Sie gehört zu den schönsten mittelalterlichen Burgen Deutschlands. Aber wirklich große Touristenscharen strömen nicht ins schöne Selketal, um die Burg Falkenstein zu besuchen. Der Tourismus im Ostharz steckt - verglichen mit dem im Nordharz oder im Westharz - noch in den Kinderschuhen. Zeit für ein kleines Entdeckerbuch. Das übrigens für Leipziger gar nicht so abwegig ist. Wer mit seinen Entdeckungen rund um die Himmelsscheibe von Nebra fertig ist, muss nur ein klein wenig weiter ostwärts denken.

Praktisch gleich hinter Aschersleben beginnt das Gebiet der Stadt Falkenstein, die natürlich – wie mittlerweile in ganz Mitteldeutschland – ein großer Gemeindeverbund ist. Das Zentrum des Gemeindeverbundes ist die kleine Stadt Ermsleben mit 2.700 Einwohnern. Was dann auf neueren Karten dazu führt, dass man die Stadt Ermsleben nicht findet, weil Falkenstein dransteht.

Seit 2002 existiert die Verwaltungsgemeinschaft in dieser Form, in einem ersten Zusammenschluss seit 1992. Und weil Ermsleben nur den Literaturfreunden ein bisschen bekannt ist, hat man die prestigeprächtige Burg zum Namen gewählt. Was Reisende nicht davon abhalten sollte, dieses Fleckchen Erde zu entdecken, so, wie es vor 200 Jahren Heinrich Heine tat, der sich ja bekanntlich in alles verliebte, was lange Haare hatte und ein Mädchen war. Die Selke gehört dazu. Und das Selketal ist bis heute eines der romantischsten Täler im Harz. Nicht so herb und herausfordernd wie die Täler von Ilse und Bode. Aber Heine fiel, als er durchs Selketal wanderte, trotzdem mehrfach in das kleine Flüsschen.Eine Dampfeisenbahn gab es ja zu seinen Zeiten noch nicht. Heute gehört die Selketalbahn zu den Attraktionen für Dampfeisenbahnfreunde. Sie dampft von Gernrode über Harzgerode hinauf nach Hasselfelde. Zur Entdeckung der Landschaft zwischen der Konradsburg bei Ermsleben, der Burg Falkenstein und der Burgruine Anhalt eignet sie sich freilich nicht. Der Schienenstrang berührt das berühmte Tal erst im oberen Teil. Unten, wo man sich meist zwischen 100 und 300 Meter üNN. bewegt, ist es praktischer, die Welt auf Schusters Rappen oder per Fahrrad zu erkunden. Zwölf Fußtouren und vier Radtouren haben die Autoren des handlichen Buches zusammengetragen, alle eher etwas für Wanderer und Radfahrer, die sich Zeit lassen wollen, die Picknickpausen und Rittermahle mit einplanen – und die üblichen Verschnaufpausen auf Brücken, Bänken und malerischen Mauern: “Ach, is des scheen hier.”

Etliche Fotos im Buch lassen ahnen, dass auch der Frühherbst im Selketal zauberhaft ist.

Von den Burgzinnen aus sieht man auf den Bergrücken, der eine weitere, ältere Burg Falkenstein trug. Die ist aber längst Ruine, könnte noch aus uralten Zeiten sein. Vielleicht sogar aus Zeiten weit vor der Zeitrechnung. Denn Siedlungsspuren hat man hier auf den Höhenzügen bis 800 Jahre vor Christi Geburt nachgewiesen. Und einige Landschaftsnamen deuten darauf hin, dass es – wie auch anderswo am Harzrand – etliche germanische Kultplätze gab.

Man muss nur die richtige Wanderkleidung dabei haben, und dann kann man ein geschichtsträchtiges Stück Landschaft entdecken. Das beginnt schon in Ermsleben, wo man unter anderem über das Geburtshaus des Dichters Gleim stolpert, nahebei aber auch die einstige Konradsburg findet, die die Herren von Konradsburg im 12. Jahrhundert wahrscheinlich als Sühneleistung für einen Totschlag in ein Kloster verwandelten. Vom Kloster steht heute auch nicht mehr alles. Aber man kann hier erstmals der engagierten Arbeit eines Förderkreises begegnen, der sich um die historische Bausubstanz bemüht.

Ohne die Arbeit der engagierten Bürger vor Ort wäre auch hier so manches verschwunden, was von staatlichen Stellen lange Zeit sträflichst vernachlässigt wurde. Die Konradsburger bauten sich dann übrigens flott eine neue Burg – ein Stück das Selketal aufwärts. Das ist die Burg Falkenstein, die heute als markanteste mittelalterliche Burg im Ostharz gilt. Und die durch einen Burschen namens Eike von Repgow berühmt wurde: Auf dem Falkenstein soll er zumindest einen Teil des “Sachsenspiegel” geschrieben haben. Die Herren auf Burg Falkenstein hatten ihn eingeladen, es auf ihrer Burg zu tun.
Noch eine dritte Burg ist historisch berühmt, auch wenn sie heute ebenfalls Ruine ist: die Burg Anhalt, einst eine der größten Burgen am Harzrand. Sie spielte in der Zeit Kaisers Heinrich V. eine wichtige Rolle, der rings um den Harz gewaltige Burgen errichten ließ, um seine Hausmacht und damit auch seine Funktion als Kaiser zu stärken. Es hat nicht geklappt. Die Sachsen, zu deren Kernland der Harz eigentlich gehörte, stellten sich stur. 1140 dann wurde der Burgherr Albrecht von Ballenstedt, genannt Albrecht der Bär, aus der Burg vertrieben. Und was tat er? Er gründete 1157 die Mark Brandenburg und schuf sich so ein neues Herrschaftsgebiet – das dann freilich später, nach dem Aussterben der brandenburgischen Askanier, an die Burggrafen von Nürnberg fiel – die Hohenzollern.

Wer also alte deutsche Geschichte mag: Hier ist er richtig. Sollte aber Meisdorf (auf halbem Weg zwischen Ermsleben und Falkenstein) auf keinen Fall auslassen, denn hier gibt es Harzer Dorfgeschichte zum Anfassen – samt Museumsbauernhof und einem Taubenturm, der nicht nur für die Tauben da war. Die Autoren des Buches haben auf 120 Seiten lauter Wissenswertes zu Landschaft, Orten und Geschichte zusammengetragen. Man lernt was zu Grenzsteinen, preußisch-sparsamen Kirchen, einem Dichter namens Gottfried August Bürger, der sich im Pfarrhaus von Pansfelde bestens auskannte, zu verschwundenen Dörfern, Herrenhäusern und dem wiederhergestellten Park von Degenershausen.

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Falkenstein/Harz
Verlag Pro Leipzig 2012, 11,00 Euro

Hinten gibt’s auch noch Tipps zu etwas weiteren Ausflügen etwa nach Quedlinburg, Gernrode oder Aschersleben. Wenn man denn mit den dargebotenen Touren durch Wald und Tal (und zu den berühmten Stempelstellen für die Harzer Wandernadel) nicht genug hat. Man weiß ja nie. Städter sind unberechenbar. Mal wollen sie sich entspannen und nur drei Wochen lang durch Wälder wandern am Stück – und dann beginnen die Kinder zu maulen oder man hat genug Sühnekreuze, Burgen und Esel gesehen. Wobei einige der attraktiven Orte jenseits der Stadt Falkenstein durchaus auch zu erwandern sind. Zum Müdelaufen gibt’s also Platz genug. Man muss ja nicht so rasen wie in Leipzig auf der Auwaldpiste.

Ein echter Tipp also für alle, die mal für kürzere oder längere Zeit raus wollen aus der großen Stadt. In eine Ecke, in der man nicht vom Tourismus-Fastfood erdrückt wird. Die Burg Falkenstein gibt’s als Dreingabe für alle, die Burgen schon deshalb lieben, weil sie so herrlich nutzlos sind.

www.proleipzig.eu

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