Lästern kann er. Das hat er mit seinem Lästrikon bewiesen. Studiert hat er auch. Auch seinen Dr. sc. phil. hat er - noch aus Zeiten, als das mit copy + paste nicht zu bewerkstelligen war. Und er liest. Immer noch. Was bei Doktoren neueren Kalibers nicht mehr so das Übliche ist. Erst recht nicht, wenn es um antike Schwergewichte geht wie die "Illias" und die "Odyssee".

Reinhard Lochner, 1947 geboren, hat sie noch im Buchregal stehen, wie sich das gehört für einen gebildeten Menschen. Gleich neben Gustav Schwab (“Die schönsten Sagen des klassischen Altertums”), Karl Philipp Moritz und Apollodor. Man muss schon wissen, wovon man redet, wenn man bissig werden will. Das war mal hohe Schule in Deutschland, als es noch humanistische Gymnasien gab und die Griechen und Lateiner zum Basis-Lehrstoff gehörten. Mittlerweile ist das fast alles freiwillig. Was kein Grund ist, sich die Zeit nicht zu nehmen dafür. Man kommt auf Gedanken.

Und Lochner ist einer, der sich Manches denkt. Denn die Fabeln sind alt – 2.500, 3.000 Jahre. Da hat die Menschheit zwar nicht allzu viel dazu gelernt. Aber ein paar Dinge sieht man dabei doch schon aus etwas kritischerer Distanz. Etwa die Sache mit Helena und dem irrsinnigen zehnjährigen Krieg gegen Troja, bloß um die entführte Helena wiederzubekommen.Was Lochner natürlich dazu animiert, darüber nachzudenken, warum die schöne Helena eigentlich mit dem jungen Paris von Sparta entwich. Und warum das für den alten Menelaos ein guter Vorwand war, einen Krieg anzuzetteln. Und warum Kriege eigentlich immer einen derart lächerlichen Vorwand haben. Bis heute.

Lochner ist ein Pazifist. Ein ausgekochter und kämpferischer. Er hat seine “Illias” trotzdem gelesen, die bei aller Schönheit der Verse eben doch nichts anderes ist, als die versereiche Beschreibung von “exzessiven Orgien barbarischer Greueltaten”. Lochner packt seine Gedanken zum Gelesenen in kleine Glossen, die meisten gerade eine halbe Seite lang. Was eine Kunst ist.

Da muss man dann schon einen Punkt setzen können, manchmal eine kleine Pointe. Manchmal ist es eine simple, aber wahre Feststellung: Homer hat den trojanischen Krieg in Einzelteilen beschrieben – wie ein Botaniker eine Blüte.

Was natürlich die Helden in den Mittelpunkt rückt, die sich – wenn man die Szenen so betrachtet – alle seltsam benehmen. Angefangen vom großen Ajax (Aias), der sich von Odysseus austricksen lässt. Den Odysseus hat Lochner gefressen. Der kommt bei ihm nicht gut weg, dieser Lügenbold und Schönredner und Trickser, Urbild für so manchen heutigen Politiker. Man kommt wirklich zum Nachdenken bei diesen alten Kamellen, nicht nur über die Tatsache, dass zu Homers Zeiten die Demokratie augenscheinlich noch nicht erfunden war. Sondern auch darüber, dass die Demokratie keineswegs vor den Schönschwätzern und Lügenbolden schützt.

Gerade im zweiten Teil des Buches kommt Lochner immer wieder auf seine ganz modernen Erfahrungen mit den Schimären Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Demokratie zu sprechen. Mal im Zusammenhang mit den diversen Heldentaten des Zeus, mal bei den Abenteuern des Herakles (der ja bekanntlich den gewaltigen vernachlässigten Viehstall des Augias ausmisten musste).Zu den Helden der “Illias” gehören – man hat’s ja glatt vergessen – neben Odysseus noch eine ganze Reihe anderer Akteure, die überhaupt keine Lust hatten, mit Menelaos gen Troja zu ziehen, sich versteckten, verweigerten und verstellten. Lochner findet sie – und erzählt bissig, wie sie geradezu moralisch dazu gepresst werden. Auch zu Homers Zeiten kannte man die verlogenen Spiele der “Koalition der Willigen”. Man staunt schon, wie die alten Mechanismen auch heute noch so billig funktionieren. Die “Illias” als geniale Studie: Wie zettele ich einen Krieg an und sorge dafür, dass jeder, der nicht mitmacht, sich schämt …

Lochners Glossen allein würden schon ein handliches Büchlein zum Nachdenken füllen. Sven Lychatz, der Verleger, hat das Ganze noch bereichert durch farbige Aufnahmen griechischer Ruinen, meist im Detail zu sehen, so dass die alte Kunst der antiken Handwerker sichtbarer wird. Man kann also auch mit den Augen durch diese antiken Landschaften wandern, in denen einst die homerischen Epen erzählt wurden und die Götteranekdoten lebendig waren. In den oft skurrilen Geschichten von den Göttern spiegelten die alten Griechen ihr eigenes Leben. Warum sollte das heute nicht anders sein? – Die Midase und Bellerophontese leben unter uns. Manchmal kommt ein hilfreicher Herakles vorbei, aber häufiger noch ein Zeus, der nach der Begattung der gutgläubigen Europa natürlich sein Wort nicht hält.

Fabel um Fabel, Glosse um Glosse fühlt man sich an die gute alte Gegenwart erinnert, wo die Götter tricksen, täuschen, lügen und betrügen, wo Fama regiert und den Ungeheuern immer neue Köpfe nachwachsen.

Sein Buch “Die ewige Helena. Der Fluch der Frühen Geburt”, stellt Reinhard Lochner am 17. Januar um 19.30 Uhr im Wirtshaus “Seenswert”, Albersdorfer Straße 25, 04420 Markranstädt / Göhrenz, vor. Kann man sich ja schon mal vormerken.

“Die ewige Helena”, Reinhard Lochner, Lychatz Verlag 2012, 19,95 Euro

www.lychatz.com

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