Sie sind beliebt, die Kalender über das alte Leipzig. Beliebt auch, weil man immer was draus lernt. Über die eigene Stadt und ihre Veränderungen zum Beispiel. Und die gute Frage: Was unterscheidet eigentlich Höfe von Passagen? In diesem von Wolfgang Hocquél zusammengestellten Kalender sieht man's.

Er baut auf seinem ebenfalls im Sax Verlag erschienenen Buch “Die Leipziger Passagen und Höfe” auf. Nur verschiebt er im Kalender den Schwerpunkt – weg von den Passagen, stärker hin zu den Höfen. Denn mittlerweile sind zwar einige der berühmten Leipziger Passagen saniert und heftig in Betrieb, andere neu hinzugekommen. Etliche von ihnen haben ja einen Ursprung als Durchgangshof. Wenn man das weiß, ahnt man, wie viele Durchgänge heute fehlen, wo Lücken klaffen oder einfach gusseiserne Tore den Weg versperren. Praktisch zeugt derzeit nur Barthels Hof von der großen Tradition dieser Höfe, durch die die Messetransporte einst einfach hindurchrollen konnten. Die Waren wurden ausgeladen und auf Lager gehievt. Am anderen Ende fuhr das Pferdegespann wieder raus.

Aber nicht nur dazu dienten diese Höfe quer durchs Quartier. Sie bargen auch hunderte kleiner Läden und Werkstätten. Hintergebäude bargen meist gleich mehrere Handelskontore. Das wirtschaftliche Leben spielte sich in diesen Höfen ab. Und das noch bis in die Zeit der beginnenden Fotografie hinein. Einige dieser einst berühmten Höfe – wie Kochs Hof oder Deutrichs Hof – verschwanden im Bombenhagel des 2. Weltkrieges. Manche dieser Durchgänge – wie Kochs Hof – waren sogar Doppelhöfe. Das eindrucksvolle Foto eines unbekannten Fotografen von 1933 zeigt die Auslagen des Korbwarengeschäfts Weißflog. Aber über den Körbestapeln drängeln sich die Firmenschilder – der Buchantiquar Kießler hat hier seine Niederlassung, der Blumenhändler Böhm, der Goldschmied Röding …
Es war eigentlich nicht anders als heute. Nur verbergen sich heutige Unternehmen meist dezent hinter einer genormten Klingelleiste und einer nüchternen Haustafel im Treppenhaus. Und die Handwerker sind natürlich aus der Innenstadt verschwunden. Für sie wären die Ladenmieten heute unerschwinglich. Was natürlich auch zu denken gibt. Was ist da falsch gelaufen zwischen der keineswegs konfliktfreien Zeit der 1920er Jahren, als sich auch kleine Gewerbetreibende noch Werkstattraum in der Innenstadt leisten konnten, und dem Jahr 2012, in dem große Fonds und Immobiliengesellschaften die Ladenflächen in Tausenderpaketen verwalten und vermieten?

Und wenn investiert wird, dann in gigantischen Dimensionen wie bei den “Höfen am Brühl”, die zwar so heißen, mit den alten Höfen aber nichts mehr zu tun haben. Es sind auch keine Passagen mehr, die sich dem Durchgangsverkehr wirklich öffnen. Im Kalender ist der Plauensche Hof abgebildet, der bis zum 2. Weltkrieg da stand, wo die Plauensche Straße vom Brühl Richtung Ring abzweigte. Auch er barg eine Passage in sich – mit erhöhter Glaskuppel in der Mitte.

Ein ganz aktuelles Bauprojekt wird gleich auf dem Februarblatt thematisiert: die 1837 erbaute “Tuchhalle” – auch sie ein Bombenopfer. Der dreieckige Innenhof hatte glasüberdachte Erdgeschossläden, wie Wolfgang Hocquél anmerkt. Hier wird in nächster Zeit das neue Kaufhaus “Hainspitze” entstehen.

Ein Blick noch schnell in Auerbachs Hof – kurz vor dem Abriss und dem Bau der Mädlerpassage, 1910 von Hermann Walter fotografiert. Hohmanns Hof, Krafts Hof, Stieglitzens Hof, Aeckerleins Hof … Die Vielzahl der Namen lässt ahnen, was da im 20. Jahrhundert alles aus der Wahrnehmung verschwunden ist. Einige dieser Höfe waren durchaus auch eng – nichts für Menschen, die Luft und Licht um sich brauchen. Jeder aber war wie eine kleine Straße – mit Straßenlaternen, Pflasterung und neugierigen Leuten, die rechts und links aus den Türen kommen, wenn der Fotograf seine Apparatur aufbaut.

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Leipzigs alte Höfe & Passagen
Wolfgang Hocquél, Sax-Verlag 2012, 16,00 Euro

Das Finale macht im Dezember die Theaterpassage, die älteste Leipziger Passage überhaupt, 1872 gebaut – mit dem heutigen Durchgang, der den Namen Theaterpassage trägt, hat sie nur den Namen gemeinsam. Das alte Flair sucht man hier vergeblich.

Die Rückseite des Kalenders präsentiert noch einmal alle Passagen und Höfe, wie sie auf einem historischen Stadtplan noch darstellbar sind. Wolfgang Hocquél kommt auf 45 Stück. Vielleicht finden sich ja doch auch wieder Investoren, die bei der Rückgewinnung der Innenstädte wieder neu denken, nicht mehr in den gigantischen Dimensionen von “Centern”, die auch wieder Phantasie entfaltet, wie die alten Durchgangshöfe revitalisiert werden können. Denn die aktuelle Leipziger Wirtschaft ist genauso kleinteilig wie die des 19. Jahrhunderts und wäre, wenn sie es sich leisten könnte, in der Innenstadt deutlich präsenter. Immer nur auf Shopping zu setzen, weil den Investoren nichts Besseres einfällt, ist garantiert der falsche Weg zu einer nachhaltig belebten Innenstadt.

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