Wer fleißig sammelt, hat mit Peter Hellers Büchern über das alte Ägypten so langsam eine kleine Lehrbuchreihe zusammen: Alles, was man über Ägypten wissen kann. Dazu noch die Bücher, die sich kritisch mit der Entstehung von Judentum und Christentum auseinander setzen. Da entsteht ein Zeitenpanorama über den Nahen Osten. Und eine Quellenkritik an dem, was wir heute so für unsere Kulturwurzeln halten. Und Ägypten - das ist ja sowieso eine einzigartige Legende.

Auf jeden Fall ist es ein Beispiel dafür, wie sich ein Staatsgebilde über Jahrtausende entwickelt. Auch wenn wir über die Zeiten vor Beginn der großen Dynastien – ungefähr 5.500 bis 3.000 vor unserer Zeitrechnung – nicht viel wissen. Über die folgenden Jahrtausende wissen wir etwas mehr. Fast 3.000 Jahre existierte Ägypten als unabhängiges Reich, bevor insbesondere Griechen und Römer dafür sorgten, dass es erst zur Kolonie herabsank und dann später nur noch Provinz der diversen Osmanen-, Mameluken- und Araberreiche wurde. Was Gründe hat. Länder und Dynastien hängen aufs engste mit ihrer wirtschaftlichen Basis und dem Entwicklungsstand der Technik zusammen.

Was andere Autoren zum Thema Ägypten meist nur beiläufig erwähnen, stellt Heller ins Zentrum seines Buches: die Frage nach der militärischen Macht, die Ägypten zeitweilig zu einer Großmacht im Nahen Osten werden ließ und über Jahrtausende seine Souveränität garantierte.Die zeitweilig auch eine Unantastbarkeit war, denn das Land am Nil war in seiner Frühphase von allen vier Seiten praktisch unangreifbar – im Osten und im Westen verhinderten große Wüsten den Angriff durch größere Armeen, im Süden verhinderten die Nil-Katarakte, dass etwa Bootsflotten aus dem Lande “Kusch” nach Ägypten vordrangen. Im Norden verhinderten das Mittelmeer und das verzweigte Nil-Delta über lange Zeit einen möglichen Angriff zur See.

Andererseits zwang die Bewirtschaftung der Überflutungsflächen am Nil schon früh zu einer intensiven Arbeitsteilung mit einer straffen Hierarchie, die die Grundlage der ägyptischen Pharaonengesellschaft war. Auch wenn dieses Reich keine Bodenschätze besaß, war es ein reiches Land. Bis in die Römerzeit hinein war es die Kornkammer der Region. Erst mit dem Niedergang des Römischen Reiches ging auch dieses kluge System im Umgang mit dem Wasser des Nils verloren.

Ägypten ist auch ein gutes Lehrbeispiel dafür, was passiert, wenn man nachhaltiges Wirtschaften zerstört. Die Macht der Pharaonen baute auf den lebendigen Reichtum der jährlichen Nil-Überschwemmungen. Und so lange es über diesen Reichtum verfügte, war Ägypten auch – na hoppla – ein beliebtes Einwanderungsland. Unter anderen für jene Stämme, die wir später als Volk Israel in der Bibel wiederfinden. Aber auch für Phönizier, Griechen, Nubier. Ganze Teile ihrer Streitkräfte konnte Ägypten mit angeworbenen Söldnern aus den Nachbarländern besetzen.

Heller schildert die Entwicklung der ägyptischen Waffen von ihren ganz frühen archäologischen Nachweisen über ihre Darstellung auf den Wänden der Tempel und Gräber bis in die Zeit der großen Konfrontationen mit den neuen Großmächten Persien und Griechenland, als auf einmal ein Faktor zum Tragen kam, der militärische Technologieentwicklung bis in die Gegenwart bestimmt: Die Angreifer verfügten über die moderneren Ausrüstungen und Kampftechniken. Auch die Ägypter waren zeitweise im Besitz einer überlegenen Waffe – dem modifizierten Streitwagen, auf dem sich ganze Generationen von Pharaonen abbilden ließen, selbst dann, wenn sie keinen einzigen Feldzug siegreich bestritten haben.Heller geht auf die Zusammensetzung des Heeres und die nachweisbaren Karrieren einiger wichtiger Militärführer ein. Er beschreibt das dicht gestaffelte Festungssystem, das ab 1964 in den Fluten des Nasser-Stausees versank und – für einen Forscher natürlich tragisch – archäologisch nur rudimentär dokumentiert ist. Er geht auf die Kriegsgötter ein – die es in dieser Form eigentlich nicht gab. Er beschreibt die angreifenden Völker und ihre Feldherren. Er geht auch auf ein paar Besonderheiten der ägyptischen Waffentechnik ein – das sehr symbolische Sichelschwert etwa oder die Keule, mit der sich viele Pharaonen abbilden ließen. Er geht auf die Schiffe der Ägypter ein, die zwar durchaus mutige Landungsunternehmen wagten – aber nie wirklich eine Seestreitkraft wurden.

Das klingt alles sehr kriegerisch. Und einige Herrscher am Nil waren durchaus heftig in Kämpfe verwickelt – mal stand die Vereinigung von Ober- und Unterägypten im Mittelpunkt ihrer Politik, mal die Abwehrkriege gegen Nachbarvölker, darunter auch die damals schon rührigen Beduinenvölker. Aber man vergisst es so leicht: Es sind über 3.000 Jahre Geschichte, die hier durchflogen werden. 3.000 Jahre, in denen andernorts ganze Königreiche entstanden und wieder untergingen. In denen das Perserreich zur Großmacht wurde – und sich dann an den griechischem Stadtstaaten die Zähne ausbiss. Der Ausbruch des Santorin fällt in diese Zeit mit all seinen Folgen – bis hin zum Angriff der Seevölker auf Ägypten und dem Ende der alten kretischen und mykenischen Kultur und dem Aufstieg des Alexanderreiches und der Römer.

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Die Macht der Pharaonen
Peter W.F. Heller, Engelsdorfer Verlag 2013, 16,00 Euro

Es sind vor allem die archäologischen Forschungen der letzten 100 Jahre und die Entschlüsselung der ägyptischen Inschriften und Pergamente, die heute eine relative Fülle von Informationen auch über das Militärwesen der alten Ägypter bereitstellen. Vieles, was in den einschlägigen Sensationsgeschichten geheimnisvoll, fremd und mystisch wirkt, findet bei Heller eine verständliche und rationale Erklärung. Ein ausführlicher Literaturanhang zeigt, wo man mittlerweile über solche technischen Details aus der Ägypten-Forschung alles nachlesen kann. Und das nächste Buch von Heller ist da auch schon angekündigt. Da geht es dann um die ägyptische Justiz.

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