Wer die Fantasy-Regale der Buchläden kennt, weiß: Tatsächlich gibt es nur etwa ein Dutzend Originale. Der Rest der gestapelten und mit bunten Covern eingewickelten Titel sind Plagiate, unfreiwillige oder gewollte Parodien. Die ersten beiden Kategorien machen natürlich die Hauptmenge aus. Es gibt einfach zu viele Leser, die immer wieder dasselbe in der selben Art haben wollen. Auch und gerade vom "Herrn der Ringe".

Natürlich steht nicht Parodie unterm Titel. Aber Reizworte wie Saga, Chroniken, Magier, Nebel, Schatten, Elfen, Zwerge, Orks und Ähnliches sind wie Duftmarken. Die Suchenden finden. Und sie schrecken auch nicht vor den wirklich als Parodie ausgewiesenen Titeln zurück – und die zu den Büchern von J. R. R. Tolkien sind schon längst wieder eine eigene Welt. Und da die Vorlage so komplex ist, sind der Möglichkeiten viele. Mal werden die so oft nur als grausige Randfiguren geschilderten Statisten selbst zu Stars, dürfen Zwergen- und Orkskriege auskämpfen. Mal werden die sowieso schon seltsamen Landschaften und Handlungen verulkt. Und mal nimmt sich der Autor auch des gewählten Erzählstils an, der ja mittlerweile in Dutzenden Epen und Serien suppt und schwillt wie der Süße Brei, die Bücher zu Zentnerware aufbläht und beim Lesen Kopfbrummen verursacht.

Myk Jung, seines Zeichens studierter Anglist, Germanist und Politologe, Sänger einer Band und Redakteur, hat sich dieser Malaise angenommen. Das erste Mal in “Der Herr der Ohrringe”, in dem Frohdoof der Döskopp eine zentrale Rolle spielt. Und da sich die Zweit- und Drittverwerter des Tolkienschen Erbes nach dem “Herrn der Ringe” auch noch den “Hobbit” vorgenommen haben, hat sich Myk Jung den “Hobbknick” geschnappt. Auf den ersten Blick auch nur ein Spiel mit den Namen des Originals und den seltsamen Figuren. Hier ist jetzt Bilbord Beutelkinn der unfreiwillige Held der Geschichte, eines Tages heimgesucht von einem zerstreuten Zauberer namens Ganzhalb und einer Schar bunt bemützter Zwerge. Das Ganze ist eingebettet in eine Rahmenerzählung einer etwas gelangweilten Ohrringgesellschaft aus der Zeit des “Herrn der Ohrringe”, die nun ein lüttes Buch über die Vorgeschichte des ganzen Tohuwabohus von vor 80 Jahren vorgelesen bekommt – und eifrig dazwischenquatscht an den Stellen, an denen es den einen zu langweilig wird und den anderen zu aufregend.
Myk Jung gibt selber zu, ein eifriger Tolkien-Mehrfachleser zu sein. Aber das heißt ja nicht, dass man sich mit den seltsamen Logiken der Fantasy-Erzählungen abfinden muss. Und manche Stile sind wirklich nach der dritten, vierten Begegnung nicht mehr genießbar. Etwa all diese mit Pathos vorgetragenen Verweise auf ferne, graue Vergangenheiten, auf vierte, fünfte vormalige Zeitalter mit gewaltigen Schlachten und Königen, Zauberern, vergessenen Büchern, geheimnisvollen Ringen und anderem Tand. Am Ärgsten ist wohl der stets so raunend vorgetragene Verweis auf irgendwelche Schriften und Bücher, in denen alles stehen soll. Das Problem der Fantasy ist fast immer: Sie ist rückwärtsgewandt. Die Vergangenheit greift in die Gegenwart. Was dann auch all diese düsteren Szenarien ergibt. Und – zumindest für die etwas beleseneren Leser – auch das Wissen darum, wie sehr eigentlich das Tolkiensche Original auch schon Parodie ist. Eine ganz feine, kluge, eine, die zumindest gute Kenntnisse der europäischen Literatur voraussetzt. Denn wie beschreibt man am besten das Auftreten eines finsteren Führers, der ganze Armeen der Finsterlinge mit Argumenten aus der Klamottenkiste über die verdutzenden Nachbarländer schickt?

Diese Dimension fehlt natürlich in fast allem, was in jüngerer Zeit in Neuverarbeitung des “Herrn der Ringe” auf den Markt kam. Auch in der Verfilmung.

Bei Myk Jung geht es natürlich nicht in die Quellen Tolkiens. Dann hätte das Ganze gar nicht in ein 250-Seiten-Buch gepasst. Aber er beschäftigt sich mit den Erzählstilen, die mit Tolkien in der modernen Fantasy ihr feuchtfröhliches Comeback gefeiert haben. Sein Held ist ein eigentlich ganz braver Döskopp, der am liebsten pfeiferauchend vor seiner Höhle sitzt und mit den Weltereignissen jenseits der Hecke gar nichts zu tun haben will. Aber dann kommt Ganzhalb und bringt Leben in seine Hütte und schafft es, den Zug der Zwerge und des Hobbknicks zum Berg Erigor zu organisieren, wo das Ungeheuer Shnaub auf den gestohlenen Schätzen der Lendhenzwerge schnarcht. Dabei gibt es – wie bei jeder Queste seit nun 1.000 Jahren – allerlei Begegnungen mit sonderbaren Wald- und Wiesenbewohnern zu bestehen, die einen hässlich und böse, die andern dumm und hässlich, die nächsten böse und dumm usw. Wie gehabt. Da und dort darf man sich durchaus an die Monty Pythons erinnert fühlen, die wohl von diesem ganzen Gral-Gesuche genauso angenagt waren wie nun Myk Jung.

Die diversen Begegnungen erweisen sich als ein immer verschrobeneres Rätselraten, die Ungeheuer als gar nicht so schrecklich, die Landschaften zwar als finster, aber ebenso verschroben. Und wo in den einschlägigen Fantasy-Wälzern die diversen Weisen und sonstigen Wichtigkeiten mit raunender Geste auf die alten Schriften, Legenden und Verborgenen Geheimnisse verweisen, geht es bei Jung munter her über den Sinn und Unsinn der Schriften, die Kunst der Übersetzer, die leidigen Längen des Stoffe und was sonst noch so die Tücken so eines Epos ausmacht. Es ist ein Spiel mit den erzählerischen Mitteln, man kann aber auch die Erzählung mit ihren teilweise recht ironischen Lösungen für die ach so unheilschwangeren Probleme einfach so genießen, sich auf die kleinen nachdenklichen Seitensprünge der Helden einlassen, die irgendwie das sind, was die ganzen Krieger und Wanderer aus der ernsthaften Fantasy nie sind: modern anmutende Zeitgenossen, manchmal zerstreut, von Selbstzweifeln geplagt, ein bisschen eitel, ein bisschen feige, ein bisschen launisch.

Und da es den Ungeheuern genauso geht, geht diese Reise natürlich etwas anders vonstatten, kann man zwar Wagner-Musik drunterlegen oder eine dröhnende Metal-Oper, aber man wird bald merken, dass Musik und Text immer wieder hopplahopp völlig auseinander laufen. Für Leute, die die weihevollen Filme zum Thema lieben, vielleicht ein arg böser Spaß, für Leute, die schon das Parodistische bei Tolkien lieben, freilich noch ein kleines Schmankerl extra.

Was uns vor weiteren Fluten finsterer Schattenkrieger und auferstandener Finsterlinge zwar nicht bewahren wird. Aber es könnte auch ein kleines Aha-Erlebnis für für alle sein, denen die übliche Fantasy längst viel zu ernsthaft und von schwangerer Bedeutung überladen ist. Die auch gar vermuten, es könnte ein faules Spiel sein mit all diesen allmächtigen Saurons und ihren willigen Heerscharen. Denn irgendwas hat Tolkien ja zum Klingen gebracht in der westlichen Kultur. Eine Sehnsucht nach großen, epischen Unwissenheiten, einem kindlichen Glauben an das Walten undurchschaubarer Mächte, nach Drachen, Zauberern und Schwarzen Königen.

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Der Hobbknick
Myk Jung, Plöttner Verlag 2012, 14,90 Euro

Dumm nur, dass die wirklichen Menschen hienieden dagegen so klein und fehlbar wirken. Dösköppe eben, Hobbknicks.

Aber war Mittelerde denn nicht ernst gemeint? – Natürlich. Die Wahrheit steht immer in den uralten geheimen Annalen. Man muss nur wissen, wo sie verschollen sind.

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