Wie nennt man das dann, wenn jetzt all die Bücher und Lebensgeschichten erscheinen, die in einem verschollenen Land namens DDR so nie erschienen wären? Die Neue Andere Bibliothek? Es sind Puzzle-Stücke einer anderen Gesellschaft, die so nie Wirklichkeit wurde. Auch das Lebenswerk Axel Bertrams gehört dazu. Herausgegeben hat das Buch sein Sohn Mathias Bertram, Buchgestalter und der Chef fürs Layout im Lehmstedt Verlag.

Das Gespür für den klaren, überzeugenden Satz und die leserfreundliche Buchgestaltung hat er von seinem Vater. Vielleicht ist es nicht einmal ein Gespür, sondern ein Maßstab. Wer sein Handwerk ernst nimmt, entwickelt ziemlich früh hohe und streng Maßstäbe. Und hält sich dran. Und es sind nicht irgendwelche beliebigen Maßstäbe, die sich eine Mannschaft ergrauter Funktionäre ausgedacht hat. Es sind die menschlichen Maßstäbe. Und es ist der Wille, ein gutes Produkt abzuliefern – und dabei selbst auf den vermeintlich so wichtigen Ruhm der Gegenwart zu verzichten.

Axel Bertram ist so einer. Bei Mohr und Klemke hat er studiert. Er wollte Gebrauchsgrafiker werden und gehört zu einer Handvoll anspruchsvoller Grafiker, die in den engen Spielräumen der DDR ihre Möglichkeiten austesteten und versuchten, das überall propagierte “Neue” auch mit neuen Bild- und Formlösungen zu untersetzen.

Das Buch versammelt exemplarische Arbeiten aus seinem Schaffen – und das umfasst die ganze Spannbreite vom Plakat über die Cover-Gestaltung von Büchern, die Gestaltung von Briefmarken, Zeitschriften- und Zeitungslayouts bis hin zum Design neuer Münzen und Geldscheine. Ältere Ostdeutsche hatten sie alle in der Hand, die beiden Geldstücke, die Bertram in klassischer Schönheit entwarf – und die bis zuletzt nicht zum biederen Design der übrigen Alu-Münzen passten: das 20-Pfennig und das 5-Mark-Stück.
Jedem Arbeitsfeld ist ein eigenes Kapitel gewidmet, in dem die Entwürfe und bildlichen Arbeitsergebnisse die Hautrolle spielen, kurz erläutert mit Entstehungsjahr und Inhalt. In etwas ausführlicheren Kapiteleinführungen beleuchtet Mathias Bertram das Arbeitsfeld, die Erfolge und die ausgebremsten Projekte. Denn auch Axel Bertram, der immerhin einer der gefragtesten Gebrauchsgrafiker der DDR war, konnte erleben, wie die Funktionäre und Entscheidungsetagen immer da, wo auf einmal ein kreativer und selbstbewusster Umgang mit dem Ideenrepertoire des Arbeiter- und Bauern-Staates sichtbar wurde, kniffen, Zustimmung verweigerten, bremsten.

Wo sie es nicht taten, weil gerade einmal wieder Tauwetter herrschte oder ein paar klügere Köpfe und Modernisierer ein bisschen mitzureden hatten, erlebten das auch die DDR-Bürger als Aha-Effekt. Etwa bei all den Magazinen und Zeitungen, die Bertram neu gestalten durfte. Angefangen bei der Sibylle und der NBI, die genauso wie die Wochenpost zu den beliebtesten Publikationen im Land gehörten. Und gerade der Wochenpost konnte Bertram in den 1970er Jahren ein neues, modernes Outfit verpassen. Andere Entwurfsprojekte wurden eingestampft, weil die Genossen an der Spitze im letzten Moment das Fracksausen bekamen – so beim 1963 geplanten Herrenmagazin “Profil” und 1964 beim geplanten Polit-Magazin “Profil”. Hier wird schon die selbe Angst vor fundierter Berichterstattung sichtbar, wie sie 1988 zum panischen Sputnik-Verbot führte.

Fast könnte man den Eindruck bekommen: Die Genossen Funktionäre hatten vor dem, was aus ihrem eigenen Nachwuchs an Anspruch und Veränderungswille kam, mehr Angst als vor dem alleweil beschworenen Klassenfeind im Westen.

Kleiner Witz der Geschichte: Auch das “Neue Deutschland” durfte Bertram mal überarbeiten. Aber das war erst nach der “Wende”. Wobei selbst dieses Wörtchen bei Bertram auftaucht: Als Hintergrundmotiv für eine Blattserie “Wendemanöver”. Da werden Schiffe versenkt oder die widersprüchlichen Anweisungen Luv und Lee tickern über die ganze Bildfläche. Was Egon Krenz, als er im Herbst 1989 auf einmal von einer eingeleiteten “Wende” redete, wohl so nicht gemeint hat. Aber herausgekommen ist augenscheinlich etwas in dieser Art.

Man findet viele Beispiele in dieser Werkschau, in denen sich Bertram intensiv mit Typographie und eigenen, selbst entwickelten Schriften beschäftigt. Selbst fürs Fernsehen der DDR hat er eine eigene Schrift entwickelt – die aber augenscheinlich selbst von den Fernseh-Leuten eifrig sabotiert wurde. Die funktionalen Gegner einer Modernisierung des immer mehr erstarrenden Landes saßen augenscheinlich überall.

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Axel Bertram
Mathias Bertram, Lehmstedt Verlag 2012, 39,90 Euro

In einem ausführlichen Vorwort versucht Mathias Bertram, das Leben und Schaffen von Axel Bertram in den Koordinaten seiner Zeit und seiner vielfältigen Interessen zu verorten. Was natürlich nicht einfach alles abbricht mit der “Wende”. Ausstellungen und Kataloge aus den letzten Jahren brachten Bertrams Arbeiten auch immer wieder der Öffentlichkeit zu Gesicht. Und das 2004 bei Faber & Faber erschienene “Wohltemperierte Alphabet” brachte den interessierten Lesern nicht nur Bertrams Sicht auf die Kulturgeschichte der Schrift nahe, sondern auch seine kenntnisreiche und vielseitige Arbeitsweise. Der geplante Folgeband “Zeichensprache” sucht noch einen Verlag.

Mit diesem – von mehreren Institutionen geförderten Band – wird das Lebenswerk Axel Bertrams erstmals recht umfassend und sehr anschaulich gesammelt. Der Leser und Betrachter taucht in die Arbeitswelt eines Mannes ein, der immer den Gebrauchswert und die menschliche Perspektive der Betrachter zum Maß seiner Arbeit gemacht hat. Ein schönes Buch und ein sinnliches Buch, das keineswegs überraschend auch noch sehr modern wirkt. So modern, wie jedes gute Design.

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