In welchem Format hätten Sie es gern? - Ist ja nicht so, dass jeder in seiner Wohnung genug Platz hat für große Bücher. Auch wenn sie eine große Küche beinhalten wie Dagmar Schäfers "Reisen durch die Küchen von Sachsen". Manche haben nur Platz für einen Buchzwerg wie "Saxon Cooking". Aber was, wenn man seine Brille verlegt hat? - Da macht sich das Midi-Format gut: quadratisch, lecker. Fast 100 Rezepte.
Sachsen ist das Land der vielen Küchen. Das stellt jeder fest, der sich einmal einlässt auf diese Landschaft. Man kann ganze kulinarische Weltreisen organisieren und am Ende doch nicht durch sein. Mit der Küchenvielfalt zumindest. Die auch eine Vielfalt der Kulturen ist. Das hat man auf Regierungsebene noch längst nicht begriffen. Anderswo erst recht nicht. Da ist Sächsisch alles eine Suppe, werden die Sorben, Vogtländer, Meißner und Osterländer einfach in einen Topf geschmissen, gemeinsam gekocht und das Ergebnis ist ein ungenießbarer Brei.
Nicht nur die scharfen Grenzen des Idioms zerteilen das einstige Kurfürstentum, das sich ab 1918 Freistaat nannte. Landschaften und unterschiedlichste Zuwanderergruppen und die stolzen Reste der einstigen sorbischen Bevölkerung haben einen Reichtum der Küchen und Charaktere hervorgebracht, der eigentlich nur erfahrbar wird, wenn man sich wirklich ins Detail begibt.Was tun, wenn man den Lesern doch wenigstens einen Eindruck verschaffen will vom kulinarischen Reichtum Sachsens? – Man eilt durch die Länder, greift sich das Markante, Unverwechselbare, Besondere. Viele der von Ute Scheffler ausgewählten Rezepte haben die sächsischen Besonderheiten schon im Namen – vom Borsdorfer Apfelsalat bis zur Bornaer Zwiebelsuppe und die Sächsische Warmbiersuppe und immer so weiter. Es tauchen auch all jene seltsamen Tiere auf, die man aus den sächsischen Küchen kennt oder auch nicht kennt: der Mutzbraten, das Neunerlei, Spälkle, Getzen und Grüne Klöße aus dem Vogtland.
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Natürlich ist auch das Leipziger Allerlei drin, eines der typischsten Jahreszeitengerichte und eines derjenigen, die zeigen, dass da, wo auch in klassischen Zeiten der Wohlstand zu Hause war, auch Reichtum auf den Teller kam. Aus Dresdener Richtung gibt es da noch viel mehr. Sächsische Könige haben sich auch mit ihrer Liebe zum selbstgejagten Wild in die Kochbücher geschrieben, mancher soll sogar selbst gekocht haben.
Ute Scheffler betont zwar, dass man es auch in Sachsen zumeist mit einer einfachen Volksküche zu tun hat – aber es ist trotzdem eine reiche Küche, die zeigt, wie man aus wenig viel machen kann. Die Grenzen freilich sind fließend. Das 21. Jahrhundert unterscheidet nicht mehr zwischen Volks- und Reiche-Leute-Küche. Es ist ja (fast) alles erhältlich im Laden. Und auf eine Tafelkutsche zum Hamburger Hafen kann man verzichten. Oft genug verschwimmen auch längst die Grenzen zwischen Fest- und Alltagsküche. Nur da und dort schimmert noch durch, dass Vieles, was heute noch ganze Tafelrunden freudig schlemmen lässt, in gar nicht so ferner Vergangenheit wirklich etwas Besonderes war – vorgesehen für Sonntage oder gar wichtige Festtage im Kalender. In manchen Familien wird das auch noch heute so gepflegt und Oma ist beschäftigt, weil sie den Töchtern, Enkelinnen und Schwiegersöhnen immer wieder die Feinheiten erklären muss, die das Hühnerfrikassee so unverwechselbar machen, die Klopse und die Krautwickel, wie sie nur Oma kann.Ein Weltraumfahrer kommt auch drin vor: der Vogtländer Sigmund Jähn, der sich als Kaffee- und Kuchenfreund ganz als Sachse bekennt. Natürlich findet man entsprechende Kuchengelüste auch als Nachtisch im Buch – vom Bienenstich bis zur Quarktorte.
Und wo ist die ganz Berühmte? Fräulein Eierschecke?
Ist natürlich drin. Aber nicht in ihren gemutmaßten 60 Variationen, wie sie nach Dresdener Art die Sachsen in Begeisterung versetzt, sondern in ihrem Gegenstück – der Freiberger Eierschecke, dünn und sparsam. Denn die Dresdner Eierschecke wurde – genauso wie das Leipziger Allerlei – berühmt, weil sie reichlich mit guten und vor allem teuren Zutaten bereitet wurde. Das konnten sich gewöhnliche Haushalte in Sachsen lange nur am Festtag oder gar nicht leisten. Wer so gutsituiert nicht war, der wich auf die Eierschecke nach Schmalhans’ Weise aus. Ist trotzdem lecker und eigentlich etwas ganz anderes als das Vorbild.
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Aber das Rezept erinnert zu recht daran, dass die kargen Zeiten in Sachsen so lange her nicht sind – und dass sie in etlichen sächsischen Haushalten längst wieder da sind. Und man kann drauf warten, bis auch wieder die ersten Kochbücher erscheinen mit “Rezepten für schmale Geldbeutel”. Der Freiberger Eierschecke ist da wohl ein Plätzchen sicher – neben Pellkartoffeln mit Quark und sächsischer Kartoffelsuppe. Alles Beispiele für die sächsische Küchenkunst, aus wenigen Zutaten etwas ganz Besonderes zu machen. Da kommt es dann nicht so sehr auf die Frage an “Was ist alles drin?”, sondern: “Wie hat die Köchin das nur wieder hingekriegt?” – Die guten Köchinnen und Köche geben das innerhalb der Familie weiter. Und eins stimmt wohl auch: Die richtigen sächsischen Küchenerfahrungen macht nur, wer sich strategisch gut einheiratet.
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