, dass man in der Thomaskirche das Epitaph des Ritters Hermann von Harras finden kann – mitsamt der allegorischen Darstellung des Löwen, die von genau der Geschichte erzählt, um die es in diesem Buch geht: die Geschichte eines Kuckuckskindes?Es geht den Männern von heute genauso wie den oft so vielbeschäftigten Rittern des Mittelalters: Die Kinder, die ihre Frauen und Geliebten zur Welt bringen, sind manchmal nicht von ihnen. Der Gründe dafür gibt es viele. Der Komplikationen erst recht. Die einen gehen locker damit um, für die anderen wird es eine Dauerfehde vor Gericht.

Stammkötter legt unter das Rätsel, das in der von ihm zitierten Harras-Geschichte steckt, noch ein zweites Rätsel. Denn natürlich können auch die beiden cleveren Polizisten Kroll und Wiggins nicht wissen, welcher mutmaßliche Vater hinter der Rätselgeschichte steckt. Und ob es der richtige ist.

Dass es um so ein richtiges Holmes-Rätsel geht, das bekommen als erste zwei kluge Thomaner mit, die auf eigene Faust ermitteln, nachdem die ersten dramatischen Enthüllungen für Furore gesorgt haben – das Grab von Bach in der Thomaskirche wird aufgebrochen, eine Hand des Toten entwendet, dann sorgt eine Salmonellen-Vergiftung dafür, dass 15 Thomaner ins Krankenhaus kommen und die traditionellen Osterkonzerte gestrichen werden müssen. Stammkötter greift so richtig in die Vollen, auch wenn sein Thomaner-Krimi nun ein klein wenig nach den großen 800-Jahre-Feiern kommt. Aber das macht nichts. Es ist alles drin, was Liebhaber dieser Stadt, dieser Musik und dieses Komponisten mögen.

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Und auch das Moment der Angst spielt mit. Denn ein Vers aus der Harras-Sage droht am Ende auch noch mit dem Tod eines Kindes. Das bringt Kroll, Wiggins und Staatsanwalt Reis zum Rotieren, erst recht, als sie merken, dass auch die beiden Thomaner-Detektive keine Scheu kennen und sich in Gefahr begeben, den Ermittlern scheinbar immer einen Schritt voraus. So ein wenig liest sich das also auch wie “Emil und die Detektive”. Es ist ein Buch, in dem ein mittlerweile gestandener Krimi-Autor mal wieder das Spielerische am Krimi ausprobiert, mal auf das große blutige Drama verzichtet und dafür die Freude an den ganz feinen Verwicklungen auslebt.

Denn wie weit kann man so ein altes Rätselspiel treiben, wie verwirrend kann es werden, wenn sich auch die Sache mit den Kuckuckskindern noch einmal etwas verschlungener darstellt, als es eh schon schien?

Natürlich geht es auch wieder um Liebe. Geht es bei Leipziger Kommissaren zwangsläufig immer. Sie haben ja nun wirklich nicht den familienfreundlichsten Job. Da bleibt oft gar nicht die Zeit für die liebe gute alte Beziehungsarbeit und einer wie Kroll hat einfach Glück, wenn ihm bei seinen Ermittlungen eine beeindruckende Frau über den Weg läuft, die auch noch zufällig einen kräftigen Burschen an der Seite braucht, der sie gegen einen nervenden Stalker beschützt …

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Goldkehlchen
Andreas Stammkötter, Gmeiner Verlag 2013, 9,99 Euro

Und es ist nicht die einzige Liebesgeschichte. Die andere Liebesgeschichte, die dann zur Lösung des Rätsels gehört, eröffnet ein Motiv, das man auf diese Weise eher selten in der Literatur findet. Aber es hat natürlich auch wieder mit Bach zu tun und dem, was der große Thomaskantor in seine Kantaten und Oratorien hineinkomponiert hat. Ein Kleingeist war dieser Bach nie. Und das merkt jeder, der sich auf seine Musik einlässt. Und so beiläufig ist das ein recht munterer Diskussionsbeitrag zu einer bis heute aktuellen Debatte, die sich um die uralte und ewig neue Frage dreht: Was ist Liebe?

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