Revisoren sind in der Literatur eher nicht so beliebte Zeitgenossen. Wenn sie auftauchen, wird es gefährlich. Dann kommen Schlamperei, Veruntreuung, Vetternwirtschaft und Betrug ans Licht. Da zittern ganze Lokalregierungen. Was ja trotzdem geniale Bücher über Revisoren ergab. Man denke nur an Gogols "Revisor". Oder die Revisoren in den Scheibenwelt-Büchern von Terry Pratchett. Dabei gab's selbst in Leipzig mal echte Revisoren. Bis 1990.

Wie wenig Bücher es freilich wirklich mit Revisoren in tragenden Rollen gibt, das zeigt schon eine einfache Suchanfrage im Büchertortal von Amazon. Gogol dominiert die Trefferliste natürlich, Terry Pratchett taucht auf. Und dann taucht schon bald dieses Buch auf, bei dem man nicht recht weiß – macht er sich jetzt lustig? Blättert der Autor, der natürlich im richtigen Leben nicht Klaus Richard Grün heißt, nun eine Skandalgeschichte aus der korrupten DDR auf? Wieder ein weiteres dröges Buch über die guten Seiten der DDR?

Ein schwieriges Feld. Das war dem Autor sehr wohl bewusst. Ausführlich erklärt er, warum er lieber kein Fachbuch schrieb, sondern die humorvolle Art des Berichtens wählte. Und warum er dennoch kritisch wird am Ende. Denn eins ist er tatsächlich: ein Revisor mit Leidenschaft. Und auf keinen Fall nur ein Rechnungsprüfer, wie der Job heute wieder heißt, seit die beiden Landesteile friedlich wiedervereinigt wurden und der Osten das schlamperte West-System übernahm.

Das ist jetzt wirklich so gemeint, wie es da steht. Und wer wissen will, wie tief der Frust bei einem Mann sitzt, der gelernt hat, dass mit dem Geld der Gesellschaft bis auf den Pfennig genau verantwortungsvoll umgegangen werden muss, der kann mit den letzten Seiten des Buches anfangen, in denen er schildert, worin sich das Rechnungsprüfungswesen der Bundesrepublik radikal von der Finanzrevision der DDR unterscheidet – und warum die entsprechenden Ämter in den Kommunalverwaltungen genauso zahnlose Tiger und “Diener ihrer Herren” sind wie die gut bezahlten Rechnungshöfe der Länder.

Die Rechnungshöfe produzieren zwar jedes Jahr dicke und tiefgründige Berichte, die auch zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung jedes Mal gewaltigen Medienwirbel verursachen – doch wenn es keine politische Instanz gibt, die einen Kritikpunkt aufgreift, dann verschwinden die Berichte so unbeachtet in der Ablage, als stünde kein Wort von Steuergeldverschwendung drin. Nur der Steuerzahlerbund zitiert dann in seinem Bericht jedes Jahr wieder mit Lust aus diesen Rechnungshofberichten, prangert Steuerverschwendung in Milliardenhöhe an. Und? Was passiert?
Nichts. Gar nichts. Die für die Verschwendung Verantwortlichen bleiben im Amt, diejenigen, die ihren Reibach gemacht haben, behalten das Geld, die Schuldenberge wachsen und die Bürger sind an dieser Stelle zu recht und dauerhaft frustriert. Und am Ende politikmüde, auch wenn sie beim nächsten Mal wieder auf einen Politiker hereinfallen, der ihnen märchenhafte Großprojekte auf ihre Kosten verspricht.

Grüns Vorteil ist: Er kann vergleichen. Er hat fast 20 Jahre lang bei der Staatlichen Finanzrevision / Inspektion Leipzig gearbeitet und rund 500 Revisionen durchgeführt – in Krankenhäusern, Altenheimen, Jugendclubs, Rathäusern, Bibliotheken, Gemeindeverwaltungen … Diese Zeit macht den größten Teil des Buches aus. Der Leser erfährt, wie Revisoren in der DDR arbeiteten, welche Vollmachten sie hatten und welche Rolle sie in einer Wirtschaft spielten, in der alles bis auf die letzte Fliese, Tasse und Handwerkerstunde verplant war. Die DRR war zwar eine Mangelwirtschaft – aber der Mangel zwang auch zum Haushalten. Und für jedes gesellschaftliche Ressort gab es bis auf den Pfennig pro Betreuungsplatz genau vorgegebene Zuweisungen. Mit den zugeteilten Geldern und Ressourcen mussten die Wirtschaftsleiter in den Einrichtungen auskommen. Und da alle Pläne und Vorgaben bekannt waren, wussten die Inspekteure schon vor Beginn ihrer nie vorher angekündigten Prüfung, worauf es zu achten galt, wo Abweichungen ein Alarmzeichen waren.

Nicht immer für Untreue, obwohl es auch die in der DDR gab. Denn wirklich viele Möglichkeiten auf reellem Wege reich zu werden, gab es nicht. Da versuchte mancher, sich über sein Amt etwas abzuzweigen. Doch wie eng diese Spielräume tatsächlich waren, schildert Grün recht ausführlich. Manchmal erzählt er auch die Folgen, wenn diese aus den wenigen überlieferten Akten noch ersichtlich sind. Denn augenscheinlich hat jemand das Kunststück fertiggebracht, einen Großteil der Akten der Finanzinspektion Leipzig vernichten zu lassen.

So muss Grün oft auf eigene Erinnerungen und Notizen zurückgreifen. Er hat aber auch zu ehemaligen Kolleginnen und Kollegen Kontakt aufgenommen. Gerade bei den spektakulären Fällen wollte er doch lieber sicher gehen. Aber was war spektakulär? – Am Ende stellt sich heraus, dass Fälle von Unterschlagungen in einer Größenordnung von über 15.000 Mark für DDR-Verhältnisse schon eine Sensation waren. Kein Vergleich mit den Fällen von Untreue, mit denen sich allein die Stadt Leipzig in den letzten Jahren herumschlagen musste.

Grün ist nach der “Wende” als Rechnungsprüfer, wie das heute heißt, in den Dienst der Stadt Leipzig getreten. Er weiß also, dass diese Untreue-Fälle nicht aus heiterem Himmel kamen. Auch wenn er keine konkreten Fälle und Namen für die Zeit benennt. Aber die rechtlichen Rahmenbedingungen ermöglichen auch schon im Kleinen einige Tricksereien, die den Steuerzahler nicht nur eben mal 200 oder 2.000 Mark kosteten, sondern ein paar hunderttausend DM, wie in der Raubritterzeit Anfang der 1990er Jahre. Da werden ein paar zusätzliche Leistungen mit in die Rechnung geschrieben, wird die Leistungsklasse ein bisschen nach oben getrickst, gibt’s auch mal Beraterhonorar für Beratungen, die nie stattgefunden haben.

Da wird der Unterschied zur Finanzrevision in der DDR deutlich: Die meldete ihre Befunde nicht nur an die Leitung der geprüften Einrichtung – die dann selbst tätig werden konnte, wenn es zu Unregelmäßigkeiten gekommen war. Unterschlagung war auch in der DDR ein Kriminaldelikt – da wurde dann die Staatsanwaltschaft tätig. Und für einige Ertappte wurde der Versuch, auch nur ein paar tausend Mark aufs eigene Konto zu schaffen, zu einer langjährigen Gefängnisstrafe.

Grün erzählt so, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Manchmal bunt drauflos. Da findet man kesse Sprichworte aus dem Büroalltag, freche Revisorenlieder, viele Anekdoten aus dem zuweilen sehr irdischen Leben eines Revisors zwischen Schweineställen, Bürgermeisterbüros und selbst beheizten Archivkammern. Er lässt auch die Begegnungen nicht aus, bei denen “höhere Instanzen” eingriffen und die Fälle an sich rissen. In einigen Fällen scheinen die ertappten Betrüger direkt für die Stasi gearbeitet zu haben. Was Grün sogar auf den Antiquitätenhandel der DDR zu sprechen kommen lässt, den er natürlich auch prüfte. Nur der Name Schalck-Golodkowski kam ihm da nicht unter – der Mann wurde tatsächlich erst mit der “Wende” berühmt.

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Finanzrevisor Pfiffig aus der DDR
Klaus Richard Grün, Engelsdorfer Verlag 2012, 22,00 Euro

Grün könnte sich durchaus vorstellen, dass sich der Freistaat Sachsen selbst eine echte Finanzrevision zulegt. Die nicht nur ein paar schöne Berichte schreibt, sondern in nachgewiesenen Betrugsfällen auch handeln darf. Die andererseits auch nicht der jeweiligen Regierung unterstellt ist, sondern unabhängig. Denn wer prüft sonst die Regierung?

Ein Buch, in dem unübersehbar zwei Welten zusammenkommen. Und man versteht ihn ja, diesen Finanzrevisor Pfiffig, dass er auch den heutigen Ganoven gern das Handwerk legen würde, ihnen mit der Unschuldsmiene des treuen Prüfers nachweisen würde, wo sie sich unrechtmäßig an den Steuergeldern vergriffen haben. Und wo ihnen Behördenmitarbeiter dabei auch noch geholfen haben.

Und dann wäre ein jährlicher Revisionsbericht der Stadt Leipzig richtig spannend.

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