Nicht nur Wagner und Völkerschlacht dürfen 2013 mit Jubiläumsfeiern gewürdigt werden. Es gibt noch ein paar Jubiläen, die genauso symbolträchtig sind. So kann auch die Peterskirche 2013 auf das 800. Jahr ihrer Ersterwähnung zurückblicken. Dass sie noch wesentlich älter ist, ist sicher. Aber da wabert der Nebel der Geschichte. Und die gute Frage: Hatte jenes Leipzig, in dem 1015 Bischof Eid starb, eine Kirche?
Und wenn ja: Wo stand sie? Oder war es zumindest eine Kapelle? Und wie hieß sie? Oder war jene Kirche, die Kaiser Heinrich II. 1017 dem Bischof von Merseburg in “urbe libzi” zugestand, die erste Kirche in Leipzig? Und auch hier ist die Frage: Wo stand sie?
Das Buch, das der Historiker Jens Trombke zum 800. Jubiläum der Ersterwähnung der Peterskirche zusammengestellt hat, weiß darauf natürlich auch keine Antwort, auch wenn er zur “Gründung von St. Petri – Realität und Mythos im Mittelalter” ein ganzes Kapitel geschrieben hat. Doch schon der Blick auf die Quellen zeigt: Ein Autor baut seine Vermutungen auf die Vermutungen seiner Vorgänger. Jeder malte sich das Bild der entstehenden Stadt so, wie es ihm vorstellbar war. Manches sicher als Arbeitshypothese belastbar. Aber mehr ist es auch nicht – bis man Beweise oder wenigstens belastbare Indizien dafür gefunden hat.
Es bleibt auch 2012 dabei: Nix genaues weiß man nicht. Erst 1213 wird die Kapelle des Heiligen Petrus fassbar – sie taucht in der Stiftungsurkunde des Markgrafen Dietrich auf, der 1212 das Thomaskloster stiftete und dafür die Bestätigung durch Kaiser Otto IV. bekam. Ein Jahr später bestätigte er dann noch genau, was alles zu seiner Stiftung gehörte. So wie auch die “capella beati petri”. Welche Rolle sie vorher in der entstehenden Stadt spielte, darüber können auch die Historiker nur spekulieren. Einige vermuteten ihren Standort als Missionskirche sogar deutlich vor den Toren der Stadt – ungefähr da, wo heute der Wilhelm-Leuschner-Platz ist.Im Mittelalter jedenfalls war ihr Standort am Peterskirchhof, Ecke Petersstraße. Sie war als Kapelle ausgewiesen – so wie die Katharinen-, die Marien- und die Rathauskapelle. Die letzteren verschwanden spurlos (nur die Katharinenstraße erinnert noch an eine der Kapellen), die Peterskapelle wurde wohl auch weiter als Armen- bzw. Unterrichtskirche genutzt, zeitweise wohl auch als Kalkerei, so dass ein Gottesdienst schwedischer Truppen im 30jährigen Krieg der erste Gottesdienst nach über 100 Jahre in dem kleinen Gotteshaus direkt an der südlichen Stadtmauer war. Möglich, dass die Lage an der Stadtmauer und damit die militärische Bedeutung des Bauwerks die Kirche vor ihrem Abbruch bewahrte.
1712 wurde sie sogar aufgewertet und zu einem Kleinod barocker Baukunst umgebaut. Dieses Bild ist in einigen älteren Stadtansichten erhalten. Wie sie funktionierte, welche Ämter es gab und was sie für Kosten verursachte, das belegen zum Teil sogar alte Ratsakten. Auch über einige bedeutende Geistliche, die hier zeitweilig wirkten, weiß man so einiges. Fünf von ihnen porträtiert Trombke – von Johann Friedrich Bahrdt, der später sogar Superintendent von Leipzig wurde, bis zu seinem Sohn Karl Friedrich Bahrdt, der so etwas war wie das enfant terrible der Kirche seiner Zeit, der versuchte, die Gedanken der Aufklärung mit einer aufgeklärten Theologie zu verbinden.Was ihn zu einem wichtigen Akteur in der großen Aufklärungsdiskussion der Zeit machte – und ihm trotzdem an allen seinen Wirkungsstätten Ärger verschaffte. Denn überall traf er auf eine orthodoxe Geistlichkeit, die ihre Bollwerke verteidigte und auch keine Scheu davor hatte, den unbequemen jungen Theologen zu verleumden. Zum Schluss landete er im preußischen Halle. Preußen galt unter Friedrich II. auch in Fragen des Glaubens als tolerantes Land. Aber es ist wie bei den blutigen Revolutionen auch bei den geistigen Revolutionen: Nach jedem hart errungenen Fortschritt gibt es einen Rückfall in zuweilen finstere Zustände – in Preußen kam Friedrich Wilhelm II. an die Macht, der Mystizismus und Dunkelmännertum Vorschub leistete.
Auffällig in dieser Porträtgalerie ist auch Johann Gottfried Körner, später ebenfalls Superintendent und damit einer der Honoratioren von Leipzig. Den Leipzigern viel besser bekannt ist sein Sohn Christian Gottfried Körner, der sich als Verleger einen Namen machte und als großer Gesprächspartner der deutschen Klassiker. Er und sein Freundeskreis waren es, die Schiller 1785 nach Leipzig – und später nach Dresden – holten. Zu diesem Freundeskreis gehörten auch Minna und Dora Stock, Töchter des Kupferstechers Johann Michael Stock. Genau in jenem Sommer, als Schiller in Leipzig und Gohlis ein paar seiner schönsten Monate erlebte, heiratete Körner Minna Stock – und verkrachte sich damit fürchterlich mit seinem Vater.
Was dann der Grund dafür war, dass Christian Gottfried Körner lieber in den Dresdner Staatsdienst ging, als in Leipzig zu bleiben. Und noch ein Körner ist berühmt geworden: der Enkel von Johann Gottfried und Sohn von Christian Gottfried – Theodor Körner, der dann 1813 als Schillscher Husar nach Leipzig kam und hier seine “Wilde, verwegene Jagd” schrieb.
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Das Porträt von Gustav Adolf Fricke und das zur deutsch-katholischen Gemeinde führen den Leser in die Religionskämpfe des 19. Jahrhunderts, die immer auch politische Kämpfe waren. Eher nur beiläufig behandelt Trombke dann den Bau der neuen Peterskirche 1882/1885 auf dem Schletterplatz, den man kürzlich erst in Gaudigplatz umbenannte. Die alte, barocke Peterskirche wurde abgerissen – an ihrer Stelle entstand 1886/1888 das Gebäude der Reichsbank, in dem heute die Musikschule untergebracht ist.
Die Zeit ab 1876 berührt Trombke eigentlich nur mit zwei Kapiteln, die auf zwei seiner Vorarbeiten von 2007 und 2008 zurückgehen: einen Text zu den jüdischen Konvertiten in der Petersgemeinde zwischen 1876 und 1945 und die Kirchgemeinde St. Petri zwischen 1918 und 1945. Im letzteren Kapitel kommt der Konflikt zwischen den so genannten Deutschen Christen, dem Pfarrernotbund und der Bekenntnisgemeinde in der NS-Zeit ins Bild, immerhin ein Konflikt, in dem sich auch stockkonservative Pfarrer beharrlich und mit Berufung auf die Heilige Schrift gegen die Gleichschaltung der Kirche wehrten.
Das Kapitel reicht dann bis zur Entnazifizierung. Die Zeit danach bleibt vorerst unbeleuchtet. Beim größten Teil seines Buches zum St.- Petri-Jubiläum konnte Trombke auf eigene Vorarbeiten zurückgreifen. Aber große Puzzle-Teile fehlen noch. Was zumindest auch sichtbar macht, wie sehr die dritte wichtige Kirche Leipzigs auch in jüngerer Vergangenheit im Schatten ihrer berühmten Schwestern St. Thomas und St. Nikolai stand.
Jens Trombke “St. Petri Leipzig. Zur Geschichte der Leipziger Peterskirche und ihrer Gemeinde”, Sax Verlag, Beucha und Markkleeberg 2012, 18 Euro
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